Stadtnähe, Alpenblick, Südhang­lage – der Haspelhang gehört heute zu den gefragtesten Wohngegenden Waldshuts. „Und die vielen Sonnenstunden hier oben am Waldrand waren auch der Grund dafür, dass hier mehrere Jahrhunderte lang Weinreben standen“, sagt Raimund Walde und zeigt bei seiner Stadtführung sogar einen Foto-Beweis von 1890.

Rund 38 Jahre lang hat Walde die städtische Tourist-Info geleitet. Heute führt er noch Interessierte bei Führungen durch die Stadt – und widmet sich in einer ganz der Waldshuter Weingeschichte. „Das liegt mir persönlich am Herzen, weil ich aus einer echten Wein-Familie komme“, sagt er.

Raimund Walde bei seiner Stadtführung zum Weinbau in Waldshut auf dem evangelischen Friedhof.
Raimund Walde bei seiner Stadtführung zum Weinbau in Waldshut auf dem evangelischen Friedhof. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Sein Großvater – ebenfalls Raimund Walde – hat als einer der Küfermeister von Waldshut Weinfässer in Handarbeit hergestellt. Sein ebenso gleichnamiger Vater war Weinhändler, und zwar im wuchtigen Gewölbe des Kornhauskellers. „Hier standen von 1878 bis 1993 edle Tropfen in riesigen Fässern für den Verkauf bereit“, sagt Walde, „als kleiner Bub habe ich täglich da unten gespielt“.

Jahrhunderte der Weinbau-Tradition

Die Geschichte des Weinbaus in Waldshut-Tiengen lässt sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Erstmals urkundlich erwähnt wurden Reben in Waldshut im Jahr 1321, in Tiengen 1349.

Und es gab nicht etwa nur ein paar Weinstöcke: Beinahe flächendeckend sollen von der Alb über Dogern, das Liederbachtal, den Haspel, den Aarberg bis hinüber nach Tiengen – sowohl an der Wutach, als auch am Glockenberg- und Vitibuckhang – und weiter bis in den Klettgau Reben das Landschaftsbild geprägt haben.

„Überall wo es der Boden und die Lage zuließ, standen Rebstöcke“, schreibt Heimat-Historiker Franz Falkenstein in einem Text von 2005. Laut Heinz Voellners Chronik „Tiengen – Bild einer alten Stadt“ sollen sogar die Römer (72 bis 282 nach Christus in Tiengen) mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits „unsere klimatisch und bodenmäßig für den Weinbau sehr günstigen Tiengener Muschelkalkhänge mit Reben bepflanzt“ haben.

Weingärten in der Hand von Klöstern

In der Blütezeit des Weinbaus waren Weingärten überwiegend Klostersache: Die Klöster Rheinau, St. Blasien, Grafenhausen, Riedern a. W. und Berau haben in Tiengen Weingärten besessen.

In Waldshut besaß unter anderem das Schweizer Kloster Königsfelden und später der Stift St. Blasien Reben. Doch auch viele Bürger hatten Reben – auch weil Wein damals laut Voellner das Hauptgetränk im Alltag war.

Stadtarchivar Ingo Donnhauser zeigt stolz das Originalfoto der Weinreben über Waldshut von 1890.
Stadtarchivar Ingo Donnhauser zeigt stolz das Originalfoto der Weinreben über Waldshut von 1890. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

In sogenannten Trotten wurden Ernte und Kelterei strengstens dokumentiert. Hier wurde auch der Zehnt, also die Steuer auf den Wein, meist in flüssiger Form abgezwackt und anschließend an den Grundbesitzer übergeben. Sieben solche Gebäude gab es laut Voellner in Tiengen, 16 laut Falkenstein um 1778 in Waldshut.

Und auch der Besitz und Verzehr war zumindest in Waldshut genauestens reglementiert: „Bürger, die keine eigenen Reben hatten, durften nicht mehr als einen Eimer (12 Liter) Wein ‚zu seiner Hauses Nothdurft‘ im Keller haben“, schreibt Falkenstein.

Im Kornhauskeller lagert der Wein

„Gelagert wurde der Wein in Waldshut in den großen Gewölbekellern, die sich auch heute noch ein- oder zweistöckig unter der Kaiser-, Rhein- und Wallstraße verbergen“, sagt Stadtführer Raimund Walde.

„Der wohl bekannteste ist der Kornhauskeller, der damals der Amtskeller war. Hier wurde der Zehnt der Stadt aufbewahrt.“ Weil viele Tiengener Häuser keinen Keller hatten, konnten Tiengener ihren Wein gegen Gebühr im Stadtkeller (unter der Fußgängerzone, Höhe Müller) lagern.

Waldshuter Wein galt als sehr sauer

Der Waldshut-Tiengener Wein, überwiegend aus der Elbling-Rebe gekeltert, wurde laut Raimund Walde oft als „Wein zum Weinen“ bezeichnet, weil er recht sauer im Geschmack war. „Dennoch war Wein lange der wichtigste Wirtschaftsfaktor“, sagt Walde.

