In den Morgenstunden des 28. Juni 2005 machen sich ungewöhnlich viele Menschen von Waldshut und Tiengen auf in jenes Gebiet, das auch das neue Zentrum der 1975 gegründeten Doppelstadt am Hochrhein hätte werden können.

Aber ihr Ziel war nicht eine Stadthallen-Eröffnung oder die Einweihung eines zentralen Feuerwehrhauses. Im Gegenteil. Um fünf Uhr morgens hieß es Abschied nehmen. Abschied nehmen von einem Stück Industriegeschichte.

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An jenem Sommermorgen fiel mit dem 100 Meter hohen Kamin das letzte Symbol der einstmals so stolzen Lonza. Einem Chemieunternehmen, das über viele Jahrzehnte für mehrere Generationen vieler Familien am Hochrhein und im Südschwarzwald oft mehr war als nur Arbeitgeber. Der Fall des mächtigen Schlots setzte einen Schlusspunkt der Abrissarbeiten und wurde von hunderten Menschen verfolgt.

Anwohner kämpften Jahrzehnte gegen die Chemiewolken

Noch in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Lonza, wie auch die Papierfabrik im wenige Kilometer westlich gelegenen Albbruck, Inbegriff der Leistungsfähigkeit einer ganzen Region und zugleich Ausdruck der Schaffenskraft ihrer Menschen.

Schließlich nannten sich die Mitarbeiter nicht ohne Stolz „Lonzianer“. Sie, die Papiermacher in Albbruck, die vielen Weber und Färber in der Textilindustrie und zahlreiche anderen Fachkräfte in den Aluminiumhütten (Wutachtal und Rheinfelden), den chemischen und pharmazeutischen Hochburgen in Richtung Basel hatten die Region zwischen Rheinknie und Wasserfall in Schaffhausen zu einem scheinbar nimmer müden prosperierenden Industriecluster gemacht.

1962 lief die Produktion des Chemieunternehmens Lonza in Waldshut auf vollen Touren.
1962 lief die Produktion des Chemieunternehmens Lonza in Waldshut auf vollen Touren. | Bild: Stadtarchiv Waldshut-Tiengen

Zur Geschichte der Lonza gehört aber auch die Tatsache, dass betroffene Anwohner Jahrzehnte gegen die Chemiewolken kämpften, die von der Fabrik ausgingen. Die Umweltbelastung beschäftige sogar die Justiz: Lonza-Manager wurden wegen Verstoßes gegen Umweltvorschriften verurteilt.

Riesige Kamine sucht man heute vergebens

Heute bestimmen Solaranlagen, ein Baumarkt, Möbelmärkte und viele weitere Betriebe das Leben auf dem ehemaligen Lonza-Gelände. Der Gewerbepark Hochrhein floriert inzwischen ähnlich, wie es einst der Chemieriese über viele Jahrzehnte hinweg tat.

Indes mit deutlich weniger Arbeitsplätzen. In ihrer Blüte war die Lonza weit mehr als 1500 Menschen ein verlässlicher Arbeitgeber. Manfred Dietenberger (65), zur Zeit der Schließung der Lonza im Jahr 1993 DGB-Kreisvorsitzender, erinnert sich: „Die Lonzianer mussten hart für ihr Geld arbeiten, aber sie haben auch gutes Geld dafür bekommen.“

Riesige Kamine aus denen scheinbar ebenso hohe Rauchschwaden in den Himmel geblasen wurden, sucht man heute vergebens. Der Gewerbepark Hochrhein ist ein gutes Beispiel für eine planerisch saubere Symbiose aus Handel, Gewerbe und ökologischen Ausgleichsmaßnahmen.

2018: Aus Lonza wird der Gewerbepark Hochrhein.
2018: Aus Lonza wird der Gewerbepark Hochrhein. | Bild: Peter Rosa

Während Lonza und Papierfabrik inzwischen Geschichte sind, von den einstmals so stolzen Textilunternehmen nur noch die Lauffenmühle in Lauchringen übrig geblieben ist, behaupten sich die Aluminiumwerke im Wutachtal ebenso wie die Chemie- und Pharmariesen Evonik, Roche oder Novartis zwischen Rheinfelden und Basel. Die größten Arbeitgeber im Landkreis Waldshut sind heute das Landratsamt Waldshut und das Spital Waldshut im nichtproduzierenden Sektor sowie die Unternehmen Sto, Sedus und die Alu-Werke im Wutachtal im produzierenden Sektor.

