Herr Schaal, welche Rolle spielt die Gründerszene für die künftige Konstanzer Wirtschaft?

Eine ganz entscheidende. Gerade arbeiten wir am Entwurf zum Handlungsprogramm Wirtschaft für die Jahre bis 2030, der im November dieses Jahres verabschiedet werden soll. Vernetzung und Gründung ist einer der Schwerpunkte innerhalb des Konzepts. Wir erleben in Konstanz – aber auch in der Region, national und international – eine massive Veränderung bei den Geschäftsmodellen von Gründern.

Inwiefern?

Heute rollen Start-Ups mit innovativen Ideen den Markt förmlich auf. In Konstanz gibt es hierfür einen großen Nährboden – gerade durch den Transfer von Wissenschaft zu Wirtschaft. Diese innovativen Unternehmen benötigen aber besondere Bedingungen, die wir über das Technologiezentrum und die Gründerszene insgesamt unterstützen, soweit es geht. Wir müssen die Frage beantworten: Was müssen wir heute tun, damit wir übermorgen erfolgreich sind?

Und wie lautet die Antwort?

Wir benötigen zum Beispiel ein zukunftsfähiges Technologiezentrum: Wo ist der richtige Standort dafür? Wer sollte bei seiner Organisation zusammenwirken? Das gilt es gemeinsam zu erörtern: von der Verwaltung, der Gründerszene selbst, aber auch den Hochschulen. Der Oberbürgermeister spricht nicht ohne Grund von der Entwicklung eines Ökosystems Gründer.

Sie sprechen das TZK an. Wie und wo soll es sich denn weiterentwickeln?

Lassen Sie uns nicht in die Falle tappen, positive Entwicklungen zu schnell zu zerreden. Dazu neigen wir in Konstanz manchmal. Wir sind in der Bücklestraße auf einem positiven Weg, etwas zu realisieren. Bis Mitte des Jahres wollen wir das Thema TZK gelöst haben.

Also der lange angebahnte Wegzug aus der Blarerstraße?

Ich bin der Meinung, dass der Standort – auch mit Blick aufs Handlungsprogramm Wohnen – ideal zum Wohnungsbau wäre. Meine Empfehlung an den Gemeinderat: Einnahmen, die man damit erzielen kann, sollten in die Gründerszene investiert werden. Aber das entscheidet die Politik.

Das tut sie demnächst auch beim Flugplatz. Wird das ein weiterer Standort für junge Unternehmen?

Dort zeichnet sich tatsächlich ein Kompromiss ab. Ich hätte es zwar gerne anders gehabt, aber es scheint mir als Lösung für einen zuvor nicht auflösbaren Konflikt. Dann muss man dem Landeplatz aber auch eine Basis geben, weg von der Holperpiste und hin zu einem Standort für Freizeit und Tourismus. Und etwa die Hälfte lässt sich wirtschaftlich entwickeln, am liebsten in Richtung High-Tech-Unternehmen – das passt dann auch zur früheren Geschichte des Byk-Gulden-Areals. Aber eines wird es nicht geben: einen großen Möbelhändler oder ähnliches.

Ist das Baurecht denn im Sinne des Arbeitens der Zukunft noch zeitgemäß?

Lassen Sie mich IHK-Geschäftsführer Claudius Marx zitieren. Er sieht das recht drastisch und sagt, die heutigen Formalien hecheln dem veränderten Arbeiten 50 Jahre hinterher. Damals hat man von rauchenden Schornsteinen gesprochen, heute sind es rauchende Köpfe. Die Zeiten von produzierendem Gewerbe sind in Konstanz vorbei. Es wird künftig mehr Bereiche geben, in denen Wohnen und Arbeiten ineinanderfließen, gerade in der Gründerszene. Das klassische Industriegebiet und das klassische Wohngebiet wird es, abgesehen von notwendigen Ausnahmen bei Handwerkern, nicht mehr geben.

Das wird nicht jedem in der Stadt schmecken.

Wir wollen aber nun einmal in einer lebendigen Stadt leben. Und nicht in einem lebenden Museum. Dazu gehören Streit und auch Auseinandersetzung. Wir können keine Urbanität haben wollen – mit Kultur, Natur, Wissenschaft, Wirtschaft – und gleichzeitig sagen: Wir wollen einfach nur unsere Ruhe hier. Mir ist es lieber, es pulsiert und rumort.

Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, auch was die einstigen großen Unternehmen angeht, ist also falsch?

Diese Romantik ist verklärt. Die hohe Lebensqualität in Konstanz muss finanziert werden. Sicher war es ein schöner Zustand, dass Altana hier erheblich Gewerbesteuer gezahlt hat. Aber die Pharmaindustrie wurde weltweit auf den Kopf gestellt. Nun kann ich dem entweder nachtrauern, oder mir überlegen: Wie lässt sich die damit einhergehende Krise mit einem massiven Arbeitsplatzverlust in Konstanz bewältigen?

