Höfesterben, Handwerkermangel und Dorfgemeinschaft hängen für Beate Wohlfahrt aus Deisendorf untrennbar zusammen. Als sie durch die Türkei und Armenien fährt, erfüllt sie Hoffnung. Überall blüht es. Bunte Farbtupfer sprenkeln die Landschaften. Diese kilometerlange Blumenwiese sei das Produkt kleinteiliger Landwirtschaft, sagt sie im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Diese Kleinteiligkeit ist für sie der Ausgangspunkt dafür, wie sie mit der Verbindung aus Landwirtschaft und Kinderbetreuung die Zukunft der Deisendorfer Dorfgemeinschaft stärken möchte.

Beate Wohlfahrt hat Bedenken, was die Ganztagsbetreuung angeht und will die Dorfgemeinschaft stärken, indem Kinder mehr mit ...
Beate Wohlfahrt hat Bedenken, was die Ganztagsbetreuung angeht und will die Dorfgemeinschaft stärken, indem Kinder mehr mit Landwirtschaft in Berührung kommen. | Bild: Rasmus Peters

Denn, so ihre Befürchtung: Wenn die Kinder bis nachmittags in der Schule sind, haben sie kaum Kapazitäten für Vereinsbeteiligung. Oder sie seien von der langen Schulzeit so angestrengt, dass sie lieber alleine etwas machen, statt sich mit Freunden zu treffen und durchs Dorf zu streifen – oder sich noch mehr digitalen Medien und sozialen Netzwerken zuwenden. Deshalb haben wir mit ihr, Roland Ruf als Vorsitzendem des Turnvereins Überlingen und der Feuerwehr über die möglichen Auswirkungen der Ganztagsbetreuung gesprochen.

Landwirtschaft in der Kinderbetreuung verankern

Wohlfahrt verbindet Erziehung und Handwerk: Sie ist gelernte Schreinerin und arbeitet als Heilerziehungspflegerin. Die anstehende Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab dem Schuljahr 26/27 hat sie dazu gebracht, ihre Gedanken in Form eines kleinen Buchs aufzuschreiben. Darin geht es unter anderem um die Frage, welchen Beitrag die Landwirtschaft in der Kinderbetreuung leisten kann.

Um Ihre Bedenken gegenüber der Ganztagsbetreuung auszudrücken, hat Beate Wohlfahrt sogar ein kleines Buch verfasst. Darin beschreibt sie ...
Um Ihre Bedenken gegenüber der Ganztagsbetreuung auszudrücken, hat Beate Wohlfahrt sogar ein kleines Buch verfasst. Darin beschreibt sie Ihre Idee, wie Landwirtschaft einer lebendigen Dorfgemeinschaft helfen könnte. | Bild: Rasmus Peters

Gemeinschaft könnte schwächer werden

Deisendorfs Ortsvorsteherin Karin Müller teilt Wohlfahrts Bedenken und stellt heraus: „Im Moment haben wir eine starke Dorfjugend.“ Deisendorf verzeichne etwa mit 36 Mitgliedern die stärkste Feuerwehr-Mannschaft jemals. Dass das so ist, komme nicht ohne Grund: „Es ist gewachsen“, sagt Müller und erklärt: „Sie gehen hier in den Kindergarten, besuchen anschließend vielleicht dieselbe Schule und zwischendurch sehen sie sich hier vor Ort.“ Doch wenn schon die Grundschüler sich auf diversen Schulen verteilen, befürchtet Müller, bleibe der Samen einer früh wachsenden Gemeinschaft aus.

Landwirtschaft in Kinderbetreuung integrieren

„Je mehr bei der Ganztagsbetreuung sind, umso weniger sind im Dorf. Das macht es auch unattraktiver, in einem Dorf zu leben“, fasst es Beate Wohlfahrt zusammen. Die Landwirtschaft solle deshalb kurzerhand in die Kinderbetreuung integriert werden. Aus diesem Grund mietete Wohlfahrt zusammen mit zehn Deisendorfer Familien vor zwei Jahren ein ungenutztes Gewächshaus auf dem nahegelegenen Ralzhof an. Dort züchten sie unterschiedliche Gemüsesorten und Kräuter. Mitglieder der Gruppe zahlen etwa 20 Euro Nutzungsgebühr, sagt Wohlfahrt.

