Im Radio plärrt die Popikone Cyndi Lauper. Und Cristi Jonesku singt verträumt mit: “Girls just wanna have fun, oho.”

Das Vergnügen ist kurz, der Paketbote hat seinen nächsten Stopp erreicht. Er legt Leerlauf und Handbremse ein, schnappt sich ein Paket vom Armaturenbrett und springt aus dem Transporter.

So geht das den ganzen Tag.

Konstanz Paketbote Pakete Paketdienst Video: Lukas Ondreka

Im Zickzack fährt Cristi Jonesku durch Konstanz: immer ein paar hundert Meter, dann den Transporter in eine freie Lücke quetschen und mit Päckchen und Paketen unterm Arm von Tür zu Tür.

An der Sprechanlage sagt der Zusteller sein kurzes “Hallo, Paket für Sie”. Dann verschwindet der schmale Mann im Schatten des Hausflurs.

Bild 1: Cristi Jonesku bringt den Konstanzern ihre Pakete, zehn Stunden am Tag, für wenig Geld. Wir haben ihn begleitet
Bild: Lukas Ondreka

Cristi Jonesku heißt eigentlich anders. Aber der Zusteller fürchtet, dass er seinen Job verlieren könnte, wenn sein echter Name in der Presse auftaucht.

Denn der gebürtige Rumäne arbeitet nicht direkt bei einem der fünf großen Paketdienste in Deutschland, er arbeitet für ein Subunternehmen. Die heuern vor allem Beschäftigte aus Osteuropa an.

Die Bezahlung ist schlecht, die Belastung hoch.

Bild 2: Cristi Jonesku bringt den Konstanzern ihre Pakete, zehn Stunden am Tag, für wenig Geld. Wir haben ihn begleitet
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Die Arbeit sei hart, sagt Cristi Jonesku. Selbst an einem langsamen Wochentag. Heute habe er nur 130 Pakete an Bord, sonst sind es 150 und mehr. Bis zu sechs Tage die Woche, bis zu 10 Stunden am Tag.

Mit seinem Smartphone zählt der Paketbote seine Schritte und kommt auf durchschnittlich mehr als 20.000 pro Tag, das sind etwa 12 Kilometer.

“Vor allem die vielen Treppenstufen und schwere Pakete sind anstrengend”, sagt der Zusteller. Er öffnet ein silbernes Etui, nimmt sich eine seiner selbstgedrehten Zigaretten und zündet sie an.

Bild 3: Cristi Jonesku bringt den Konstanzern ihre Pakete, zehn Stunden am Tag, für wenig Geld. Wir haben ihn begleitet
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Wenn er spätabends nach Hause komme, sei er abgeschafft. Es reiche dann meist nur noch für Essen und Fernsehen schauen.

Netflix oder die rumänische Liga 1. Dinamo Bukarest sei sein Lieblingsverein. “Aber die sind gerade ziemlich schlecht, nicht wie Bayern München.”

Die Zigarette ist aufgeraucht, weiter geht es: Cristi Jonesku schnappt sich ein schweres Paket von der Ladefläche und stöhnt auf. Es klirrt. Ein Symbol auf der Außenseite zeigt Flaschen. Die Dame wohnt im dritten Stock, es gibt keinen Fahrstuhl.

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Der Mann in seinen Dreißigern arbeitet erst seit wenigen Monaten als Paketbote. Vergangenes Jahr sei er mit seiner Frau von Bukarest nach Deutschland gekommen, an den Bodensee zu Schwägerin und Schwager. Gemeinsam wohnen sie in einer Dreizimmerwohnung außerhalb von Konstanz.

Er habe eigentlich eine andere Arbeit gewollt, als Gabelstaplerfahrer. Aber er spreche kein Deutsch, keine Chance also. Ein Bekannter habe ihm dann den Job als Zusteller vermittelt. Die Branche wächst und Sprachkenntnisse sind weniger wichtig.

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“Die Bezahlung ist okay”, sagt Cristi Jonesku. Als Zusteller für das Subunternehmen eines großen Paketdienstes verdient er etwas mehr als neun Euro pro Stunde, knapp über Mindestlohn. 1200 Euro netto blieben ihm im Monat. Wenn mehr Pakete anfallen, dann auch mehr.

