Ob ich nicht das Steuer übernehmen möchte, will der Pilot wissen. Durch die Kopfhörermuscheln kommt die Frage etwas verzerrt, aber laut und deutlich bei mir an. "Es ist gar nicht schwer", sagt der Mann mit dem Dreitagebart und lächelt mir aufmunternd zu. Wir sind alleine. Vor uns: die Burg Hohenklingen. Dahinter: die Stadtmauer von Stein am Rhein. Unter uns geht es hunderte Meter senkrecht in die Tiefe. "Er wird schon wissen, was er tut", versuche ich mir einzureden. Trotzdem zittert meine Hand, als ich mich Richtung Steuerknüppel vortaste. Nein, mit einem normalen Passagierflug ist das alles nicht zu vergleichen. Das hätte mir aber schon zehn Minuten früher auffallen können.
Am Segelflugplatz Binningen gibt es keinen Nacktscanner. Auch auf Einchecken, Passkontrolle und den Gang durch parfümgeschwängerte Duty-Free-Shops verzichtet man hier. Stattdessen werde ich von meinem Piloten geduzt und mit einem lässigen Handschlag begrüßt. "Lorenz", stellt sich der großgewachsene Mann im schwarzen Polohemd vor, bevor er sich Nora zuwendet. Nein, Nora ist keine Stewardess. Und doch ist sie so etwas wie Lorenz liebste Flugbegleiterin.
85 000 Euro hat das weiß-grüne Ultraleichtflugzeug gekostet, mit dem der Schweizer regelmäßig von Binningen aus abhebt. "Sie ist ein Schleppflugzeug, mit dem wir die Segelflieger hochziehen", erklärt Lorenz, während er die Propellermaschine scheinbar mühelos von der Flughalle auf die Wiese vor uns schiebt. Hilfe braucht er nicht.
Pizzaflug statt Abstellplatz
Seit zwei Jahrzehnten schon nutzt Lorenz den Segelflugplatz in Binningen. Er ist einer von 45 Hobbypiloten, für den hier, acht Kilometer hinter Hilzingen, die Freiheit anfängt. Gemeinsam schraubt man an Propellermaschinen und Segelfliegern und gibt sich bei Flügen Funkunterstützung. "Ab und zu treffen wir uns auch für einen Pizzaflug", erzählt der Vereinsvorsitzende Stefan Brütsch, während Lorenz das Flugzeug auf der Startbahn in Stellung bringt. Bitte? "Einer von uns fliegt nach Stahringen und bringt für alle Pizza mit", sagt Brütsch und lacht.
Im Gegensatz zu anderen Flugsportvereinen wollen die Binninger mehr bieten, als nur die Möglichkeit, das eigene Flugzeug zu parken. "Wir nehmen jedes Jahr am Kinderferienprogramm teil, haben auch unseren eigenen Stand am Weihnachtsmarkt." Dass die Mitglieder – zumeist Männer zwischen 40 und 65 – ihre Freizeit gerne zusammen verbringen, glaubt man ihnen sofort. Alle strahlen eine urige Gemütlichkeit aus.
Nora ist mittlerweile abflugbereit. Ich darf mich auf dem Co-Piloten-Platz anschnallen, während Lorenz einen ausführlichen Sicherheitscheck absolviert.

Dann reicht mir der Schweizer einen dicken Kopfhörer herüber. "Bist du bereit? Dann: Let’s go!" Mit 70 Sachen zischen wir geradeaus über die Wiese. In dem kleinen Cockpit eine ganz schön rucklige Angelegenheit. "Er wird schon wissen, was er tut", wiederhole ich leise mein persönliches Nachmittags-Mantra. Dann zieht mein Nebenmann die Maschine hoch. Wir sind in der Luft. Die nächsten Minuten ist nur das Brummen des Propellers zu hören. Wälder, Felder und gelbgrün glänzende Wiesen breiten sich unter uns aus. Eine echte Postkartenidylle. "Die Gegend ist wunderschön", schwärmt Lorenz. "Alpen, Hegau, Schwarzwald, Bodensee – alles in der Nähe. Wenn du in Norddeutschland fliegst, siehst du die ganze Zeit nur Felder", sagt der Pilot und lacht. Gerade bin ich dabei, mich vollends zu entspannen, als Lorenz mir das Steuer anbietet.
Delta, Foxtrott und Tom Cruise
Und tatsächlich, wie eingangs versprochen, ist es gar nicht so schwierig. Zum einen liegt das daran, dass der Schaltknüppel zweigeteilt ist: Ähnlich wie ein Fahrschullehrer über seine Pedalen, kann mein Nebenmann jederzeit im wahrsten Sinne des Wortes eingreifen. Und zum anderen liegt das daran, dass Lorenz netterweise die blinkenden Knöpfe und Messgeräte für mich im Auge behält: "Siehst du, jetzt steigst du." Ich korrigiere unsere Flugbahn, sodass wir wieder waagrecht in der Luft liegen. 30 Sekunden vergehen, die sich mindestens doppelt so lange anfühlen. Dann übernimmt der Pilot wieder alleine das Steuer.
Wir haben gerade Radolfzell erreicht, als plötzlich einer von Lorenz Vereinskameraden in einem weiß-blauen Flieger mit der Heckaufschrift D-MWFG vor uns auftaucht. Beide Maschinen legen sich in die Kurve, schweben danach parallel nebeneinander her. Formationsflug. Das funktioniert, weil die Piloten permanent in Funkaustausch bleiben. Dabei benutzen die Beiden das englische Funkalphabet und Ausdrücke wie "Delta" und "Foxtrott". Unwillkürlich muss ich an den Actionfilm Top Gun denken. Vielleicht macht ja auch das den Reiz dieses Hobbies aus. Und wenn es nur ein paar Minuten sind: Hier oben gibt es keine Pflichten, keine Probleme. Solange wir die Messgeräte im Auge behalten, dürfen wir uns fühlen wie Tom Cruise. Unabhängig. Lässig. Frei.

Als ich nach unten schaue, fühle ich mich dann doch kurz an die Arbeit erinnert. Inzwischen haben wir die Stadtgrenzen von Singen überflogen. Unter uns kann ich den Bahnhof, die Cano-Baustelle und, kleiner dahinter, das SÜDKURIER-Gebäude ausmachen. Wir lassen die Arbeit, Arbeit sein und nehmen lieber unser nächstes Ziel ins Visier: den Hohentwiel. Von oben wirkt die Festung überraschend überschaubar. Ich knipse wie wild auf den Auslöser meiner Kamera, denn schon wenige Sekunden später liegt die gigantische Festungsanlage wieder hinter uns.
Viel zu schnell vorbei: Das Gleiche gilt für meinen halbstündigen Flug mit Lorenz. Kaum haben wir Singen passiert, nähern wir uns wieder der Landebahn. Instinktiv spanne ich die Oberschenkel an, als Lorenz Nora, sich und mich Richtung Erdboden lenkt. Wäre gar nicht nötig gewesen. "Das war überraschend sanft", staune ich, als die Maschine allmählich zum Stehen kommt. "Das war mein Ehrgeiz, dass du das sagst", meint Lorenz bevor wir uns lachend verabschieden.