David Rutschmann

Kein anderes Quartier der Stadt ist so stark in den Wald eingebettet wie die Bergstadt. Hier oben wird Waldshut seinem Namen gerecht: Von allen Seiten begrenzt Wald die Siedlung, selbst mitten im Wohngebiet sind über den Dächern der Häuser Baumwipfel zu erkennen. „Früher ist man sogar durch einen richtigen Laubtunnel zur Bergstadt hochgefahren, das war aufregend“, sagt Anette Klaas.

Die Serpentinen der Kalvarienbergstraße führen durch den Wald in die Bergstadt. Fußgänger nehmen den Stationenweg, der an Denkmalen von ...
Die Serpentinen der Kalvarienbergstraße führen durch den Wald in die Bergstadt. Fußgänger nehmen den Stationenweg, der an Denkmalen von Jesus Kreuzigung entlang zur Kalvarienberg-Kapelle führt. | Bild: David Rutschmann

Die 56-Jährige empfängt in ihrer Doppelhaushälfte am Ulmenweg – passenderweise ist ein Großteil der Straßen in der Bergstadt nach Bäumen benannt. Hier wohnt die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises seit zwölf Jahren, doch eigentlich ist sie „Ur-Aarbergerin“: Als sie elf Jahre alt war, zogen ihre Eltern mit ihr aus dem Musikerviertel in eins der ersten zehn Häuser, die auf dem Aarberg gebaut wurden.

Sie zeigt Fotos aus dieser Zeit: sie selbst in jungen Jahren in der ebenso jungen Siedlung und ihr Wellensittich Peterle vor dem Fenster ihres Kinderzimmers: „Damals waren die Bäume noch so niedrig, dass man den direkten Blick auf die Rheinkurve bei Dogern hatte.“

Fotos von früher: Ein Blick aus dem Kinderzimmer von Anette Klaas und auf die junge Bergstadt-Siedlung.
Fotos von früher: Ein Blick aus dem Kinderzimmer von Anette Klaas und auf die junge Bergstadt-Siedlung. | Bild: David Rutschmann

Nicht nur die Bäume sind seit Mitte der 1970er gewachsen – so sehr, dass sich Klaas bei manchen Exemplaren sorgt, diese könnten beim nächsten Sturm einkrachen – auch die Siedlung: Von zehn Familien auf heute 2200 Einwohner. Ob die Siedlung noch weiter wachsen wird, ob eine Bebauung „Bergstadt 4“ entstehen wird, ist noch unklar, aber das Entwicklungspotenzial ist definitiv vorhanden.

Klaas leint ihren knapp einjährigen Hund Toni an, wir wollen Gassi gehen. In der Bergstadt würden viele Leute mit Hunden wohnen, man kenne sich vom Gassigehen, so Klaas: „Bei manchen kenne ich den Namen des Hundes, aber nicht vom Herrchen oder Frauchen“, sagt sie lachend. Doch eigentlich kenne sie sehr viele der Bewohner der Bergstadt: „Die Nachbarschaft ist besser als auf dem Dorf, aber trotzdem ist nicht der Druck da, sich einzubringen. Auf eine gewisse Art hat man dann doch eine städtische Anonymität.“

Gerade, saubere Straßen und Häuser, denen man ihr junges Baujahr ansieht. Hier im Siedlungsabschnitt „Bergstadt 2“.
Gerade, saubere Straßen und Häuser, denen man ihr junges Baujahr ansieht. Hier im Siedlungsabschnitt „Bergstadt 2“. | Bild: David Rutschmann

Wir laufen die Straße entlang. Die Bergstadt gleicht einem Bilderbuch-Vorort: Einfamilienhäuser mit Vorgärten, aber auch moderne, suburbane Wohnblocks, die Straßen sind ordentlich und gerade, Kinder spielen auf der Straße, hier herrscht überall Tempo 30. „Nur in der Eichholzstraße wird furchtbar gerast, daran muss sich etwas ändern“, sagt Klaas, die für die FDP im Stadtrat sitzt.

Wir biegen ab auf einen Schotterweg, der zu einem Spielplatz führt. Spielplätze begegnen uns quasi an jeder Ecke, alle sind an diesem bedeckten Nachmittag besucht. Links und rechts liegen still die Wasserrücklaufbecken, sie sehen hier eher wie natürliche Tümpel aus.