Ein Mitarbeiter erinnert sich

Franz Jehle (73 Jahre) war 35 Jahre lang ein stolzer Lonzianer (1960 – 1995). Er erinnert sich gut, wie es war, als Mitarbeiter der Lonza sein Geld zu verdienen, aber ebenso gut auch daran, wie es war, als 1993 das endgültige Aus der Lonza verkündet wurde. Dabei hatte er noch Glück. Denn das Unternehmen hatte seinen Lehrlingen zugesichert, ihre Ausbildung trotz Stillegung der Produktion noch abschließen zu können. „Deshalb,“ so Franz Jehle, „habe ich noch über das Ende Lonza hinaus für und in der Lonza gearbeitet“. Der Starkstromelektriker, der 1974 die Meisterprüfung abgelegt hatte, bildete noch drei angehende Elektriker aus. Dass es um die Wirtschaftlichkeit der Lonza nicht mehr ganz so gut bestellt war, hatten er und seine Kollegen erst sehr spät erfahren.

Franz Jehle: „Es wurde immer viel Zeug erzählt, letztlich gestimmt hat es aber nie.“ Ab 1990 sei es immer klarer geworden, dass es bergab gehe. „Am schlimmsten war es 1991, da wurden die ersten Mitarbeiter entlassen“, erinnert sich Jehle, dem die Arbeit in der Lonza trotz Hitze und Dreck stets gefallen hatte. Wie bei vielen anderen Familien auch, war er nicht der einzige Jehle, der in der Lonza arbeitete. Sein Vater habe über 40 Jahre als Kranführer dort gearbeitet. Als Franz Jehle 1995 der Lonza endgültig den Rücken kehrte, fand er schnell wieder eine Anstellung.

Gewaltige Gasexplosion

Bis zum Aus mussten Geschäftsführung und Mitarbeiter immer wieder Rückschläge verkraften. Zuletzt mit der Pulverbeschichtungsanlage Phönix. Sie wurde 1984 in Betrieb genommen. Doch für das bereits auf den absteigendnen Ast geratene Unternehmen erfüllten sich die Erwartungen an den mehrere Millionen Mark teuren „Phönix“ nicht. Denn am 4. Juli 1988 vernichtete eine gewaltige Gasexplosion die Halle. Erst ein Jahr und mehrere Millionen Mark Produktionsausfallkosten später konnte die Produktion von Siliciumcarbonat wieder aufgenommen werden.

1993 dann das Aus des stolzen Chemieriesen. Ein Ende, an das sich auch der damalige DGB-Kreisvorsitzende Manfred Dietenberger (65) noch gut erinnert. Mit dem Aus der Lonza, so der ehemalige Gewerkschafter, sei die einstmals überdurchschnittliche Industriedichte entlang des Hochrheins weiter dezimiert worden. Über die Bedeutung der Lonza für den Hochrhein sagt Dietenberger heute: „Die Lonza war für Waldshut, was Bosch für Stuttgart ist.“

Die Geschichte der Lonza und des Gewerbeparks

1913 wurde das Chemiewerk Lonza als Tochterunternehemn des Schweizer Lonza-Konzerns (später Alusuisse) östlich von Waldshut gegründet. Zur Produktionspalette gehörten Düngemittel wie Kalkstickstoff und Schleifmittel wie Siliciumcarbonat und Korund. Zu Spitzenzeiten beschäftigte die Lonza mehr als 1500 Menschen.

1993 wurde die Produktion eingestellt, über 500 Beschäftigte wurden entlassen. Das Erdreich rund um die Industrieanlagen war stark quecksilberverseucht.

1996 wurde ein aufwendige Altlastensanierung begonnen. Die Schweizer Eigentümer wollte eine schnelle Umnutzung. Erst nach langwierigen Verhandlungen zeichnete sich die Lösung eines Gewerbeparks ab.

2004 beginnt der Rückbau der ehemaligen Anlagen des Chemieunternehmens Lonza.

2005 nimmt mit der Petrovic Aluminium-Bearbeitung, das erste produzierende Unternehmen, seinen Betrieb im neuen Gewerbepark Hochrhein auf. Der Gewerbepark umfasst eine Größe von 336 700 Quadratmetern. Bislang siedelten sich dort mehr als 30 Betriebe an.

2006 sind die Abrissbagger weiter kräfitg im Einsatz. Etwa 80 Prozent der Altbauten der früheren Lonza sind geräumt.

2007 gibt es eine Party im Gewerbepark Hochrhein. Der Grund: Mit dem Rückbau der Industrieruine ist das Kapitel Lonza endgültig abgeschlossen.

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