Konstanz erinnert mit neuen Stolpersteinen an Menschen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden
Sie waren jüdischen Glaubens, engagierten sich politisch oder passten nicht ins krude Menschenbild der Nazis: In Konstanz werden am 1. November zehn neue Stolpersteine verlegt, die an den letzten Lebensort von durch die Nazis verfolgten und ermordeten Personen erinnern sollen. Wir stellen sechs von ihnen genauer vor.
Gunter Demnig, Kölner Bildhauer und Ideengeber des Projektes Stolpersteine bei der Verlegung eines der Gedenksteine – hier der für Elise Kahn in Mainz Ende Oktober 2019.
| Bild: Andreas Arnold
In diesem Jahr ist der Termin spät: Am 1. November kommt Künstler Gunter Demnig nach Konstanz, um weitere Stolpersteine zu verlegen. Zehn Stück werden es an sieben Orten sein, wie die Initiative „Stolpersteine für Konstanz – Gegen Vergessen und Intoleranz“ erklärt. Die Messingquader sollen an Menschen erinnern, die Opfer der Nationalsozialisten wurden.
Ein Bild aus dem Jahr 2017, als Gunter Demnig in Konstanz Stolpersteine verlegt hatte.
| Bild: Oliver Hanser
222 Stolpersteine liegen bereits im Asphalt der Stadt, am 1. November kommen zehn weitere hinzu. Wir stellen ihnen einige der Menschen genauer vor.
Pius Moser: Verlegung am 1. November, 9 Uhr (Dettingen, Am Berg 9)
Pius Moser, Anfang der 1950er-Jahre
| Bild: Initiative Stolpersteine
Klara und Samuel Seewald: Verlegung am 1. November, 10.20 Uhr (Konstanz Bodanstraße 4)
Klara Seewald.
| Bild: privat
Else und Ludwig Büchler: Verlegung am 1. November, 9.55 Uhr (Konstanz, Emmishofer Straße 10)
Der Grabstein für Ludwig Büchler.
| Bild: Initiative Stolpersteine
Ein Leben in ständiger Angst. Else und Ludwig Büchler mussten ständig mit dem Schlimmsten rechnen. Das wäre ziemlich sicher so gekommen, hätte Else Büchler nicht eine „privilegierte Mischehe“ geführt. Das schützte sie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Oberbürgermeister Leopold Mager legte ihrem Mann aber nahe, sich von ihr zu trennen – weil sie Jüdin war.
Für Ludwig Büchler war das überhaupt keine Option, wie Uwe Brügmann von der Initiative Stolpersteine in einer Biografie über das Ehepaar zusammenfasst. Büchler schrieb im Februar 1939 sogar an Adolf Hitler und stellte dies klar. Eine Antwort erhielt er wohl nie. Dafür musste er, der seit den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 als „jüdisch versippt“ galt, durchaus Rückschläge hinnehmen.
Die Beförderung zum Beamten verwehrte die Stadtverwaltung ihrem Baumeister. Zuvor war er bereits aus der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt ausgeschlossen worden. NSDAP-Kreisleiter Carl Engelhardt habe Büchler zwar einen „Mangel an Rasseinstinkt“ bescheinigt, eine Entlassung allerdings nicht befürwortet, schreibt Biograf Uwe Brügmann. Die Stolperstein-Initiative hofft, noch Fotografien zu erhalten, die das Ehepaar zeigen.
Bei der Recherche habe Brügmann kaum Bildmaterial gefunden. Else Büchler war 1909 in Bad Buchau zwar als Jüdin geboren worden, hatte aber schon lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 die Bindung zum Judentum verloren. Das, und weil sie bis dahin noch keine Kinder hatte, die hätten jüdisch erzogen werden können, bewahrte sie in der „privilegierten Mischehe“ davor, einen Judenstern tragen zu müssen – und schützte sie vor einer Deportation.
Im Alltag sei sie allerdings zahllosen Schikanen, Ausgrenzungen und Kränkungen ausgesetzt gewesen, schreibt Uwe Brügmann. Einstige Freunde ächteten sie, die durfte nur bis 9 Uhr einkaufen, die Mitgliedschaft im Ruderclub Neptun wurde der begeisterten Wassersportlerin gekündigt, Schwimmen im Hallenbad am Seerhein oder am Hörnle war ihr wie allen Juden verboten. Kulturelle Anlässe in der Stadt zu besuchen, war für das Ehepaar nicht mehr möglich.
Es bekam 1942 eine Tochter. In einem Interview im Jahr 1988 zeigte sich Else Büchler dankbar für die Hilfe von Gemüsebauern aus dem Paradies, vom Metzger, der ihr Lebensmittel zusteckte, und für Nachbarn, die für sie auf dem Markt mit einkauften. Im Juli 1939 wurde sie verhaftet, weil sie vier Jahre zuvor gegen Devisenbestimmungen verstoßen haben soll. Vermutlich sollte ihr Mann durch ein Verfahren bloßgestellt werden. Else Büchler wurde zu vier Monaten Gefängnis sowie Geldauflagen verurteilt. Es war in dem Jahr, in dem Ludwig Büchler Ausreisepapiere hätte abholen können.
Nach der Pogromnacht im November 1938 hatte er diese beantragt. Doch das Ehepaar entschied sich dafür, in Konstanz zu bleiben. Nach dem Krieg führte Büchler einen Rechtsstreit gegen seinen Arbeitgeber. Er soll fahrlässig mit städtischen Geldern umgegangen sein. Von den Vorwürfen habe er aus dem SÜDKURIER erfahren, so Brügmann. Zähneknirschend bezahlte er 16 000 D-Mark Schadenersatz. 1957 ging er vorzeitig in den Ruhestand, 1982 starb Ludwig Büchler; seine Frau Else hochbetagt im Oktober 2000. Sie hatte die NS-Gewaltherrschaft überlebt – als wohl eine von drei Jüdinnen in Konstanz.