Die Gewässer ziehen Insekten an, in der Siedlung gibt es daher eine Schnakenplage. Die Teiche im Wald, auf denen Klaas und die anderen Aarberg-Kinder früher Floßfahrten machten, sind zudem Amphibiengebiet. „Wir haben schon unzählige Frösche über die Straße getragen.“

Vom Bilderbuch-Vorort in den großen Garten: Spaziergänge durch die Siedlung führen an Wasserrückstaubecken entlang.
Vom Bilderbuch-Vorort in den großen Garten: Spaziergänge durch die Siedlung führen an Wasserrückstaubecken entlang. | Bild: David Rutschmann

Wir kreuzen die Eschenstraße und laufen inmitten großer Wohnblocks hindurch. Früher sei hier die „Hundescheißewiese“ gestanden, die immer vermüllt wurde. Dieses Problem hat sich mit der Bebauung auf die Wiese dahinter verlagert, die an der Ecke Eichholzstraße/Blois Straße liegt. Mitten im Herzen der Bergstadt befindet sich nämlich eine große Baulücke, die immer noch nicht geschlossen ist.

Die letzte große Baulücke an der Kreuzung Bloisstraße/Eichholtzstraße. Ein Projektwettbewerb der Stadt konnte in der Vergangenheit keine ...
Die letzte große Baulücke an der Kreuzung Bloisstraße/Eichholtzstraße. Ein Projektwettbewerb der Stadt konnte in der Vergangenheit keine Verwendung für das Bauland finden. Die Bewohner würden sich ein zentrales Quartierszentrum wünschen. | Bild: David Rutschmann

Der Platz war schon Objekt etlicher Spekulationen. Mit dem Ausbau der Bergstadt wurde der Wunsch nach einem zentralen Quartierplatz oder einem Gemeinschaftsplatz, besser noch eines Großhändlers, stärker. Denn aktuell noch ist die Bergstadt eine Satellitensiedlung: Einkaufsmöglichkeiten gibt es hier keine, Dienstleistungen nur wenige, Arbeitsplätze eigentlich fast nur in den beiden Kindergärten.

Ein Projektwettbewerb der Stadt brachte allerdings nur ein Angebot, welches die Stadt nicht weiterverfolgen wollte. So erzählte es Philipp Frank – nach Martin Albers schon der zweite Oberbürgermeister, der auf dem Aarberg wohnt – bei seiner Sommertour auf dem Aarberg.

„Gerade ein Café mit Bäckerei, in dem sich auch die älteren Leute treffen können, fehlt hier schon“, sagt auch Anette Klaas. Anstatt ein Gebäude auf die Wiese zu stellen und den Anwohnern die Aussicht zu verbauen, schlägt sie einen Gemeinschaftszentrum-Anbau neben der neuen Kita an der Eichholzstraße vor.

Die neue Kindertagesstätte an der Eichholzstraße.
Die neue Kindertagesstätte an der Eichholzstraße. | Bild: David Rutschmann

Wir laufen die Bloisstraße entlang, auf der anderen Straßenseite kratzen Hochhäuser an den Wolken. Die Hochhäuser wurden als Sozialwohnungen gebaut. Sie verliehen der Bergstadt in den 1980ern ein Image als sozialer Brennpunkt, so Anette Klaas: „Jedes Wochenende war hier die Polizei. Es wurden Geschichten erzählt von verprügelten Frauen und sogar einer Vergewaltigung. In dieser Zeit wurden oft Autoreifen zerstochen und Spielplätze zerstört. Natürlich wollte damals niemand hier eine Bäckerei aufmachen – die wäre zerstört worden.“

Ein sozialer Graben zieht sich durch die Bloisstraße: Sozialbau-Blocks auf der einen, schicke Neubauten auf der anderen Straßenseite.
Ein sozialer Graben zieht sich durch die Bloisstraße: Sozialbau-Blocks auf der einen, schicke Neubauten auf der anderen Straßenseite. | Bild: David Rutschmann

Heute sind auf der anderen Straßenseite Neubauten mit ebenerdigen Terrassen. „Damals wäre das undenkbar gewesen, man hätte zu viel Angst vor Einbrüchen gehabt“, erzählt Klaas. Die Zeiten haben sich geändert, doch noch immer zieht sich ein sozialer Graben durch die Blois Straße: Schicke Neubauten auf der einen, Wohnblocks à la Berlin-Mahrzahn auf der anderen Seite. „Aber mittlerweile wohnen zum Teil reiche Schweizer in der obersten Etage: Sie haben die Dachterrassenwohnungen gekauft und schick umgebaut“, sagt Klaas.