Aber er wisse auch, dass es besser gehe. "Da, der Kollege von DHL”, sagt Cristi Jonesku und zeigt auf einen knallgelben Transporter, der gerade rangiert. “Der ist direkt bei DHL angestellt, der verdient richtig gut.”

Er parkt den eigenen Transporter, steigt aus und läuft zu dem Kollegen hinrüber.

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Der Arbeitsmarkt in der Paketbranche ist zweigeteilt. Die Kollegen bei DHL verdienen in Baden-Württemberg bis zu 19 Euro in der Stunde.

Nur der deutsche Marktführer und das aus Amerika stammende Unternehmen UPS arbeiten überwiegend mit fest angestellten Zustellern. Die Paketdienste DPD, Hermes und GLS haben ihre Arbeit komplett oder zu großen Teilen an Fremdfirmen ausgelagert.

Cristi Jonesku weiß das. Man redet unter Zustellern, auf der Straße. Auf Rumänisch tauschen sich die beiden kurz aus. Nach ein paar Minuten müssen sie weiter.

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Schaut man auf die Schattenseiten des Paketgewerbes, dann hat es Cristi Jonesku noch vergleichsweise gut erwischt.

Bei einer bundesweiten Razzia Anfang des Jahres bei mehr als 350 Unternehmen der Branche fanden die Beamten des Zoll viele Verstöße gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Es gibt Berichte von Zustellern, die für einen Hungerlohn von gerade einmal fünf Euro in der Stunde arbeiten, 16 Stunden am Tag.

Von zum Teil “mafiösen Strukturen” und “jeder Menge Sozialmissbrauch” spricht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie fordert, dass die großen Paketdienste stärker für die Vergehen ihrer Subunternehmen in Haftung genommen werden. Das Prinzip: Wer Arbeit auslagert, bleibt dafür verantwortlich. Indes soll der Zoll mehr Beamten zum Kampf gegen Schwarzarbeit und Sozialmissbrauch erhalten.

Cristi Jonesku ist auf den Job und das Geld angewiesen.

Bild 6: Cristi Jonesku bringt den Konstanzern ihre Pakete, zehn Stunden am Tag, für wenig Geld. Wir haben ihn begleitet
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Er und seine Frau wollen bald kirchlich heiraten, erzählt er bei einer kurzen Pause. Sie wollen sich in der Heimat Bukarest trauen lassen und feiern. Und dafür bräuchten sie alles Geld, das sie bekommen könnten, sagt Cristi Jonesku.

Für das kleine Glück macht er so ziemlich alles: Sieht er auf dem Weg eine Zu-verschenken-Box, hält er kurz an und wirft einen Blick hinein. Er schaut nach gebrauchten Büchern, die er über eine Online-Plattform verkaufen kann. Fünf Euro könnten da schon mal rausspringen.

Bild 7: Cristi Jonesku bringt den Konstanzern ihre Pakete, zehn Stunden am Tag, für wenig Geld. Wir haben ihn begleitet
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Das Telefon klingelt, seine Frau ruft an. Beide haben neben ihrer Arbeit einen Minijob angenommen. Abends, nach acht Stunden Arbeit, räumen sie Regale in einem Supermarkt ein. “Das ist hart”, sagt er. “Aber wir müssen nach Bukarest, die Hochzeit mit Familie und Freunden ist uns wichtig.”

Überhaupt erzählt Cristi Jonesku viel von seiner Heimat Bukarest. Er kommt ins Schwärmen, wenn er von seinem früheren Leben in der Hauptstadt Rumäniens erzählt: die Clubs, die Parties. “Hier ist es eingeschlafen”, sagt er und schaut sich belustigt in der ruhigen Wohngegend um.

Er habe lange im Gesundheitssektor gearbeitet, sei Gutverdiener gewesen. Vergangenes Jahr hätte er aber einen neuen Job gebraucht und in Rumänien nichts Gutes gefunden. Genug erzählt, nächster Stopp: Rausspringen, Laderaum auf, Paket raus.

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Bukarest für den Bodensee einzutauschen, das habe er sich nie vorstellen können. Aber mittlerweile sei auch ein Leben in Deutschland eine Option für ihn.

Er wolle jetzt die Sprache lernen. Und dann weitersehen.

Auch als Paketbote würde er weiterarbeiten, trotz der ganzen Anstrengung, sagt Cristi Jonesku. “Aber nur mit besserer Bezahlung."

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