Die Jahre des letzten Kriegen überschatten das Leben der damaligen Kinder bis heute, wie Zeitzeugen von einst in einem Projekt von heute berichten. Diese Erinnerungen, die den jungen Leuten aufzeigen, was ein Krieg den Menschen antut, gewinnen vor dem aktuellen Hintergrund des Ukraine-Kriegs noch mehr an Bedeutung.

Bis sie vierzig Jahre alt gewesen sei, habe sie noch ständig vom brennenden Berlin nach den Bombenangriffen geträumt, erzählt Marita Henggeler und denkt dabei an die Kinder in der Ukraine, die nun auch derartiges erleiden müssen.

Henggelers Schilderungen und die von Wolfgang Heil bildeten den Auftakt für das erste gemeinsame Projekt des Seniorenrats Hilzingen an der Peter-Thumb-Schule und im Rahmen der Aktion „Jung hilft Alt und Alt hilft Jung. Die Schüler der Abschlussklasse 10a hatten sich präzise auf diese besonderen Projekttage vorbereitet. „Sie haben einen guten historischen Hintergrund“, sagt Geschichtslehrerin Anita König, die das Projekt organisiert hat.

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Während der eineinhalb Stunden, in denen Henggeler und Heil berichteten, herrschte aufmerksame Stille. Nachbereitet wurde das Gehörte dann am Nachmittag. „Die Schüler waren wirklich, wirklich bewegt und beeindruckt“, so Anja König. So beeindruckt, dass viele von ihnen auch die Projekt-Stunden in den anderen Lerngruppen besuchen wollten.

Kriegsende auf der Flucht erlebt

Marita Henggeler ist Jahrgang 1933. Sie wuchs in Berlin auf. Ihr Bruder fiel mit knapp zwanzig Jahren. Die elterliche Wohnung wurde bei einen Luftangriff 1943 zerstört – am gleichen Tag wie ihre Grundschule. Die Zehnjährige lebte von da an mit ihrer Mutter in einem Schrebergarten, bis sie mit allen Kindern ihrer Schule nach Ostpreußen evakuiert wurde. Dort, so schildert sie, sei es ihr gut gegangen.

Die beiden Zehntklässler Kim und Luca (v.l.) hatten viele Fragen an die Zeitzeugen vorbereitet
Die beiden Zehntklässler Kim und Luca (v.l.) hatten viele Fragen an die Zeitzeugen vorbereitet | Bild: Ingeborg Meier

Es habe genügend zu essen gegeben, und auch Schulunterricht. Als laut Henggeler im Spätherbst 1943 die Front vorübergehend näher rückte, habe ihre Gastfamilie ihre Mutter benachrichtigt. Diese holte ihre Tochter ab. Marita verbrachte dann eine Nacht mit ihren Eltern in Berlin. In dieser Nacht erlebte die Stadt wieder einen großen Luftangriff. „Berlin war taghell erleuchtet“, erinnerte sich Henggeler an die Feuersbrunst.

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Am nächsten Tag habe sie dann nach einem dreistündigen Fußmarsch mit ihrer Mutter endlich einen Bahnhof erreicht, von dem aus noch Züge fuhren. Sie seien zum Großvater nach Grimma in Sachsen gefahren.

Marita Henggeler und Wolfgang Heil erinnerten sich an Ereignisse aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegsjahre.
Marita Henggeler und Wolfgang Heil erinnerten sich an Ereignisse aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegsjahre. | Bild: Ingeborg Meier

In Grimma lebte Henggeler dann bis 1950. Über diese Zeit unter der russischen Besatzung und in den ersten Monaten der jungen DDR zu sprechen, fiel ihr sichtlich schwer. Wegen ihres großbürgerlichen Hintergrunds war die Familie Repressalien ausgesetzt und wurde enteignet. Henggeler durfte keinen Beruf erlernen. „Das war eine furchtbare Zeit.“

Vater vermisst im Krieg

Wolfgang Heil wurde 1940 in Hüfingen geboren. Sein Vater wurde 1942 zur Wehrmacht eingezogen und galt kurz darauf bereits als in der Ukraine vermisst. Zwei Jahre später kam dann die amtliche Todesnachricht. Die lange Ungewissheit, ob er noch am Leben war, hatten bei Heils Mutter zu einem Nervenzusammenbruch geführt. Zeitweise lebten deshalb er und seine beiden Brüder bei Pflegefamilien.

Wolfgang Heil hatte ein Stück einer auf Hüfingen abgeworfenen amerikanischen Fliegerbombe dabei.
Wolfgang Heil hatte ein Stück einer auf Hüfingen abgeworfenen amerikanischen Fliegerbombe dabei. | Bild: Meier, Ingeborg

Die Luftangriffe auf die Militäreinrichtungen und Kasernen im benachbarten Donaueschingen und auf die Gleise der Höllental- und der Bregtalbahn, an denen Hüfingen lag, setzten auch den kleinen Baar-Ort mehreren Bombardierungen aus. Obwohl noch ein kleines Kind, ist Heil ein Luftangriff sein Leben lang in Erinnerung geblieben. Er befand sich im Kindergarten, seine Mutter lief ihm und seinem Zwillingsbruder während der Alarmierung entgegen. Sie suchten Schutz im eigenen Keller, „und alles hat gewackelt und gebebt“.

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Die französische Besatzung brachte viele Soldaten aus dem französischen Protektorat Marokko nach Hüfingen. Vergewaltigungen durch diese Rote Teufel genannten, gefürchteten Soldaten waren nicht selten. Heil sprach darüber, dass seine Mutter nur durch das Eingreifen eines französischen Offiziers vor einem solchen Roten Teufel gerettet worden sei.

Was Wolfgang Heil stark geprägt hat, waren die Hungerjahre nach dem Krieg. „Wir hatten fast nichts zu essen“, erinnert sich der Zeitzeuge. Er wurde zum Hamstern geschickt – also um Lebensmittel im Tausch zu besorgen. Aber als Sohn einer Kriegerwitwe mit winziger Rente, konnte er ja nichts zum Tauschen anbieten. Die Scham, wie ein Bettler von den Bauernhöfen gejagt worden zu sein, ist ihm heute noch anzumerken.