Und wie konnte man das?

Weil gleichzeitig viele mittelständische Unternehmen entstanden sind, die mittlerweile auch Gewerbesteuer zahlen. Diese Kleinteiligkeit in der Wirtschaftsstruktur sehen viele als Schwäche. Ich sehe sie als Stärke, weil wir sehr engagierte kleine und mittelständische Unternehmen haben. Konstanz hat vor allem dank ihnen die höchste Beschäftigungsquote der Nachkriegsgeschichte.

Tatsächlich sieht aber die Mehrzahl Konstanz als Einkaufs- und Tourismusstadt.

Das ist sie gefühlt sicherlich. Aber nicht, was die Wertschöpfung angeht. Rund 70 Prozent kommen eben nicht aus diesen beiden Bereichen, ohne sie schlechtreden zu wollen. Um noch einmal zu den Worten vom Anfang zu kommen: Wir brauchen für den Erfolg von morgen oder übermorgen die rauchenden Köpfe, die mit ihrem Wissen Großkonzerne bedienen können, ohne dass sie viel Fläche benötigen.

Soll so dem logistischen und geografischen Nachteil der Lage entgegengewirkt werden?

Natürlich brauchen wir eine vernünftige Anbindung, wir haben viele Ein- und Auspendler. Aber klar benötigen wir Hochgeschwindigkeit bei den Datenleitungen stärker als auf der Straße. Zumal junge Arbeitnehmer ganz andere Bedürfnisse an Mobilität haben. Die fahren gerne Fahrrad statt Auto oder teilen sich dieses. Und was das angeht, ist Konstanz sehr weit.

Das fällt aber kaum auf. Viele junge Menschen sehnen sich doch nach besseren Angeboten beim Carsharing oder bei Leihrädern.

Gedanklich sind wir aber sehr weit. Wir forcieren ganz gezielt, dass Konstanz Pilotprojekte in Sachen Mobilität der Zukunft bekommt. Da trägt unsere Stadt die buchstäbliche Konstanz vielleicht noch zu sehr in sich. Die Stadtverwaltung hat eine Verantwortung, jungen Firmen die Möglichkeit zu geben, ihre Ideen in diesem Bereich zu verwirklichen – und nicht womöglich in die Umgebung abzuwandern.

Was kann die Stadtverwaltung allgemein und die Wirtschaftsförderung im Besonderen jungen innovativen Unternehmen konkret anbieten?

Mein größter Wunsch ist ein integriertes System aus Verwaltung, Gründerszene, Technologiezentrum, Hochschulen und bestehender Firmen, aus dem ein quirliger Campus hervorgeht, in dem Ideen Flügel bekommen. Also nicht mehr nur darüber reden, sondern Fakten schaffen. Wenn ich in drei Jahren plus/minus in den Ruhestand gehe, wäre das ein schönes Ergebnis. Und noch einen zweiten Wunsch hätte ich.

Nur zu.

Die Öffentlichkeit soll den Stellenwert der Wirtschaft erkennen und ihn positiv belegen. Aussagen, die Stadt betreibe – Stichwort Scala – ihren eigenen Ausverkauf, ärgern mich. Weil sie nicht stimmen. Etliche seriöse Investoren, ich rede nicht von irgendwelchen neureichen Heuschrecken, halten den Standort für äußerst attraktiv. Sie erleben aber eine feindselige Stimmung aus der Öffentlichkeit. Sie fühlen sich schlicht nicht willkommen.

Über die Serie Gründerzeit

In Anlehnung an die wirtschaftliche Hochphase im 19. Jahrhundert stellt die Serie Gründerzeit junge innovative Unternehmen aus Konstanz vor. Im Handlungsprogramm Wirtschaft werden Start-Ups und Unternehmensgründungen eine wichtige Rolle für den Standort zugeschrieben. Wenn Sie auch gerade dabei sind, ihre Idee auf dem Markt zu platzieren und ein Unternehmen in Konstanz gründen wollen, dann stellen Sie sich bei uns vor unter: konstanz.redaktion@suedkurier.de

Friedhelm Schaal arbeitet seit Ende der 1990er Jahre als Wirtschaftsförderer in Konstanz. In zwei bis drei Jahren will er in den Ruhestand wechseln.

Von rund 4400 Betrieben in Konstanz haben fast 90 Prozent weniger als zehn Mitarbeiter – dagegen haben nur 2,5 Prozent mehr als 50 Mitarbeiter. Im Jahr 2000 waren noch 30 Prozent der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe tätig. Inzwischen sind es nur noch rund 14 Prozent.