Rheinfelden Wenn das Führungstrio der IG Weinbau Herten über seine edlen Tropfen spricht, geht es nicht nur um Genuss und Gaumenfreuden. Der Gast, der ausnahmsweise den Weinkeller im Haus Rabenfels betreten darf, hat das Gefühl, die Reben halten förmlich das ganze Dorf zusammen. Alles fing in Deutschlands südlichstem Weinberg am Südhang des Dinkelbergs mit einer Krise an: Als die IG Weinbau gegründet wurde, war der Weinanbau am Hochrhein gewaltig auf dem absteigenden Ast. Es war die Großväter-Generation, die den Niedergang eines Kulturgutes erkannte und die IG gründete.
Das Führungstrio der IG prostet sich zu: Vorsitzender Jürgen Reiske, sein Stellvertreter Jan Sigmund und der stellvertretende Obmann Reinhard Pfeiffer. Sie sind mit sich, der Welt und dem Wein im Reinen. Auf dem Weg zum Winzerkeller im Haus Rabenfels blicken sie weit zurück. Vor 150¦Jahren hatte jeder Landwirt in Herten noch seine eigenen Reben. Gekeltert wurde ausschließlich für den Eigenbedarf. „Menge war wichtig, die Qualität egal“, nehmen die Bacchus-Jünger kein Blatt vor den Mund. „Jedermann füllte selbst ab, es gab keine konstante Qualität.“ Wenn doch mal ein Jahrgang gut ausfiel, wusste eigentlich keiner, warum.
Heute heimsen die Tropfen vom Steinacker Goldmedaillen für die erlesene Qualität ein. Wie kam es dazu? Durch zwei Weltkriege und Krankheiten schrumpfte der Weinberg, der einst von Degerfelden bis Grenzach-Wyhlen reichte, von 29¦Hektar über 6,5¦Hektar nach 1945 bis auf zwei Hektar ab, als die Hertener die Notbremse zogen. 1971 gründeten 15¦Hertener die IG Weinbau, um die Rebkultur am Hochrhein vor dem endgültigen Verfall zu retten.
Bis heute ist die IG ein reiner Amateurverein. Aber einer mit Ambitionen. Im Jahr 2007 bekamen die Freizeit-Winzer den Keller im Haus Rabenfels und schafften sich nach und nach Edelstahltanks für den Rebensaft an. So funktioniert‘s: Alle Eigentümer im Rebberg Steinacker geben ihre Trauben ab und überlassen die Veredelung einem Kellermeister. Der Kellermeister stammt aus dem Schwäbischen, kam als Chemiker an den Hochrhein und konnte für den Job gewonnen werden. „Unser Kellermeister Dietmar Leipert kannte anfangs nicht mal Gutedel und hat sich alles autodidaktisch angeeignet“, schwärmt Jürgen Reiske.
Pfeiffer wechselt das Thema und kommt auf die Arbeit im Rebberg Steinacker zu sprechen. „Reben sind Monokultur“, sagt er, „ohne Spritzmittel kommt man nicht aus.“ Auch Biobauern spritzten – nur weniger. Reiske ergänzt: „Jeder nimmt nur ein Minimum, schon aus Kostengründen.“ Später, beim Gang durch die Reben, erkennt er rostige Verfärbungen auf einigen Blättern. Da müsse unverzüglich gehandelt werden, sonst sei die ganze Ernte in Gefahr – auch für die Nachbarparzellen. Reben seien Sensibelchen. Der falsche Mehltau befällt die Pflanze bei zu viel Feuchtigkeit, der echte Mehltau tritt bei zu viel Hitze auf. Da müsse präventiv geschwefelt werden. Gegen den Traubenwickler helfen Pheromonfallen.
„Bis jetzt haben wir Glück“, sagt Reiske. Die IG Weinbau geht mit der Zeit. Unter den fünf Weißwein-Sorten sind auch zwei resistente Arten, Johanniter und Cabernet Blanc. Unter den drei Roten gelten die Sorten Regent und Prior als pilztolerant. Außerdem hilft ganz viel Handarbeit am Rebberg. Triebe ohne Früchte werden weitgehend abgeschnitten, dazu Blätter unterhalb der Trauben sowie die Spitzen, sobald die Früchte hängen. Auch wenn der Sommer noch so heiß sei, könne das den 60¦Jahre alten Reben nichts anhaben, erklärt Jan Sigmund. Die Wurzeln der Pflanzen reichten bis in 50¦Meter Tiefe und holten die Mineralien aus verschiedenen Gesteinsschichten hervor. Der Klimawandel bewirkt, dass sich die Wachstumszeit im Rebberg um 20¦Tage nach vorn verschiebe – mit dem Risiko, dass die Eisheiligen Anfang Mai für Frostschäden sorgen können.
Die Lese Mitte September ist ein Ereignis. Für Helfer und Familienmitglieder ist die Mitarbeit Ehrensache. Für Jan Sigmund ist die Ernte „einfach ein tolles Gemeinschaftserlebnis“. 90¦Prozent des abgefüllten Produkts erhalten die 60¦Hobby-Winzer zurück, zehn Prozent gehen an den Verein. Ein Höhepunkt im Winzerjahr ist das Rebblütenfest im Mai. Der Oberbürgermeister, Schweizer und Besucher aus einem Umkreis von 50¦Kilometern kommen, um den neuen Jahrgang zu verkosten. Was den stellvertretenden Vorsitzenden besonders freut: „Darunter sind sehr viele junge Leute, die Spaß am guten Wein haben.“ Dann stellt Jan Sigmund noch sein Bekenntnis in den Raum: „Es gibt bei mir keinen Tag ohne Wein. Das ist ein eigenes Produkt, da bin ich stolz drauf.“ Die beiden anderen Freizeit-Winzer nicken zustimmend.