Wie eine Stadt tickt, wie die Menschen in ihr leben, wie sie sich verändert – das ist immer wieder Thema in der Kunst, der Literatur und der Musik.
So dichtete etwa Oswald von Wolkenstein vor 600 Jahren zum Konstanzer Konzil: "Denk' ich an den Bodensee, tut mir gleich der Beutel weh".
Rainer Maria Rilke schrieb Ende des 19.Jahrhunderts: "Ich geh durch die greise, nächtige Stadt / will wissen, was Konstanz für Träume hat".
Heute ziehen junge Talente nach – wie zum Beispiel der Konstanzer Rapper Yasin, der Konstanz in dem Song Kleine Stadt am See verewigt hat: "Viele Wege führn nach Rom, doch ich wollt immer nur zu dir".
Zu den neuen jungen Talenten gehört auch Franziska Schramm
Die 33-Jährige ist vor fünf Jahren nach Konstanz gezogen und hat sich verliebt. In die Stadt, den See, die Menschen. Nur eines fehlte ihr: Eine Hymne der Stadt. Also hat sie selbst eine geschrieben. "Konstanz my love" heißt das Gedicht – und es beginnt da, wo wir gerade sind: Im Winternebel.
Klicken Sie auf die graue Fläche und hören Sie, wie Franziska Schramm ihr Gedicht vorträgt.
Wenn der Winternebel sich langsam lichtet
und Schicht um Schicht die Sonne Land sichtet,
lauf ich los durch meine Stadt,
immer raus, immer grad aus, am Wasser isses noch leer.
Weil die Touris noch zuhause sitzen,
lass ich still und easy ein paar Steine flitzen,
nichts ist zu hören, kein Krach, keine Touristenschwärme,
nur der träge Flügelschlag von zwei Schwänen,
ein Blesshuhn quietscht.
Ein bisschen Schilf, dahinter Fahrradbrücke und Berge,
klare Sicht gibt sich auf einmal die Ehre,
ne echte Premiere in dieser Hemisphäre,
ein Lichtblick seit Wochen.
Das Konstanzer Licht erblickt Franziska Schramm zum ersten Mal an einem Spätsommertag. Für ein Bewerbungsgespräch hat sie sich von München aus auf den Weg gemacht. Stilecht kommt sie in Konstanz mit dem Schiff an, genauer: mit dem Katamaran von Friedrichshafen.
"Ich weiß noch genau, wie es auf der anderen Seeseite geregnet hat. Als wir Konstanz anfuhren, brachen die Wolken auf und die Sonne kam durch."
Poetischer könnte eine Konstanzer Geschichte nicht beginnen: mit einem kleinen Seitenhieb nach Friedrichshafen. Das war vor fünfeinhalb Jahren.
Hab schon längst vergessen, wo ich hergekommen bin,
weil ich hierher und angekommen bin.
Von Wollmatingen Downtown bis hoch zur Fähre in Staad
gibt’s kein Fleck, den ich hier nicht mag,
Konstanz, du kleiner bunter Knaller,
als hätte Bob Ross dich gemalt:
all the way down,
just a little bit of colour
Geboren und aufgewachsen ist Franziska Schramm in einem kleinen Dorf in Oberfranken. Schon als Teenagerin schreibt sie kleine Geschichten und Gedichte. Zur Studienzeit aber erlebt sie zum ersten Mal, was Literatur für eine Kraft hat.
Franziska Schramm ist zum ersten Mal auf einem Poetry Slam und fasziniert. "Ich liebte alles daran", sagt sie. Dass die Autoren auf der Bühne lebendig und nahbar sind, dass die Texte das Publikum unmittelbar berühren – und nicht in einem Regal in einer Bibliothek vor sich hin schlummern. Einer ihrer ersten Auftritte bei einem Poetry Slam ist in Berlin, wo sie fast drei Jahre lebt.
Acht Stunden nach Berlin – mehr Provinz geht nicht
und wer nen Späti sucht, sucht lange vergeblich,
denn spätesten um acht sind alle Bürgersteige hochgeklappt
in der Stadt die ne Nutte zum Wahrzeichen hat.
Von Berlin geht es für Franziska Schramm direkt nach dem Studium wieder in den Süden Deutschlands. "Berlin war mir einfach zu groß. Ich wäre untergegangen, gerade auch in der Kreativ-Szene". In Konstanz ist diese Szene nicht klein, aber überschaubar. Man kennt sich. "Das mag ich. Du begegnest Bekannten hier auch mal zufällig auf der Straße", sagt Franziska Schramm.
Apropos Berlin, Konstanz hat n Konzil und viel mehr Geschichte,
Hipsterquote und Freelancerdichte – da halten wir mit.
Und die Mütter vorm Stadtkind füttern dem Nachwuchs Dinkelgries,
hier hatet man nicht die Schwaben, sondern Schweizer SUVs.
„Ausfuhrschein“ und „Samstags bei dm“ die Reizwörter der Stadt,
weil jeder echte Kiez eben auch sein Feindbild hat.
Jede Stadt hat eben auch ihr Narrativ, sagt Franziska Schramm. Hier in Konstanz sind es die Schweizer. Selbst, wenn die Wirklichkeit anders aussieht – die Erzählung "Samstag in die Innenstadt? Bist du wahnsinnig?" ist schon Tradition.
Wer neu ist in der Stadt, übernimmt eben irgendwann auch deren Stereotype. "Von selbst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, Schweizer doof zu finden", sagt Franziska Schramm. "Aber als ich mich dann doch zum ersten Mal über einen SUV mit CH-Kennzeichen aufgeregt habe, dachte ich: Okay, jetzt bist du offenbar in der Stadt angekommen. Es ist eine Hassliebe. Wie mit dem Touristen."
Wenn Hotels und Airbnbs dann überquellen,
unzählige Fußgänger den Fahrradweg verstellen,
wenn alles überfüllt ist, in den engen Straßen der Stadt,
weiß ich die Lösung, für die die Stadt keine hat.
Ich lauf hinten rum, die Wege, die die Reise-App nicht kennt,
irgendeine kleine Gasse, verschlafen und verpennt,
Mittagshitze und dann plötzlich ein Schatten auf dem Boden,
ich weiß, was jetzt kommt, ich blicke nach oben
und da – ein Zeppelin, wie aus nem Stummfilm geboren,
schiebt sich durch das Bild, traumhaft schön, traumhaft still.
Für einen kurzen Moment denke ich, ich könnte schweben.
Und weiß: Hier möchte ich für immer leben.
So können Sie Franziska Schramm live erleben
Wer Franziska Schramm persönlich kennenlernen will, hat am Donnerstag, 31. Januar die Gelegenheit dazu. Unter dem Titel "alles leuchtet, alles gewittert" steht sie im Kulturzentrum K9 ab 19.30 Uhr mit dem Zürcher Kontrabassist Marc Jenny auf der Bühne und trägt unter anderem auch "Konstanz, my love" vor. Tickets Abendkasse: 10/ermäßigt 8 Euro