Die Hochhaussiedlung in der Bloisstraße galt früher als sozialer Brennpunkt.
Die Hochhaussiedlung in der Bloisstraße galt früher als sozialer Brennpunkt. | Bild: David Rutschmann

Durch den Lewesweg kommen wir in die Tannenstraße. Rechts zeichnet sich die Häuserzeile ab, in der Klaas aufwuchs. Ihre Mutter wohnt noch immer in einem der Häuser. Klaas erzählt, wie die Häuser ursprünglich Flachdächer hatten, die wegen schlechter Bauweise schon nach wenigen Jahren rissig wurden. Ihre Eltern und die Nachbarn kämpften also für Satteldächer, damit es nicht mehr in die Wohnungen regnete – dafür musste der Bebauungsplan geändert werden.

Die originale Häuserreihe an der Tannenstraße. Die ersten Häuser auf dem Aarberg waren zunächst Flachdach-Bauten, später bekamen die ...
Die originale Häuserreihe an der Tannenstraße. Die ersten Häuser auf dem Aarberg waren zunächst Flachdach-Bauten, später bekamen die Häuser ein Spitzdach aufgesetzt. | Bild: David Rutschmann

Doch eigentlich habe ihre Kindheit sowieso sehr viel mehr draußen als in der verregneten Wohnung stattgefunden, so Klaas. „Es gab keinen Tag, an dem ich nicht auf einen Baum geklettert bin“, sagt sie. Die Faszination für den Wald bewahrt sie sich über die Kindheit hinaus.

Deshalb führt sie der Weg zu ihrem Lieblingsplatz auf dem Aarberg auch in den Wald, zu einer Aussichtsplattform, von der aus man den perfekten Blick auf die Rheinschiene bis nach Dogern hat. Dort hatte Klaas in der Jugend ihre Clique. „Ich habe ihnen von hier aus Lichtsignale gemacht, das hat man tatsächlich bis in Dogern gesehen“, erzählt sie.

Anette Klaas auf dem Aarberg-Spaziergang mit Hund Toni.
Anette Klaas auf dem Aarberg-Spaziergang mit Hund Toni. | Bild: David Rutschmann

Heute wie damals ist der Platz bei Jugendlichen beliebt. „Hier wird viel gekifft“, so Klaas. Manchmal hängen die Jugendlichen auch nachts auf den Spielplätzen in der Siedlung rum. „Wenn sie zu laut sind, sage ich ihnen, dass sie doch zum Jugendraum gehen können.“ Der Jugendraum mit Bolzplatz und Basketballplatz entstand 2017 auf Initiative der Jugendlichen und ist seitdem so gut wie immer gut besucht.

Jugendraum, Basketballplatz, Tischtennisplatten – alles in Eigenregie auf Wunsch der Aarberg-Jugend entstanden.
Jugendraum, Basketballplatz, Tischtennisplatten – alles in Eigenregie auf Wunsch der Aarberg-Jugend entstanden. | Bild: David Rutschmann

Wie in jeder Siedlung gibt es auch auf dem Aarberg hin und wieder Probleme mit Jugendlichen. Klaas hat Verständnis: „Während früher andere ins Freibad einbrachen, sind wir auf dem Aarberg damals nachts über die Friedhofsmauern geklettert.“ Der Bergfriedhof ist die letzte Station unseres Rundgangs, Klaas bezeichnet ihn als „Lunge des Aarbergs“.

Die Aufbahrhalle auf dem weitläufigen Bergfriedhof. Hier wurden schon lange bevor Wohnhäuser auf dem Aarberg gebaut wurden Menschen ...
Die Aufbahrhalle auf dem weitläufigen Bergfriedhof. Hier wurden schon lange bevor Wohnhäuser auf dem Aarberg gebaut wurden Menschen begraben. | Bild: David Rutschmann

Der Friedhof ist der Grund, warum auch Nicht-Bergstadt-Bewohner den Weg auf den Aarberg finden. „Auswärtige haben mir schon gesagt, es sei einer der schönsten Friedhöfe, die sie kennen“, sagt Anette Klaas, als sie vor dem Eingang stehen bleibt. Denn zumindest der Gassi-Spaziergang mit Toni muss vor den Friedhofstoren enden – Hunde müssen draußen bleiben.

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