1955 Kilometer sind es vom 670 Meter hoch gelegenen Stühlinger Kalvarienberg bis zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela. Die gelbe Jakobsmuschel weist zwischen Schwaningen und Stühlingen den Weg auf der rund 400 Kilometer langen Teilstrecke von Rothenburg ob der Tauber nach Waldshut. Ein Kreuzweg mit 16 Stationen führt von Schwaningen hinauf zu einem besonderen Ort der Stille mit der Gebets- und Wallfahrtskapelle „Heilig Kreuz“.

Deren Geschichte geht auf das Jahr 1709 zurück, als das 30 Quadratmeter kleine Gotteshaus und der Kreuzweg auf Initiative des Schwaninger Stifters Johann Georg Widmer gebaut wurden. Vier Jahre nach der Weihe am 20. Oktober 1726 baute Christian Widmer, ebenfalls aus Schwaningen, zur Förderung der Wallfahrt noch ein Mesnerhaus dazu. Wie aus dem Kirchenführer von Brigitte Matt-Willmatt zu erfahren ist, wurden die zur Heiligen Messe benötigten Utensilien immer auf dem Mesnerhof aufbewahrt, um vor „Strolchen“ sicher zu sein. Geblieben sind davon ein Kelch, ein Meßgewand und ein altes Meßbuch.
Über Generationen entwickelte sich aus dem einfachen Holzbau der heutige Kalvarienberghof, der von der Familie Büche über sechs Generationen bewirtschaftet und vor zehn Jahren von der Familie Biermann übernommen wurde. Die Hofbesitzer waren früher auch Mesner und übernahmen auch die Renovierungsarbeiten an der steinernen Kapelle, die im Schutz von zwei mächtigen Linden steht. Die ältere wurde bereits beim Bau der Kapelle gepflanzt, die jüngere vom ehemaligen Kalvarienberghofbauer Sebastian Büche.
Im 19. Jahrhundert hatte der damalige Pfarrer die Kapelle abbrechen lassen wollen, weil ihm der Weg dort hinauf zu beschwerlich war. Doch die Kapelle blieb stehen. Zur Einschmelzung abgegeben werden musste im Zweiten Weltkrieg allerdings die 50 Kilo schwere Glocke, die 200 Jahre zuvor zu Ehren des Heiligen Josef in der Rheinauer Klosterkirche geweiht wurde.
Gelübde und Glockenweihe
1952 wurden der Dachstuhl erneuert und die Schindeln gegen Ziegel ausgetauscht. Am 15. Juli 1959 schlug dann der Blitz in die Kapelle ein. Obwohl Johann Büche das Feuer mit der Baumspritze löschen konnte, musste auf dem sechseckigen Dachreiter der obere Teil des zwiebelförmigen Türmchens erneuert werden. Die Bevölkerung spendete im Jahr 1983 ein 20 Kilo schweres Glöcklein, das von der Karlsruher Glocken- und Kunstgießerei mit der Inschrift „Schenk uns einen guten Tod“ aus Bronze gegossen wurde. Zufällig kam der heute 91-jährige Lottstetter Rennrad-Pionier Alfred Böhler bei seiner Ausfahrt am 1. Mai bei der festlichen Glockenweihe vorbei, die von Pater Joachim Salzgeber aus Einsiedeln zelebriert wurde. Da die Lottstetter Bevölkerung aufgrund eines Gelübdes jedes Jahr eine Wallfahrt nach Einsiedeln macht, war Böhler von der Glockenweihe so sehr beeindruckt, dass er fortan jedes Jahr und bei jedem Wetter am Karfreitag mit Lottstetter Radfahrern zur Kalvarienberg-Kapelle fuhr.

Mittlerweile fährt auch der Veloclub aus der Lottstetter Nachbargemeinde Rafz jeden Karfreitag mit einer großen Gruppe zur kleinen Stühlinger Kapelle. Dieses Jahr war aber alles anders: die Schweizer Velofahrer durften nicht über die Grenze; deshalb kamen nur Lottstetter Radfahrer alleine oder zu zweit. Allerdings mussten sie einen Umweg von rund einer Stunde über deutsches Gebiet machen, der über einen zweiten Kreuzweg vorbei an der Erzinger Bergkapelle führte.