Schon nach einem Jahr Studium an der Universität Freiburg hat Jacqueline Hesse den Hörsaal mit dem Klassenzimmer getauscht – vorübergehend. Die 21-jährige Tiengenerin, die die Fächer Englisch und Geschichte gewählt hat, ist Ende August für ein Schuljahr nach Schottland gezogen, um an einer Privatschule mit Internat die Schüler mit der deutschen Sprache und der deutschen Kultur vertraut zu machen. Außerdem hat sie ihre Fußballbegeisterung und ihr Musiktalent mit nach Schottland gebracht: Jacqueline Hesse hilft beim Training und spielt in einer Jazzband.
Schule am Rand der Highlands
„Ich arbeite an der Dollar Academy, dort gibt es etwa 1200 Schüler und 90 Lehrer. Ich bin dort German Assistant als Unterstützung für die Deutschlehrer.“ Sie sei zum einen im Unterricht dabei, halte aber auch Vorträge über das Leben in Deutschland, zum Beispiel, wie man die Feiertage und besondere Anlässe wie Weihnachten oder Fasnacht feiert. Außerdem übe sie mit kleinen Gruppen Deutsch zu sprechen, auch mit älteren Schülern im Einzelunterricht oder auch mit Jugendlichen, die Nachhilfe möchten. Für die Menschen in der 3000-Einwohner-Gemeinde am Rand der Highlands bietet die Schule Feierabendunterricht für alle an, die eine Sprache lernen möchten. Jacqueline Hesses Part ist hier der Deutschunterricht.
Brexit kein Thema im Deutschunterricht
„Im Unterricht mit den Schülern reden wir nicht wirklich über den Brexit. Das passt nicht zu den sprachlichen Möglichkeiten, die sie haben. Allenfalls die ältesten reden darüber und natürlich im Politikunterricht“, antwortet Jacqueline Hesse. Die Lehrer hätten schon öfter im Lehrerzimmer darüber diskutiert und seien eigentlich alle gegen den Brexit. Das hänge auch damit zusammen, dass sie alle Sprachlehrer seien. „Sie wollen, dass ihre Kinder die gleichen Möglichkeiten haben zu reisen, wie sie es konnten, als sie jung waren. Das wird mit dem Ausstieg aus der EU schwieriger.“ So weit sie es außerhalb der Schule mitbekommen habe, seien die meisten Schotten gegen den Brexit. „Die Schotten sind immer noch sehr politisch, engagieren sich sehr und tun ihre Meinung offen kund.“

Warum ausgerechnet Schottland?
„Ich wollte schon immer mal nach Schottland in den Urlaub“, schreibt sie per E-Mail. „Das Land ist wunderschön, fast jedes kleine Dorf hat eine Burg. Es gibt viele schöne Wanderwege. Außerdem wollte ich die Kultur kennenlernen.“ Sie sei schon einige Male in England gewesen, „aber die Menschen sind schon anders als in Schottland“. Der Dialekt sei gewöhnungsbedürftig, aber sie habe schon nach kurzer Zeit die Schotten gut verstehen können. „Mittlerweile kommt auch bei mir schon ein leichter schottischer Dialekt durch, das kommt darauf an, mit wem ich rede.“ Überhaupt habe sie sich schnell eingelebt, die anderen Lehrer an der Schule seien sehr offen gewesen.
An das schottische Schulsystem habe sie sich schnell gewöhnt, aber: „Vor allem die Benennung der Jahrgangsstufen ist gewöhnungsbedürftig.“ In den höheren Klassen stehen noch sieben respektive fünf Fächer auf dem Stundenplan. Doch relativ früh müssten sich die Schüler entscheiden, was sie beruflich machen wollen, da viele Universitäten bestimmte schulische Vorkenntnisse für bestimmte Fächer voraussetzten. „Was mir an dem System nicht gefällt, ist, dass es nur eine Prüfung gibt. Wenn man die nicht gut besteht, ist die Schullaufbahn gelaufen. Das setzt die Kinder extrem unter Druck, und man merkt, dass sie während der Prüfungszeit sehr gestresst sind.“
Hockey, Rugby und Cricket
„Die Menschen sind sehr offen und man kann gut mit ihnen reden. Außerdem gefällt mir der Schulgeist.“ Hauptsportart für die Mädchen ist Hockey, für die Jungen Rugby, und im letzten Schuljahrsdrittel wird Cricket gespielt. „Die erste Mannschaft der Mädchen hat dieses Jahr den schottischen Pokal der Schulen gewonnen. Für das Finale hatte die Schule Busse nach Glasgow organisiert, da konnte jeder mitfahren, der die Mannschaft unterstützen wollte.“ Es gebe etwa 70 Arbeitsgemeinschaften an der Schule, sie könne sich aussuchen, wo sie teilnehmen wolle. „Ich helfe beim Fußballtraining, und ich spiele in der Jazzband“, berichtet Jaqueline Hesse. Außerdem baue sie eine E-Gitarre im „Guitar Buildung Club“. Zu Hause spielte sie in verschiedenen Vereinen Fußball und war Trainerin einer Jugendmannschaft des FC Tiengen 08. Auch ihre Musikbegeisterung kommt ihr jetzt zugute. Die 21-Jährige war während ihrer Schulzeit am Klettgau-Gymnasium Tiengen Mitglied in der Big Band der Musikschule Südschwarzwald und in der Jazzband des KGT.