In diesem Gewächshaus am Ralzhof ziehen Beate Wohlfahrt und zehn Deisendorfer Familien Tomaten hoch. Es ist eine Gemeinschaftsaktivität, ...
In diesem Gewächshaus am Ralzhof ziehen Beate Wohlfahrt und zehn Deisendorfer Familien Tomaten hoch. Es ist eine Gemeinschaftsaktivität, die helfen soll, Zusammenhalt zu fördern und Landwirtschaft in die Kindererziehung zu integrieren. | Bild: Beate Wohlfahrt

Für Ortsvorsteherin Müller ist es eine Möglichkeit, „wie man die Ganztagsbetreuung unterstützen könnte und auf diesem Weg die Dorfgemeinschaft fördert.“ Sie betont, man müsse dabei etwas weiter schauen als nur in die Schule. Nebenbei birgt die Tätigkeit für Wohlfahrt die Chance, Kinder und Jugendliche weg von digitalen Medien und Bildschirmen hin zu gemeinsamem Wirken als Dorfjugend zu führen.

Verein: Auswirkungen abhängig von Betreuungsdauer

Roland Ruf, Vorsitzender des Überlinger Turnvereins, teilt die vorgestellten Bedenken: „Wenn es eine gute Betreuung ist, ist es eine Entlastung für die Familien“, sagt er und betont das Wort „wenn“. Ohne die Vereine sei die Ganztagsbetreuung ohnehin nicht umsetzbar, sagt Ruf. Einzig der Deutsche Alpenverein und sein Turnverein hätten aufgrund ihrer Größe in Überlingen die Kapazitäten, die Grundschulbetreuung mitzugestalten. Stand jetzt seien die Zeiten für die Ganztagsbetreuung jedoch noch nicht festgelegt.

Roland Ruf, Vorsitzender des Turnvereins Überlingen, sieht skeptisch in Richtung Ganztagesbetreuung an Grundschulen.
Roland Ruf, Vorsitzender des Turnvereins Überlingen, sieht skeptisch in Richtung Ganztagesbetreuung an Grundschulen. | Bild: Hanspeter Walter

„Wenn sie bis 14.30 Uhr geht, ist es für uns unproblematisch“, sagt der Vereinsvorsitzende. „Problematisch wird es, wenn sie bis 16 Uhr oder 16.30 Uhr dauert.“ Viele der Vereinsangebote starten bereits um 15.30 Uhr, gibt er an. „Wenn sie so lange in der Schule sind, gehen sie nicht viermal die Woche in die Halle“, prognostiziert der Vereinsvorsitzende. Aktuell habe der Verein keine Nachwuchssorgen, nur ob das so bleibt, entscheide die Dauer der verpflichtenden Betreuungszeit.

Feuerwehr könnte sogar profitieren

Laut Daniel Dillmann, Pressesprecher der Freiwilligen Feuerwehr in Überlingen, könnte die Ganztagsbetreuung sogar einen gegenläufigen Effekt haben. „Bereits heute findet in den Bereichen der Brandschutzerziehung eine enge Zusammenarbeit mit Schulen und Kindergärten statt, sodass auch hierüber in gewissem Maße Nachwuchswerbung und eine Nachwuchsgewinnung erzielt werden kann“, erklärt er auf Nachfrage. Wie sich die Ganztagsbetreuung auf die Jugendarbeit der Feuerwehr auswirken könnte, könne zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht abgeschätzt werden.

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Einfluss auf die Mitgliederzahlen werde sie voraussichtlich nicht haben. Denn, so Dillmann, die Feuerwehr habe einen guten Zulauf aus dem einfachen Grund: „Der Traum vieler Kinder ist es, in einem roten Auto mit Blaulicht zu fahren.“ Dillmann schreibt: „In der Jugendarbeit geht es um den Aufbau von Sozialkompetenzen und das ehrenamtliche Engagement. Im Feuerwehrdienst wird auch praktisch deutlich, dass es nur im Team funktionieren kann“ – so gesehen liegen also Feuerwehr, Landwirtschaft und Dorfgemeinschaft nah beieinander.