Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blickt Johannes Hierling auf den 27. September. An jenem Freitag wird er morgens zum letzten Mal zur Arbeit in seine eigene Metzgerei gehen und abends zum letzten Mal seinen Arbeitsplatz verlassen.

"A wengele komisch isches scho", gibt er offen zu. Immerhin wird er dann nach über 40 Jahren das Geschäft, das sein Vater Gottfried 1949 ins Leben rief, endgültig abgeben.

Der Name Hierling steht seit Jahrzehnten für Qualität und Zuverlässigkeit. Heimische Produkte, zubereitet auf traditionelle Weise. Mit dem Ende der Familiendynastie soll das aber so weitergehen – denn der Name bleibt bestehen.

Lange Zeit hat Johannes Hierling nach einem Nachfolger gesucht. Seine Söhne haben den Metzgerpfad längst verlassen – der eine ist Augenarzt, der andere verkauft online Tiernahrung. Unter seinen Mitarbeitern fand sich ebenfalls niemand, der bereit gewesen wäre, das Risiko einzugehen.

"So lange das Geschäft gut läuft, wollte ich jedoch verkaufen", sagt er. "Doch auch wir leiden unter dem Fachkräftemangel." Alleine die Maschinen eines Meisterbetriebes kosten laut Fleischerverband rund eine Million Euro – und da ist noch kein Würstchen verkauft.

Darf's ein bisschen mehr sein? Johannes Hierling (links) und Simon Reiner.
Darf's ein bisschen mehr sein? Johannes Hierling (links) und Simon Reiner. | Bild: Oliver Hanser

Irgendwann schließlich lernte er nach Vermittlung der Handwerkskammer Simon Reiner von der Zollernalb kennen. Der 30-Jährige war auf der Suche nach einer Metzgerei mit eigener Schlachtung. Heutzutage, da in Deutschland statistisch gesehen täglich eine Metzgerei schließt, ein Wagnis.

Hierling und Reiner nahmen die Gespräche auf – und es kam im Herbst 2018 schließlich zur Übernahme, mit der die beiden nun an die Öffentlichkeit gehen.

Da sich Johannes Hierling bewusst ist, welches hohe Risiko sein junger Nachfolger eingeht, begleitet er ihn auf dem Weg dorthin ein Jahr lang: "Ich wollte, dass wir zusammen alles einmal mitmachen: Weihnachten, Fasnacht oder Sommer. Damit er weiß, was auf ihn zukommt." So kann der neue Mann die jahrzehntelang gepflegten Kontakte zu den örtlichen Vereinen und Einrichtungen nahtlos übernehmen.

Knacker: Simon Reiner in den gekühlten Lagerräumen.
Knacker: Simon Reiner in den gekühlten Lagerräumen. | Bild: Oliver Hanser

Johannes Hierling hat für das Leben danach schon konkrete Pläne. "Seit sechs Jahren besitze ich einen VW Bus", erzählt er und seiner Stimme ist eine gewisse Vorfreude zu entnehmen. "Am 28. September werde ich mit da hineinsetzen, meinen Gleitschirm mitnehmen und losfahren."

Bereits heute ist er leidenschaftlicher Gleitschirmflieger, dieses Hobby möchte er intensivieren. "Das ist Freiheit pur, da oben in der Luft vergisst man alles." Im vergangenen Jahr flog er so in Etappen von Oberstdorf nach Italien über die Alpen.

Er sieht diese neue Freiheit als eine Art Belohnung der jahrzehntelangen Arbeit, die ihn sieben Tage die Woche und rund 50 Wochen im Jahr in Beschlag genommen hat. Ganz oder gar nicht – so lautet das Motto des Metzgermeisters, der sich weit über die Region hinaus einen Namen erarbeitet hat.

Heimisches Rind: Johannes Hierling (links) und Simon Reiner.
Heimisches Rind: Johannes Hierling (links) und Simon Reiner. | Bild: Oliver Hanser

Zwischen vier und fünf Uhr beginnt in der Metzgerei der Arbeitstag des Chefs, je nach Auftragslage endet er nicht vor 22 Uhr. "Es kann aber auch noch länger gehen", sagt der 61-Jährige. "Die Kunst ist, die Qualität immer hoch zu halten."

Im eigenen Haus werden bei Hierling pro Woche 20 Schweine und drei Rinder pro Woche geschlachtet, alle zwei bis drei Wochen ein Kalb. "Die Tiere kommen alle aus unserer Region und wurden anständig gehalten", erklärt Johannes Hierling.

"Wir können von jeder Wurst oder von jedem Fleisch die Herkunft liefern."

Lediglich das Geflügel kommt von der Genossenschaft in Stockach, "das ist aber auch aus Deutschland und qualitativ herausragend". Wild gibt es bei Hierling nur dann, wenn die heimischen Jäger erfolgreich waren. Sämtliche Lieferanten der Metzgerei sind auf dem Bodanrück oder im Hegau beheimatet, auf der Homepage ist die Liste veröffentlicht. "Gerade als örtlicher Anbieter ist Vertrauen entscheidend", weiß Simon Reiner.

Darf's ein bisschen mehr sein? Johannes Hierling (links) und Simon Reiner.
Darf's ein bisschen mehr sein? Johannes Hierling (links) und Simon Reiner. | Bild: Oliver Hanser

Die Tatsache, dass es immer weniger Metzger gibt, die ihr Handwerk nach traditionellen Methoden ausüben, liegt im Verhalten der Konsumenten begründet, wie Simon Reiner erklärt: "Wenn wir Billigfleisch vom Discounter kaufen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern", sagt er. "Wenn ich mir Fleisch oder Wurst für 99 Cent kaufe, will ich gar nicht wissen, was da alles reinkommt."

Er selbst hat einige Jahre in der Industrie gearbeitet, "ich weiß also, von was ich rede. Das findet ein Preiskampf statt, den man nur verlieren kann".

Eine Landmetzgerei wie Hierling sei offen und ehrlich, "wir kommunizieren mit unseren Kunden und wissen, wo unsere Ware herkommt". 95 Prozent der Kunden des Unternehmens mit zwei weiteren Fachgeschäfte in Dettingen und Dingelsdorf sind Stammkunden. "Die kommen teilweise von weiter her."

Wurstautomat für den Wurstnotstand

Noch vor Ostern will Simon Reiner seine Kunden überraschen – mit einem Selbstbedienungsautomaten vor dem Laden. "Wer kennt das nicht: Es ist Samstag- oder Sonntagabend, die Sonne scheint, wir wollen grillen – aber haben keine Würstchen mehr", erzählt er. "Ich bin da von mir ausgegangen und habe festgestellt, dass da ein Bedürfnis existiert." In seinem Automat wird er gekühlte Grillpakete oder Wurst im Glas aus eigener Herstellung verkaufen.