Erstmals in der Geschichte des Schweizer Kernkraftwerks Leibstadt (KKL), das 1984 seinen Betrieb gegenüber Waldshut aufnahm, verlässt ein Leiter der Atomanlage vorzeitig das Unternehmen. Der deutsche Ingenieur Andreas Pfeiffer scheidet laut einer KKL-Mitteilung auf eigenen Wunsch zum Jahresende 2018 aus. Der Entscheidung vorausgegangen war ein Beschluss des KKL-Verwaltungsrats, den 59-Jährigen zum 1. Dezember 2019 durch einen neuen Chef zu ersetzen.

„Im Zuge einer vorausschauenden Planung“, wie es in einer Medienmitteilung der KKL AG vom 9. Mai heißt, habe der Verwaltungsrat den 52-jährigen Thomas Franke zum neuen Leiter der Anlage in Leibstadt berufen. Der Kernenergietechniker und Informatiker, wie Andreas Pfeiffer deutscher Staatsbürger, leitet derzeit das Atomkraftwerk Philippsburg 2 im Kreis Karlsruhe. Angekündigt wurde, dass Franke zum 1. Dezember 2019 die Chefposition in Leibstadt antreten soll. Bereits ab Dezember 2018 sollte er zunächst als stellvertretender Leiter durch den jetzigen Chef Andreas Pfeiffer eingearbeitet werden. Das Unternehmen: „Da ein Wechsel in der Leitung eines Kernkraftwerks ein langwieriger Prozess ist, hat der Verwaltungsrat die Wahl von Thomas Franke jetzt getroffen.“

Im Vergleich zur bisherigen Praxis ist das Vorgehen des Verwaltungsrats jedoch ungewöhnlich. Alle drei Vorgänger Pfeiffers sind als Kernkraftwerksleiter in den Ruhestand gegangen und nicht vorzeitig in dieser Position abgelöst worden. Offen war zunächst, in welcher Funktion der dann 61-jährige Andreas Pfeiffer nach Übergabe der Werksleitung tätig sein würde. „Über die Zeit danach war man im Gespräch“, teilte auf Anfrage dieser Zeitung Jolanda van de Graaf von der KKL-Medienstelle mit. In einer zweiten Medienmitteilung zu dem personellen Wechsel teilte das KKL nun diese Woche mit: „Der bisherige Kraftwerksleiter Andreas Pfeiffer hat sich entschieden, das Unternehmen Ende 2018 zu verlassen.“ Sein Vertreter, der ebenfalls aus Deutschland stammende Michael Kessler soll schon ab 1. August die Werksleitung kommissarisch übernehmen. Ab Dezember soll der 49-Jährige in der Folge den designierten Chef Thomas Franke den behördlichen Vorgaben entsprechend ein Jahr lang einarbeiten und ihm dann die Leitung übergeben.

Im Atomkraftwerk Leibstadt steht Leiter Andreas Pfeiffer vor einem Modell des Reaktors (Archivfoto).
Im Atomkraftwerk Leibstadt steht Leiter Andreas Pfeiffer vor einem Modell des Reaktors (Archivfoto). | Bild: Roland Gerard

Andreas Pfeiffer, der aus dem badischen Villingen stammt und in Karlsruhe Maschinenbau mit anschließender Promotion studiert hat, ist seit 1. Januar 2010 Leiter des Atomkraftwerks Leibstadt. In seiner Tätigkeit wurde er mit zwei gravierenden Problemfällen konfrontiert, die zu breiten Debatten über die Sicherheit der Atomanlage führten. Im Juni 2014 wurde entdeckt, dass bereits 2008 durch eine Fremdfirma irrtümlich Bohrlöcher in den Sicherheitsbehälter gesetzt worden waren.

Und bei der Jahresrevision 2017 waren Oxidationen an einem Teil der Brennelemente festgestellt worden. Der Reaktor musste wegen der Ursachenforschung ein halbes Jahr abgeschaltet bleiben und darf bis heute laut Vorgabe der Atomaufsicht Ensi (Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat) nur mit leicht reduzierter Leistung betrieben werden.

Seine beruflichen Pläne nach dem Ausscheiden in Leibstadt seien noch offen, erklärte Andreas Pfeiffer auf Anfrage dieser Zeitung.

Der erste deutsche Chef in Leibstadt

  • Das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) steht rund drei Kilometer Luftlinie vom Waldshuter Stadtzentrum entfernt auf der schweizerischen Seite des Hochrheins. Der kommerzielle Betrieb der Anlage mit dem 144 Meter hohen Kühlturm startete im Jahr 1984. Nach KKL-Angaben werden im Vollbetrieb pro Jahr rund 9600 Gigawattstunden Strom erzeugt. Das reiche aus für zwei Millionen Haushalte und entspreche rund 15 Prozent der Schweizer Stromproduktion.
  • Kommentar aus der Politik: Wiederholt haben deutsche Politiker Kritik am Atomkraftwerk Leibstadt wie auch an den noch älteren Schweizer Reaktoren in Beznau geübt. Vor dem Hintergrund der jetzt aus Leibstadt bekannt gewordenen Personalie erklärte die grüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl, Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, unter anderem: „Der Wechsel an der Spitze von Leibstadt ist nur eine Beruhigungspille. Denn in der Schweiz gibt es generell ein systematisches Defizit bei der AKW-Sicherheitskultur. Wenn Betreiber und Atomaufsicht in der Schweiz ernsthaft an Sicherheit interessiert wären, müssten sie endlich klare Abschaltdaten vorlegen, insbesondere für Beznau und Leibstadt. Die Abschaltung muss schnellstmöglich erfolgen, dafür muss sich die Bundesregierung endlich stark machen."
  • Bisherige Leiter des Atomkraftwerks Leibstadt: Hugo Schumacher (Jahrgang 1929), ab Inbetriebnahme 1984 bis 1994; Peter-Georg Stalder (Jahrgang 1935), von 1994 bis 1998; Mario Schönenberger (Jahrgang 1945), von 1999 bis 2009. Andreas Pfeiffer (Jahrgang 1958) übernahm 2010 als erster deutscher Chef die Leitung der Anlage.