Steinhart ist der Filz in der Mulde im Hutdeckel, den Raimund Walde heute noch ab und zu trägt. Hart ist er deshalb, weil sogenannte „Hutachtele“, sprich Bier, aus ihm getrunken wurden. Alle Mitglieder der Junggesellenschaft 1468 und der Ehemaligen haben einen solchen Hut, der bei lustigen Anlässen gelegentlich noch immer in diesem Sinne zweckentfremdet wird. Seit über 50 Jahren hat Raimund Walde seinen Hut. Der gebürtige Waldshuter, aktive Musiker bei den Florianern und Stadtführer Walde kommt aus einer chilbibegeisterten Familie und hatte viele Vorbilder für ein umtriebiges Junggesellen- und Ehemaligenleben. Allen voran sein Vater, der wie er selbst, eine Zeitlang Zunftmeister war. Seine Anfang 2016 verstorbene Frau Erika teilte seine Begeisterung für die Chilbi, sie selbst war als Mitglied von Alt-Waldshut und Stadträtin bei den Umzügen mit dabei. Ebenso Sohn Markus, der auch ein Jahr lang Zunftmeister war.

Die Chilbi ist ein großes Fest, das eine Legende zum Kern hat, die sich um ein historisch verbürgtes Ereignis im Jahr 1468 rankt. Diese Legende, in deren Mittelpunkt ein Schafbock steht, halten die Junggesellen neben anderen, meist geselligen Aktivitäten, lebendig. Raimund Walde wurde als 18-Jähriger 1965 Mitglied der Junggesellenschaft. Zuvor, im Alter von neun bis 14 Jahren, war er begeisterter Bockbub und lief an der Seite des Chilbibocks bei Umzügen mit. Er hörte erst auf, als ihm die Bockbuben-Tracht zu klein wurde.
Noch heute weiß er, wie stolz er war, als dann endlich der große Tag da war: Am 9. Januar 1965 besiegelte der damalige Zunftmeister Heinrich Dold im Schützenhaus seine Aufnahme, indem er ihm das Zunftabzeichen an die Brust heftete und die Aufnahmeurkunde überreichte. Dies nicht, ohne ihn über die Pflichten eines Junggesellen zu unterrichten, die Raimund Walde so zusammenfasst: „Man darf sich nichts zuschulden kommen lassen, muss einen ordentlichen Lebenswandel führen und bei den Sitzungen und Anlässen dabei sein.“ Dass es dabei damals wie heute oft lustig zugeht und fröhliche Lieder geschmettert werden, auch weil ein gestandener Junggeselle immer großen Bier-Durst hat, ist mit ein Markenzeichen der Junggesellen. Nicht umsonst heißt es in einem ihrer Lieder: „Junggesellen, frisch heran, lasset euch nicht lumpen, fangt das Leben vorne an bei dem vollen Humpen.“

Heute ist Raimund Walde 70 Jahre alt. Seit seiner Heirat 1975, gehört er zu den ehemaligen Junggesellen, die bei jedem Umzug in Frack und Zylinder mitlaufen. Ein Höhepunkt war für Walde 1968 die 500. Jubiläums-Chilbi, die mit einem besonders aufwendigen und farbenfrohen Umzug aufwartete. Ehrengast war der damalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, den die Junggesellen – wie Walde verrät – nur den „Chilbi-Schorsch“ nannten. Damals wie heute ist das Symboltier der Chilbi, der geschmückte Schafsbock, Blickfang beim Umzug. Jeder Junggeselle und jeder Ehemalige steht in der Regel im Laufe der Jahre mindestens ein oder zwei Mal in besonderer Beziehung zum Chilbibock. Nämlich dann, wenn er Bockgötti oder Bockgewinner wird.
Raimund Walde war 30 Jahre alt, als er Bockgötti und damit Namensgeber des Chilbibocks 1977 wurde. 40 Jahre alt war er, als er mit der Losnummer 2014 Gewinner des Bocks „Peter der Begeisterte“ wurde. „Ich hatte absolut nicht damit gerechnet und habe erst einmal einen Schrecken bekommen, als beim Zählen bei 2014 das Glas zerschellte“, gesteht er. Aber kurz darauf hätte er sich seinen Zylinder aufgesetzt und sei guten Mutes auf die Bühne gegangen. „Peter der Begeisterte“ ist entsprechend dem üblichen Schicksal der Chilbiböcke, im Kochtopf gelandet und beim traditionellen Bockessen verzehrt worden. Überdauert hat einzig sein Kopf, der präpariert, einen Ehrenplatz bekommen hat. Er hängt über der Türe, die zum Wohnzimmer von Raimund Walde führt und blickt von dort aus majestätisch jedem Eintretenden entgegen. Fast alle Bockgewinner lassen sich nach Aussage von Raimund Walde den Kopf ihres Bocks präparieren. 2008 ging sogar in der Sparkasse eine Ausstellung unter dem Motto „Bockgewinner stellen Chilbiböcke aus“ über die Bühne.
Für Raimund Walde gehört seine Junggesellenzeit zu den schönsten und aktivsten Jahren seines Lebens, getragen von Geselligkeit, Freundschaft und Kameradschaft, die er heute im Kreis der Ehemaligen genießt. „Die, die damals mit mir Junggesellen waren, sind jetzt mit mir Ehemalige, dieses lange Miteinander prägt einen und ist so was Schönes“, sagt er und freut sich schon jetzt auf den zweitägigen Ausflug im Oktober im Kreis der Ehemaligen in den Ortenaukreis. Die Junggesellen und Ehemaligen treffen sich regelmäßig jeder für sich und ab und zu auch zusammen. Domizile sind das Schützenhaus, das Herrenzimmer des Wilden Manns und gelegentlich auch das Untere Tor, wo sich unter anderem das Zunftmuseum befindet. Der Zusammenhalt ist groß.

