Rheinfelden/Schweiz Wenn Samuel Bächtold auf einer Bank in der Rheinfelder Marktgasse oder an der Rheinpromenade sitzt und an einem Stab schnitzt, zieht er die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich. „Wildfremde Menschen setzen sich dann oft neben mich und beginnen zu reden“, sagt der 69-Jährige. Manche erzählen ihm ihr halbes Leben, einfach so. Manchmal seien die Geschichten lustig, manchmal traurig. „Meine Schnitzerei schafft Kontakt, so gesehen sind es Sozialstäbe, die ich mache“, ergänzt er lachend. Besonders Kinder seien fasziniert von seiner Arbeit – und den scharfen Messern, die er verwendet.
„Es gibt immer wieder gute Gespräche. Beim Schnitzen habe ich schon viele Leute kennengelernt“, berichtet der Künstler. Man trifft Samuel Bächtold bei seiner Tätigkeit aber nicht nur in Rheinfelden, sondern immer wieder auch in Hamburg. „Ich liebe diese Stadt. Es ist interessant, wenn man dort sitzt und schnitzt. Die Leute reagieren aber gleich wie in Rheinfelden, auch dort werde ich oft angesprochen“, erklärt er.
Samuel Bächtold hat eine spannende Lebensgeschichte. Er erlebte im Limmattal eine schwierige Jugend, machte nach der Schule eine Schreinerlehre und arbeitete später als Tramfahrer in Zürich. Mit 45 Jahren wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit – als Drachenmacher. Er eröffnete ein Keramikatelier und begann, Drachenfiguren zu gestalten und zu brennen. „Damit ging ich auf Märkte in der ganzen Schweiz. Man kannte mich überall als der Drachenmacher“, berichtet Bächtold. Daneben gab er Kurse und organisierte Firmenveranstaltungen. „Finanziell war es schwierig, doch ich habe es gemeistert.“
Bächtold spricht von einer fantastischen Zeit. Einmal hat er einen zwei Meter großen Drachen geschaffen, drei Tage und drei Nächte lang wurde die Figur gebrannt. „Danach haben wir den Ofen bei 1000 Grad geöffnet, der Drachen hat geglüht.“ Diese „Drachengeburt“ sei ein unvergessliches Erlebnis für ihn gewesen. „Es war nie meine Absicht, reich zu werden. Emotionen kann man nicht kaufen. Das zu machen, was man wirklich will und was in einem steckt, das ist doch wunderbar“, sagt er.
Vor rund fünf Jahren ist er nach Rheinfelden gezogen. „Das Städtchen gefällt mir sehr gut“, sagt er. Als er im Rentenalter war, hat er sein Atelier aufgegeben. Heute arbeitet er nicht mehr mit Keramik. Es sei ihm aber wichtig, weiterhin mit den Händen tätig zu sein. So kam er auf die Idee, Holzstäbe zu schnitzen – draußen in der Öffentlichkeit. „Als Schreiner hatte ich immer einen Bezug zu Holz.“ Er nennt seine Kunstwerke Zauber-Wunder-Wanderstäbe. „Die Arbeit an ihnen ist sehr zeitintensiv. An manchen arbeite ich drei bis vier Monate.“ Er verwendet Haselnuss, Erle und Ahorn. Ein Förster aus dem Zürcher Oberland liefert ihm die Holzstecken dafür. Er verziert sie mit keltischen und gotischen Formen, lässt sich aber auch von Künstlern wie Antoni Gaudi und H. R. Giger inspirieren. „Es hat ebenfalls Einflüsse der Maori-Kultur“, so Bächtold. Ein Stab ist dem Wasser gewidmet, der Betrachter erkennt einen Leuchtturm, Delfine und Seepferdchen – und eine Flaschenpost mit einem Liebesbrief.
Gerne setzt er sich beim Schnitzen an den Rhein – oder in Hamburg an die Alster und die Elbe. „Wenn große Schiffe vorbeiziehen, inspiriert mich das“, erklärt er. In der Hansestadt schnitzt er manchmal aber auch auf dem Kiez. „Egal, ob Alkoholiker oder Junkies, viele sind fasziniert davon, was ich mache.“ Einen seiner Holzstäbe hat er am Nordkap geschnitzt – auch dies ist ein unvergessliches Erlebnis für ihn.
Weil die Arbeit so zeitintensiv ist, sind in den vergangenen fünf Jahren erst knapp 20 Stäbe entstanden, jeder ein absolutes Unikat. „Ich mache das eigentlich nur für mich. Sie sind nicht für den Verkauf vorgesehen.“ Die Beschäftigung mit den Formen, die harte Arbeit des Schnitzens und der Kontakt mit den Menschen halten ihn fit – davon ist er überzeugt.
Am Festival der Kulturen, das von 30. Mai bis 1. Juni in Rheinfelden stattfindet, sind die Kunstwerke nun erstmals ausgestellt. Zusammen mit Holzskulpturen von Künstlern aus Kamerun, dem Senegal und Togo werden sie in der Trinkhalle des Kurbrunnens zu sehen sein. Samuel Bächtold freut sich sehr auf diese Ausstellung: „Das wird spannend. Ich weiß nicht genau, was mich erwartet.“ Zum Schluss verrät er noch seinen Lebenstraum: „Eine Ausstellung mit meinen Stäben in Hamburg. Das wäre auch etwas. Vielleicht klappt es irgendwann.“