Ein Ende des Prozesses vor der Ersten Großen Jugendkammer des Landgerichts Waldshut gegen einen 45 Jahre alten Mann wegen mehrfachen Missbrauchs seiner Tochter ist nicht in Sicht. Am Montag hat das Gericht die Urteilsverkündung zum zweiten Mal nach hinten geschoben. Der eigentlich dafür vorgesehene Termin am Mittwoch, 2. Juli, wurde gestrichen. Am Mittwoch, 16. Juli, wird weiterverhandelt. Wann das Urteil gesprochen werden soll, steht noch nicht fest.
Warum fällt noch kein Urteil?
Danach sah es noch am Freitagabend nicht aus. Strafverteidiger Sascha Böttner und Staatsanwältin Bisegger hatten ihre Schlussvorträge gehalten. Für Montag war das Plädoyer der Nebenklage-Vertreterin Ulrike Heim vorgesehen. Dass es anders kam, hat noch nicht einmal etwas mit den Taten zu tun, die zwischen 2018 und 2020 in einem Schwarzwalddorf im Norden des Landkreises Waldshut geschehen sein sollen. Es geht um einen Fall, der sich danach in Konstanz zugetragen hatte. Das Opfer hatte angegeben, während eines Festes in Konstanz vergewaltigt worden zu sein. Das entsprechende Ermittlungsverfahren der dortigen Staatsanwaltschaft ist im Oktober 2023 eingestellt worden.
Wie geht es jetzt weiter?
Davon aber hatte die Jugendkammer in Waldshut erst am Freitag erfahren. Die entsprechenden Akten der Staatsanwaltschaft Konstanz sind erst im Laufe des Montagnachmittags beim Gericht in Waldshut eingetroffen. Damit noch nicht genug. Aus jenen Akten geht auch noch hervor, dass es noch einen dritten Fall gegeben haben muss, bei dem die junge Frau angegeben habe, Opfer von sexueller Gewalt geworden zu sein. Auch diese Akten will man sich nun beschaffen. Am 16. Juli soll die junge Frau dazu noch einmal im Zeugenstand befragt werden. Schließlich soll auch Rechtspsychologe Kenan Alkan-Mewes mit den Erkenntnissen konfrontiert werden.
Sind die Aussagen des Opfers belastbar?
„Der Ausgang des Verfahrens steht und fällt mit der Belastbarkeit der Aussagen des Opfers“, sagte nun Martin Hauser, der Vorsitzende der Jugendkammer. Wenn ein Staatsanwalt in Konstanz nach einjähriger Ermittlungsarbeit einen Tatvorwurf ähnlicher Schwere als nicht tragfähig erachtet hat, dann müsse man sich das genauer ansehen, argumentierte er. „So sieht es aus“, meinte Hauser noch, als Anwältin Heim bemerkte, dass die neuen Probleme der Offenheit ihrer Mandantin zu verdanken seien.
Was sagen Anwalt und Staatsanwältin in ihren Plädoyers?
Vollkommen offen ist derzeit auch, welches Gewicht die Schlussvorträge haben, die Verteidiger Sascha Böttner und Staatsanwältin Bisegger am Freitag gehalten haben. Beide kamen zu gänzlich unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Nach einer Woche intensiven Verhandelns zeigte sich Strafverteidiger Sascha Böttner fest davon überzeugt, dass sein Mandat, dessen Tochter nicht missbraucht hat und folglich vom Vorwurf des 15-fachen sexuellen Missbrauchs von Kindern, des fünffachen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in einem Fall und des schweren sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Vergewaltigung in vier Fällen freigesprochen werden muss.
Staatsanwältin Bisegger sah sechs der Taten und einen Messerwurf gegen das Opfer als erwiesen an und forderte dafür eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Da sich der Prozess außerordentlich lange hinzog, sah sie sieben Monate Haftzeit als bereits verbüßt an. Aufschlussreich war der Blick in das Bundeszentralregister. Es weist 16 Einträge für den Angeklagten aus, der damit alles andere als ein unbeschriebenes Blatt für die Justiz ist. Bei den Einträgen handelt es sich überwiegend um Verkehrsdelikte; aktenkundig ist aber auch eine Reihe von Körperverletzungen. Zuletzt hatte er in alkoholisiertem Zustand seine Lebenspartnerin vermöbelt.
Befangenheitsantrag abgewiesen
Im Gegensatz zum Rechtspsychologen Kenan Alkan-Mewes bezweifelt der Strafverteidiger, dass die Aussagen des 2006 geborenen Opfers der Wahrheit entsprechen. Einen Befangenheitsantrag des Verteidigers gegen den Gutachter hatte das Gericht zuvor abgewiesen. Böttner unterstellte der jungen Frau dabei nicht, ihren Vater absichtlich mit Falschaussagen zu belasten. Er geht vielmehr davon aus, dass es sich um Übertragungen handelt. So habe die junge Frau einmal an ihrem Wohnort gesehen, wie ihr Stiefvater mit einem Knebel im Mund auf dem Boden vor ihrer Mutter gekniet habe.
Die vorgeworfenen Taten ereigneten sich zwischen 2018 und 2020. Die Tochter, so der Anwalt, habe in dieser Zeit während der Schulferien gerne ihren Vater besucht. Es habe in dieser langen Zeit nicht einen Versuch der Nebenklägerin gegeben, den Schmerzen, Knebeln, Fesseln und Schlägen auszuweichen. Der Grund dafür liege auf der Hand. All diese Misshandlungen habe es nie gegeben.
Dass es sich bei den Vorwürfen um „tatsächlich nicht erlebte Ereignisse“ handle, zeige sich auch an der Aussage, dass es zum Missbrauch gekommen sei, während die Lebenspartnerin des Vaters entweder im Garten arbeitete oder mit dem Kater spazieren ging. „Es ist abwegig, dass sich die Angeklagte lieber im Haus missbrauchen lässt, als im Garten zu helfen“, sagte der Verteidiger.
Warum kehrt das Opfer immer wieder in das Haus zurück?
„Da war Kacke, zu Hause war Kacke, überall war Kacke.“ Mit diesem Zitat des Opfers begann Staatsanwältin Bisegger ihr knapp einstündiges Plädoyer. Gegen Ende wiederholte sie das Zitat noch einmal. Und zwar als Antwort auf die Frage, warum sie trotz der Misshandlungen immer wieder ins Haus ihrer Urgroßmutter zum Vater in dem Schwarzwalddorf gefahren war.
In der Beweisaufnahme sei es nicht gelungen, die „grundsätzlich glaubhaften Aussagen“ des Opfers zu erschüttern. Weil aber nur bestraft werden kann, was auch konkret nachgewiesen werden kann, reduziert sich die Anzahl der Delikte drastisch. Von den in der Anklageschrift aufgelisteten 25 Fällen bleiben noch sechs Missbrauchsfälle übrig. Hinzu kommt ein Messerwurf, der sein Ziel verfehlt hatte.
In allen anderen Fällen plädierte auch die Staatsanwältin auf Freispruch. Sie kam auf einen sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit Missbrauch mit Schutzbefohlenen, vier Fälle von sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und sexueller Nötigung, einen Fall vom Missbrauch von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung und schließlich die versuchte gefährliche Körperverletzung. Die Einzelstrafen hatte Bisegger zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten zusammengefasst.
So lief die bisherige Verhandlung
Erster Prozesstag: Das wird dem Angeklagten vorgeworfen
Zweiter Prozesstag: Das Opfer sagt mehr als drei Stunden aus
Dritter Prozesstag: Der Gutachter hält das Opfer für glaubwürdig