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Doch die Winzer hatten mit Naturgewalten zu kämpfen: „Heuschreckenplagen, gefräßige Vogelschwärme, eine Verschlechterung des Klimas und aus Amerika eingeschleppte Schädlinge wie die Reblaus erschwerten den Anbau zunehmend“, weiß Walde zu berichten. „Außerdem wurde Bier beliebter und erste Brauereien entstanden.“

Das Ende kommt durch Innovation

Mit der industriellen Revolution entstanden Textilfabriken, die einen sichereren Job boten und Arbeiter abwarben, mit dem Bau der Eisenbahn (ab 1856 in Waldshut) konnte man zudem schließlich bessere und günstigere Weine in die Region schaffen.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts mehren sich daher Berichte über den Rückgang des Weinbaus. Schließlich entstanden in den 1870er-Jahren erste Häuser auf dem Haspel und weiteren Sonnenhängen der Doppelstadt – und die Weinberge wurden Wohnbergen.

Viele historische Spuren

Auf Streifzug mit Raimund Walde durch Waldshut ist besonders der evangelische Friedhof bedeutsam. „Wo heute das evangelische Pfarrhaus steht, stand einst die Waldtor-Trotte“, sagt Walde und zeigt anschließend zwei Gräber, die historisch relevant sind: Das von Albert Jrion, dem ersten Kornhauskeller-­Weinhändler, und das von seinem Großvater Raimund Walde – „Küfermeister“ ist darauf zu lesen.

Raimund Walde bei seiner Stadtführung zum Weinbau in Waldshut auf dem evangelischen Friedhof. Im Hintergrund ist das Grab seines ...
Raimund Walde bei seiner Stadtführung zum Weinbau in Waldshut auf dem evangelischen Friedhof. Im Hintergrund ist das Grab seines Großvaters zu sehen, der Küfermeister in Waldshut war. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Ein paar Schritte weiter, in der Stadtscheuer, kann man die riesige Front eines einst 8000 Liter fassenden Weinfasses bestaunen: „Es stand lange im Kornhauskeller, war in Familienbesitz und wir haben es der Stadt gestiftet.“

8000 Liter Wein passten in das Fass, dessen Front heute die Mauer in der Stadtscheuer in Waldshut ziert. Raimund Walde hat den ...
8000 Liter Wein passten in das Fass, dessen Front heute die Mauer in der Stadtscheuer in Waldshut ziert. Raimund Walde hat den Familienbesitz der Stadt vermacht. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Außerdem erinnert das Junggesellenlied ‚O alte Waldstadt Herrlichkeit‘ an die Waldshuter Weingeschichte. Die zweite Strophe lautet: „Vom Spittelwald zu Habers‘ Trott da wuchsen unsere Reben, die waren uns vom lieben Gott zu Lust und Freud gegeben.“ Auch heute noch singen die Junggesellen und die Ehemaligen, etwa beim Gulaschessen am Chilbimontag, dieses Lied.

Im Traditions-Lied der Junggesellen und Alt Waldshut heißt es in der zweiten Strophe: „Vom Spittelwald zu Habers‘ Trott da ...
Im Traditions-Lied der Junggesellen und Alt Waldshut heißt es in der zweiten Strophe: „Vom Spittelwald zu Habers‘ Trott da wuchsen unsere Reben, die waren uns vom lieben Gott zu Lust und Freud gegeben. Und gab‘s im Herbste neuen Wein, so lud ein Freund den andern ein...“. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

In Tiengen gibt es ebenfalls Spuren: Ein Kupferstich von J. Schmuzer von 1737 zeigt den Blick vom Vitibuck über zahlreiche Reben auf die alte Stadtbefestigung. Und laut Heinz Voellner können aufmerksame Spaziergänger am Glockenberg alte Steinwälle erkennen, die bei der „Urbamachung des Geländes und beim Behacken der Rebenkulturen“ angefallen waren.

Auf diesem Kupferstich von 1737 hielt J. Schmuzer die Weinreben rund um die Stadtbefestigung von Tiengen fest.
Auf diesem Kupferstich von 1737 hielt J. Schmuzer die Weinreben rund um die Stadtbefestigung von Tiengen fest. | Bild: Stadtarchiv Waldshut-Tiengen

Tiengens Stadtführer Ronald Landwehr thematisiert bei seinem „Abendspaziergang durch Tiengen“ die Weingeschichte der Klettgau-Hauptstadt und sagt: „Wenn man den Spitalweg entlang geht und hinauf zum Vitibuck läuft, kann man die Terrassen und Stützmauern noch erkennen.“ Bei seiner und Waldes Führung kann man zum Abschluss ein Glas Elbling probieren – und dabei Geschichte mit allen Sinnen erleben.

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