„In der Freundschaft treuem walten, wollen wir zusammenhalten“ steht als Grundprinzip der Junggesellen auch auf der Aufnahmeurkunde von Raimund Walde. Er war nicht nur als Zunftbruder, sondern auch beruflich eng mit der Chilbi verflochten. Von 1972 bis 2010 war er Leiter des städtischen Verkehrsamtes, heute Tourist-Info. Zu den Aufgaben seines Amtes gehörte zum Beispiel die Unterbringung von auswärtigen Gruppen, die zur Chilbi angereist kamen und ein Mal übernachteten. Außerdem ist die Tourist-Info maßgeblich für die Organisation der Werbung zuständig. Raimund Walde weiß aus dieser Zeit, welch große Bedeutung die Chilbi für Waldshut als Sympathie- und Werbeträger hat und wie einmalig sie ist: „Was Geschichte und Brauchtum angeht, kenne ich kein Fest am Hochrhein, das der Chilbi ebenbürtig ist“, sagt er. Und dass die Zukunft der Chilbi irgendwann in Frage gestellt werden könnte, ist mit seinen Worten, für jeden echten Waldshuter einfach undenkbar.
Legenden und Hauptakteure der Waldshuter Chilbi
- Historische Grundlage: Glücklicher Ausgang der Belagerung Waldshuts 1468 durch eine Übermacht von Eidgenossen. Der in der Dogerner Pfarrkirche unterzeichnete Friedensvertrag verhinderte die totale Zerstörung Waldshuts. Hauptgrund für die Aufgabe der Belagerung waren unterschiedliche Interessen der Belagerer, die aus verschiedenen Kantonen kamen.
- Legende: Gewitzte junge Handwerksgesellen mästeten den letzten Waldshuter Schafbock mit den letzten Vorräten und präsentierten ihn den Belagern auf der Stadtmauer. Die List gelang: Die Eidgenossen brachen die Belagerung aufgrund der angenommenen geringen Erfolgsaussichten ab.
- Der Chilbibock: Er symbolisiert den Bock auf der Stadtmauer und muss weiß, stattlich, fortpflanzungsfähig sein und ein schönes Gehörn haben. Er wird von den Junggesellen gesucht, gekauft, öffentlich getauft, beim Umzug mitgeführt und nach einem besonderen Verfahren verlost: Beim Brennen einer Kerze in der Bocklaterne wird so lange gezählt, bis das Glas, das an einem Faden an der Kerze befestigt ist, auf dem Boden zerschellt. Die zuletzt gezählte Zahl ist die Gewinner-Losnummer. Insgesamt 1000 Bockklose verkaufen die Junggesellen im Vorfeld der Chilbi. Der Bockgewinner richtet das Bockessen aus.
- Die Junggesellen 1468: Die ältesten Unterlagen der Junggesellen-Zunft stammen aus dem Jahr 1698. Ihre Ziele sind die Erhaltung Waldshuter Brauchtums und die Pflege von Geselligkeit und Kameradschaft beispielsweise in regelmäßigen Treffen, Botts genannt. Mit der Heirat wechseln Junggesellen zu den Ehemaligen über.
- Die Ehemaligen: Sie wurden 1948 gegründet, erster Altzunftmeister war Raimund Walde senior. Sie unterstützen die Junggesellen bei ihren Aktivitäten, pflegen die Geselligkeit und setzen sich für den Erhalt historischer Gebäude ein. Unter anderem haben die Ehemaligen die Herrenstube im Wilden Mann, die Spital- und Gottesackerkapelle sowie ein altes Gartenhäuschen renoviert.
- Die Lieder der Junggesellen: Von einem pflichtbewussten Junggesellen wird erwartet, dass er einige der bekannten Lieder aus dem Zunftliederbuch (1966) singen kann. Viele wurden von dem Waldshuter Heimatdichter Herrmann Kraft getextet. Die bekanntesten sind Alte Waldstadt-Herrlichkeit und der Male-Walzer. (ufr)