Herr Edinger, Herr P., wie haben Sie für das Buchprojekt zusammengefunden?
Gerald Edinger: Ich habe Anfang 2021 für den SÜDKURIER eine Reportage über Drogen am Hochrhein geschrieben und über einen guten Bekannten bei der Polizei, der in der Drogenprävention tätig ist, Ringo P. kennengelernt. Ich hörte ihm zu, als er in einer Schulklasse zum Thema Drogen sprach. Im Anschluss daran schrieb ich einen Artikel über ihn, der aber nicht im Ansatz seine Lebensgeschichte rüberbringen konnte. Ich sagte ihm, dass dafür eigentlich ein Buch nötig sei. Nachdem der Artikel erschienen war, rief mich Ringo an und fragte mich, ob ich dieses Buch schreiben wolle.
Ringo P.: Meine Frau und ich wollten schon immer meine Geschichte aufschreiben, aber wir wussten nicht recht, wie das anfangen. Der Bericht von Gerald Edinger war sachlich und gut und ich bekam Vertrauen zu ihm und dachte, dass wir dieses Buch zusammen schreiben könnten.
Was hat das Erzählen beziehungsweise das Schreiben bei Ihnen ausgelöst?
Ringo P.: Es hat mich teilweise schon mitgenommen. Ich war 25 Jahre auf Drogen, das heißt: Ich war jeden Tag breit, da kriegt man gar nicht viel mit. Ich sah hinter dem Vorhang immer nur Stückchen meines Lebens, aber beim Erzählen sind dann immer wieder neue Sachen hochgekommen.
Gerald Edinger: Was ich nach seinen Aussagen in Worte fasste, war für mich teilweise schockierend, teilweise berührend. Aber ich habe nie gedacht: „Wie konnte ihm das nur passieren?“ Die Zeit seiner Jugend waren die wilden 60er/70er Jahre, also die Zeit, die für Sex, Drugs und Rock ‚n‘ Roll stand. Drogen galten als schick und waren überall präsent, vor allem auch in der Musik, bei Musikern. Ich bin in der gleichen Zeit groß geworden, aber ich hatte Glück. Ich lebte in einem ländlichen, freundlichen und behüteten Umfeld, hatte Menschen, die mir Geborgenheit gaben und den Rücken stärkten. Wenn ich in seiner Umgebung aufgewachsen wäre, mit seinen Freunden, hätte mir das auch passieren können.
Herr Edinger, liefert das Buch auch Hintergrundinformationen?
Ja, es war uns Beiden wichtig, keine oberflächliche Geschichte zu liefern, sondern in die Tiefe zu gehen. Zum einen auf der persönlichen Ebene, indem beispielsweise das Verhältnis Ringos zu seinen Eltern und zu seiner Clique zur Sprache kommt und zum anderen auf gesellschaftlicher Ebene: Ich hatte durch meine Drogen-Reportagen schon viel an Material über Drogen am Hochrhein und für das Buch zusätzlich im Umfeld von Frankfurt recherchiert, das war damals eine richtige Drogenhölle, es wurde offen gedealt, entsprechend einfach war es, in diese Szene reinzurutschen.
Herr P., wenn Sie zurückblicken, warum, glauben Sie, haben Sie Drogen genommen und was haben die Drogen aus Ihnen gemacht?
Ich denke, ausschlaggebend war meine Kindheit, mein Selbstwertgefühl wurde ein Stück weit mit Füßen getreten. Sucht hat immer etwas mit Beziehung zu anderen zu tun, wenn da ein Loch ist, eine Leere, eine Sehnsucht, versucht man, dies mit etwas auszufüllen, bei mir waren es Drogen. Sucht ist hingebungsvolles Suchen, ohne je etwas zu finden. Irgendwann drehte sich dann in meinem Leben alles nur noch um die Frage: „Wo bekomme ich Stoff her, wo das Geld dafür?“ Ich habe die Leute, auch meine Eltern, nach Strich und Faden beklaut. Die Drogen haben täglich 24 Stunden mein Leben gesteuert, bis das Wunder passierte.
Was für ein Wunder?
