Die Atmosphäre auf dem Flugfeld in Konstanz ist angespannt. Die untergehende Abendsonne wirft lange Schatten auf dem warmen Asphalt. Das Team überprüft ein letztes Mal, ob an dem Rennwagen alles stimmt. Dann kann es losgehen. Die Streckenposten haben bereits ihre Position entlang der langen Geraden bezogen.
Ein Funkspruch, dann röhrt der Motor auf
Wenige Sekunden später ist der Krach vorüber, der Beschleunigungstest vorbei.
Auf dem Flugplatz in Konstanz, wo tagsüber Leichtflugzeuge abheben und landen, testen die Studierenden der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz (HTWG) ihren neuen Rennwagen, den Iltis 19. Aber nach nur wenigen Beschleunigungsmanövern muss der Test abgebrochen werden. Ein Kurzschluss legt den Rennwagen lahm.
Der Fahrer schält sich aus dem schmalen Cockpit, zieht Helm und feuerfesten Overall aus
Marc Sauter sitzt hinter dem Steuer des Iltis 19. Trotz des Defekts wirkt der Maschinenbaustudent gelassen.
Dabei ist sein Job nicht ungefährlich. Der Rennwagen schafft 75 Meter in vier Sekunden. Gerade mal 90 Kilogramm wiegt der Bolide, eine Feder im Vergleich zu jedem Auto im normalen Straßenverkehr. „Es kann immer etwas passieren“, sagt Marc Sauter.
„Uns ist auch schon mal ein Auto abgebrannt“
Für einen solchen Notfall hat das Team vorgesorgt: An der gesamten Strecke stehen Posten mit Feuerlöschern bereit.
Jetzt, wo das Auto stillsteht, schlüpft Marc Sauter aus der Rolle des Fahrers in die Rolle des Technischen Leiters.
Es ist seine zweite Rennsaison und der junge Mann sorgt dafür, dass alles im Team ineinandergreift. Mehr als 60 Studierende aus verschiedenen Fachbereichen arbeiten an dem Rennwagen mit. Innerhalb eines Jahres muss das Auto geplant und gebaut werden, noch dazu wirtschaftlich sein.
Und nur wenige Wochen vor dem ersten Rennen der Saison 2019, läuft der Rennwagen nicht zu einhundert Prozent rund. Das Team um Marc Sauter bockt den Wagen auf und sucht nach dem Fehler.
In wenigen Wochen muss der Iltis 19 einwandfrei laufen. Dann tritt das Team der HTWG im ersten Rennen der Formula Student an. Bei dem Konstruktionswettbewerb für Studierende treten mehr als 600 Teams aus der ganzen Welt in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an.
Seit der ersten Teilnahme 2006 konnte sich die Konstanzer kontinuierlich nach oben arbeiten. Das Bodensee Racing Team gehört zu den zehn besten Mannschaften in Deutschland.
Weltranglistenplatz 1 besetzt bei den Verbrennern die Universität Stuttgart. “Aber mit Stuttgart vergleichen wir uns nicht“, sagt Marc Sauter. Das Team aus der Autometropole habe ein viel größeres Budget. Im Vergleich zu vergleichbaren Konkurrenten, stehe sein Team sehr gut da.
Dafür sorgt unter anderem Anja Rohrmann
Rohrmann ist Leiterin der Abteilung Aerodynamik. Ihr Aufgabe ist es, dass das Auto windschnittig ist und zugleich gut auf der Straße liegt. Während des gesamten Trainings macht sich die Studentin Notizen. Was schief läuft, was gut läuft.
Sie liebt die Perfektion, das zeigt sich wenige Stunden zuvor in der Werkstatt des Teams.
An der HTWG ist gerade Prüfungsphase und trotzdem arbeitet Anja Rohrmann mehrere Stunden die Woche an dem Rennwagen. “Es ist unser letzter Verbrenner und es soll unser bester Verbrenner werden“, sagt die angehende Wirtschaftsingenieurin.
Das Bodensee Racing Team stellt um: auf E-Mobilität. Nächste Saison soll ein Elektroauto über die Pisten heizen – wenn alles klappt. Anja Rohrmann und das Team verabschieden sich mit einem Schriftzug auf dem Heckflügel: Auf-nimmer-Wiedersehen-Verbrenner.
Heckflügel und Frontflügel haben Anja Rohrmann und ihr Team entworfen. Die meiste Zeit verbringt sie dafür am Computer, mit Entwicklungsarbeit. Mit einem 3D-Programm und einer speziellen Software simuliert sie das Zusammenspiel von Bauteilen und Luftstrom.
Das Auto müsse möglichst windschnittig konstruiert werden, erklärt Anja Rohrmann. Gleichzeitig müsse es durch die Form der Flügel auch auf die Straße gedrückt werden, damit es zum Beispiel in engen Kurven nicht abhebe.
“Anpressdruck heißt das“, sagt die Leiterin der Aerodynamik, die erzählt, dass sie in Konstanz vor allem mit dem Fahrrad unterwegs sei. Zwischen Windschnittigkeit und Anpressdruck müsse eine sinnvolle Balance gefunden werden.
Vier Monate und hunderte Stunden Rechenzeit später, steht das finale Modell
Die Farbe Rot zeigt den im Vergleich zum ersten Modell höheren Luftwiderstand und damit Druck auf die Straße.
“Das ist das gleiche Prinzip wie bei einem Flugzeugflügel“, sagt Anja Rohrmann. “Nur das wir Abtrieb statt Auftrieb haben wollen.“
Für Beschleunigungsrennen, eine von vier Disziplinen in der Formula Student, kann das Team Elemente an den beiden Spoilern leicht verstellen, damit der Rennwagen windschnittiger ist. Es ist die erste Saison für Anja Rohrmann, und trotzdem hat ihr das Team diese wichtige Position übertragen.
Am Abend dann ist die Studentin mit den anderen auf dem Flugplatz in Konstanz. Die Beschleunigungstests haben noch nicht begonnen, das Team lädt den Wagen aus einem Anhänger.
Fahrer Marc Sauter macht sich bereit
Noch weiß er nicht, dass es ein kurzes Training wird. Noch weiß er nicht, dass sie den späteren Defekt vor Ort nicht werden beheben können. Er muss sich jetzt auf seine Aufgabe konzentrieren: Den 250.000 Euro teuren Rennwagen sicher, aber schnell über die Piste zu jagen.
Sauter legt Rennschuhe, feuerfeste Unterwäsche und einen speziellen Overall an, alles wie bei Formel-1-Profi Sebastian Vettel, dem Idol des gesamten Teams. Zum Schluss zieht er sich Sturmhaube und Helm über.
“Wenn man das erste Mal in dem Rennwagen sitzt, vergisst man alles“, sagt der studentische Rennfahrer. Die Beschleunigung, das sei ein rauschhaftes Gefühl.
Bei den Wettkämpfen in Österreich, Tschechien und auf dem Hockenheimring bei Nürnberg, da soll alles passen: Fahrleistung und Auto. In der letzten Saison mit Verbrenner wollen sich Marc Sauter und sein Team nochmals steigern.
Jetzt ist er am Start, das Drumherum muss er ausblenden und noch einmal tief durchatmen – kurz bevor es losgeht.