So ist das Leben in der Kleinstadt
In Dollar, etwa 45 Minuten von Edinburgh und Glasgow entfernt, gibt es außer der Schule eine Einkaufsstraße mit einigen Geschäften, zwei Schnellrestaurants und ein Café. „Ich wohne mit zwei weiteren Lehrer-Assistenten zusammen in einem Haus. César kommt aus Spanien, Susi aus Italien. Wir unternehmen manchmal etwas zusammen und teilen uns ein Auto.“
Von Auslandsaufenthalt viel profitiert
Was nimmt Jacqueline Hesse mit aus ihrem Schuljahr in Schottland? „Ich kann es mir sehr gut vorstellen, im Ausland zu leben und zu arbeiten. Die Zeit in Dollar ist bereits mein zweiter längerer Aufenthalt im Ausland.“ Sie sei bereits ein Jahr als Aupair in Amerika gewesen. „Ich finde, es ist eine sehr gute Möglichkeit, selbstständiger und selbstbewusster zu werden.“
Zur Person
Jacqueline Hesse (21) aus Tiengen hat in Freiburg ein Jahr lang Englisch und Geschichte studiert und unterbricht ihr Studium für ein Jahr in Schottland. Durch das englische Seminar kam sie an ihren Job in Dollar, wo sie seit August 2018 als Assistenzlehrerin für Deutsch arbeitet. 2015 legte sie ihr Abitur am Klettgau-Gymnasium ab. Der Name Dollar, schottisch-gälisch Dolair, leitet sich ab von dal-aird, „Tal zwischen den Hügeln“. Jacqueline Hesse war Mitglied der Big Band der Musikschule Südschwarzwald und der Jazzband des KGT, spielte Fußball und trainierte eine Jugendmannschaft des FC Tiengen 08.
Das schottische Schulsystem
Das Schulsystem in Schottland ist seit den 1960er Jahren ein Gesamtschulsystem. Die Dollar Academy, an der Jacqueline Hesse für ein Schuljahr Assistenzlehrerin für Deutsch ist, ist eine Privatschule, mit Internat, mit circa 1200 Schülern und 90 Lehrern. Die jüngsten Schüler sind fünf und die ältesten 18 oder 19.
Die Klassenstufen: Es fängt an mit der Prep School, sie geht von Prep 1 bis Prep 7. Danach geht es in die Junior School, mit Junior 1 und Junior 2, (Junior 1 sind die jüngsten Schüler, die Sprachunterricht nehmen).
Mittel- und Oberstufe: Nach der Junior School geht es in die Senior School (vergleichbar mit Mittel- und Oberstufe), die von Form 1 bis Form 6 (Klassenstufen) geht. Die meisten Schulen haben keine Form 6. Die wichtigen Prüfungen sind in der Form 4 mit den sogenannten „National 5“-Prüfungen. In der Form 5 gibt es die „Higher“-Prüfungen, diese sind die wichtigsten Prüfungen und mit dem Abitur gleichzusetzen.
Höchster Abschluss: Danach hat man in der Dollar Academy die Möglichkeit, in der Form 6 die „Advanced Higher“- Prüfungen zu machen. Hier werden Kenntnisse vorausgesetzt, die dem ersten Studienjahr an der Universität entsprechen. Wer diese Prüfungen besteht, kann im zweiten Studienjahr einsteigen.