Als ich ins Gefängnis kam, hatte ich viele erfolglose Therapien hinter mir und wog noch 54 Kilo. Ich habe in dieser Zelle gebetet: „Gott, wenn‘s dich gibt, mach was.“ Irgendwann lag ich auf meiner Pritsche und spürte eine Atmosphäre des Friedens, meine Suche und meine Sehnsucht waren gestillt und ich hatte keine Entzugserscheinungen. Junkies, die sehr lange abhängig sind, brauchen ein Wunder. Mir ist das Wunder passiert, dass Gott zu mir kam.
Herr Edinger, was haben Sie gedacht, als Ringo Ihnen von seinem Wunder erzählte?
Ringos Leidensdruck war sehr groß und er hat Hilfe von Gott bekommen – als Ringo dies erzählte, kam es echt rüber. Was er erlebt hat, zeigt, was Glaube bewirken kann. Auch mir ist der Glaube sehr wichtig. Wir, Ringo und ich, denken auch, dass es kein Zufall war, dass wir Beide uns kennengelernt haben.
Herr P., worüber wir noch gar nicht gesprochen haben, ist das markante Tattoo auf Ihrem Hinterkopf – wofür steht es?
Der Löwenkopf ist ein biblisches Synonym für Jesus Christus. Der Löwe ist der König der Tiere und Jesus ist mein König. Ich habe noch weitere Tattoos. Alle sind entstanden, nachdem ich aus dem Drogensumpf herausgefunden hatte und alle haben einen religiösen Bezug. Ich habe meine Vergangenheit im Lichte Gottes aufgearbeitet, hätte ich das nicht gekonnt, wäre ich verzweifelt. Die Sucht hat natürlich große körperliche und psychische Spuren hinterlassen, aber ich habe meinen Sinn und meinen Frieden im Leben durch Gott gefunden, stehe aber kritisch zu katholischen Kirche und habe leidvolle Erfahrungen mit ihr gemacht.
Herr Edinger, im zweiten Teil des Buchs schreiben Sie über diese leidvollen Erfahrungen Ringos, richtig?
Ja, Ringo hat in Celle zusammen mit seiner Frau ein Haus für ehemalige Drogenabhängige geführt. Im Umfeld des Hauses haben sie einen Missbrauchsskandal durch einen katholischen Priester aufgedeckt. Man hat den Beiden nicht geglaubt und ihre Arbeit zerstört. Sie wurden belästigt und bedroht und sind schließlich weggezogen. Das Nachwort in dem Buch schreibt Pater Klaus Mertes, der ehemalige Leiter des Kollegs St. Blasien. Er hat den Beiden geglaubt. Mittlerweile sind Ringo und seine Frau rehabilitiert.
Was wünschen Sie sich mit Blick auf das Buch?
Ringo P.: Ich hoffe natürlich zunächst, dass es viel gelesen wird. Dass Jugendliche in meiner Geschichte ein Stück weit sich selbst begegnen und sie so für das Thema sensibilisiert werden und gar nicht erst in den Drogensumpf hinein geraten. Und wenn doch, hoffe ich, dass das Buch ihnen Mut macht, sich einzugestehen, dass sie süchtig sind und sie dann aufstehen, um etwas in ihrem Leben zu ändern. Es gibt viele Wege in die Droge, es gibt aber auch viele, rauszukommen. Meinen Weg aus dem Drogensumpf habe ich im Glauben gefunden. Früher haben die Menschen in Notlagen gebetet, heute wird der Glaube immer weniger weitergegeben. Man darf ihn aber nicht den Jugendlichen vorenthalten, man betrügt sie, wenn man das tut. Der Glaube ist ein Fundament, auf dem man stehen kann. Gerade auch die Pandemie sollte uns auf wahre Werte wie Freundschaft, Liebe, Nähe und den Glauben zurückwerfen.
Gerald Edinger: Ich denke, dass das Buch nicht nur für Jugendliche interessant ist, sondern auch für Eltern. Es zeigt, dass sie offene Augen haben müssen für die Kreise, in denen sich ihre Kinder bewegen. Dass sie da sein und Vertrauenspersonen sein müssen, mit denen ihre Kinder über alles reden können. Und es ist, wie schon gesagt, ein Buch, dass zeigen will, was der Glaube bewirken kann.
Herr Edinger, können Sie sich vorstellen, noch ein zweites Buch zu schreiben?
Sollte mir nochmals jemand eine solch aufrüttelnde und authentische Lebensgeschichte erzählen wie Ringo, könnte ich mir durchaus ein zweites Buch vorstellen.