Sie haben ihre Habilitationsschrift zum Thema „Menschliche Zusammenarbeit und Motivation“ verfasst. Steckt das Teilen also im Menschen oder schaut jeder vorrangig nach seinem eigenen Wohl?
Kooperation ist außerordentlich wichtig für den Menschen und seine Erfolgsgeschichte. Aber natürlich sind wir nicht immer nur nett zueinander. Grundsätzlich schaut jeder Mensch erst einmal nach sich selbst. Trotzdem sind wir bereit, anderen zu helfen, auch wenn es uns etwas kostet. In diesem Sinne sind wir also nicht rein egoistisch. Ich denke vielmehr, dass die Kooperationsfähigkeit die Basis für alle großen Errungenschaften der Menschheit ist. Zuerst muss sich eine kleine Gruppe aufeinander verlassen können. In einer größeren Gruppe funktioniert es mit bloßem Vertrauen dann unter Umständen nicht mehr. Vor allem wenn das Risiko eines Vertrauensmissbrauchs groß ist, kommt Reputation ins Spiel. Damit kann die Kooperation auch in größerem Maßstab gelingen.
Basiert Wirtschaft also schon immer auf Vertrauen und dem Prinzip von Tauschen und Teilen?
Teilen ist wahrscheinlich so alt wie Tauschen. Wenn man etwas erjagt hatte machte es Sinn, es zu teilen. Gerade wenn das Tier relativ groß war. Damit bezweckte man dann beim nächsten Mal vom anderen auch etwas abzubekommen. Diese Art des Teilens kann über die Zeit auch wieder als eine Art Tausch betrachtet werden. Was heute als „Share-Economy“ bezeichnet wird, sind eben solche Tauschhandlungen über die Zeit hinweg: Ich gebe dir jetzt etwas und bekomme dafür irgendwann etwas zurück.
Warum erscheint das Teilen und Tauschen dann gerade so neu und besonders, dass es sogar mit einem eigenen Begriff versehen wird?
Ich glaube, das hat zwei Gründe. Der eine ist historisch, der andere hat einen Marketinghintergrund. Das „Car-Sharing“ ist zum Beispiel aus dem Gedanken entstanden, kein ganzes Auto allein zu brauchen. Die Vorteile des Autofahrens konnten also ebenso wie seine Nachteile geteilt werden. Der andere Punkt ist, dass „Sharing“ einfach toll klingt. Und wenn ich etwas verkaufen will dann ist es ja nicht so schlecht, es mit einem positiv besetzten Begriff zu koppeln. Wie gesagt gab es immer schon Tausch zwischen den Menschen. Neu dazugekommen ist der technologische Aspekt. Über das Internet sind Kommunikation, Organisation und Buchhaltung nun viel leichter und in größerem Maßstab möglich. Und dieser größere Maßstab vermittelt den Eindruck, dass es sich jetzt um etwas Neues und Besonderes handelt.
Widerspricht die Idee, Dinge zu teilen und zu tauschen, statt sie wegzuwerfen und etwas Neues zu kaufen, der kapitalistischen Logik? Hat sie sogar systemverändernde Kraft?
Grundsätzlich gehört Tauschen und Teilen auch zu einem kapitalistischen System. All die geteilten Dinge können als Rohstoffe betrachtet werden und bleiben dem Wirtschaftskreislauf durch den Tausch erhalten. Der Tausch ist effizient. Derjenige der keine Verwendung mehr für etwas hat, gibt es an jemanden weiter, der daraus etwas machen kann. Also widerspricht der Tausch- und Teilgedanke keineswegs dem Kapitalismus. Das ist vielmehr Marktwirtschaft im besten Sinne. Und damit sehr kapitalistisch. Auch eBay und Amazon bauen das Prinzip Flohmarkt lediglich mit in ihr großes Geschäftsmodell ein. In diesem Sinne hat die relative Einfachheit, solche Plattformen im Internet aufzubauen, Tauschen und Teilen über größere Distanzen ermöglicht. Allerdings ist der Tausch Ware gegen Ware selten. Das wäre zu kompliziert. Die Ware wird ja fast immer gegen Geld getauscht.
Wie vertragen sich das massenhafte Teilen von Gütern und das Konzept des Privateigentums?
Also der Eigentumsbegriff ist bei vielen Gütern heute sowieso sehr uneindeutig. Wir konsumieren sehr viele immaterielle Güter. Nehmen wir das große Thema Musik. Früher war der Besitz von Musik an etwas Physisches gebunden. Diesen handfesten Bezug gibt es heute immer weniger. Ich sehe hier eher eine Entwicklung hin zu immateriellen Gütern. Da ergeben sich dann tatsächlich Schwierigkeiten mit dem traditionellen Eigentumsbegriff. Bei anderen Teilkonzepten, wie zum Beispiel „Car-Sharing“ ist aber immer klar, wem das Auto gehört. Ob einer Privatperson oder einer Gesellschaft. Und das gilt auch für das Wohneigentum oder andere Domänen mit gemeinschaftlicher Nutzung. Auch das kapitalistischste überhaupt – die Unternehmen – werden geteilt. Aktien sind eine Möglichkeit, Unternehmen zu teilen. Nur ein Teilrecht auf etwas zu besitzen, ist also völlig normal.
Sehen Sie einen Zusammenhang zu anderen Trends, die mit bewusstem Konsum beschrieben werden können? Also zu veganer Ernährung statt Fleischkonsum zum Beispiel.
Da bin ich eher skeptisch. Ich glaube die „Share-Economy“ ist hauptsächlich technologiegetrieben. Man kann nun in größerem Maßstab teilen, und mit Hilfe der Reputationssysteme ist das recht risikolos. Man wird von anderen Nutzern gut bewertet, wenn man die Ware zuverlässig liefert oder das Auto sauber hält. Die Bewertung schafft dann den Anreiz, sich gut zu verhalten. Den Umwelt- oder Nachhaltigkeitsaspekt sehe ich hierbei sehr im Hintergrund. Weder die Online-Fahrdienstvermittlung Uber noch eBay appellieren ja an das Gute im Menschen. Letztendlich werben sie über den Preis um die Gunst des Homo Oeconomicus.
Und in kleinerem Maßstab? Wenn abgetragene Kleidung anderen zur Verfügung gestellt wird und die wiederum ihre alte Kleidung teilen, dann steckt da doch der Nachhaltigkeitsgedanke dahinter. Nichts Neues muss produziert werden, um mein Bedürfnis zu befriedigen.
Ursprünglich wurde der aktuelle Trend zu Teilen und zu Tauschen sicher von einem Engagement für die Umwelt angetrieben. Das gilt im Übrigen genauso für „Car-Sharing“ wie für Kleidertausch. Generell sehe ich bei all den eher kleineren Teil- und Tauschinitiativen den Nachhaltigkeitsgedanken im Vordergrund. Auch eBay hat durchaus diesen Aspekt. Ich glaube nur nicht, dass dies für alle Seiten die Hauptmotivation ist. Es entwickelt sich eine Idee aus dem Nachhaltigkeitsgedanken heraus. Mit der Kommerzialisierung und dem Anspruch großflächig zu handeln, tritt die Grundidee nachhaltigen Handelns aber bald in den Hinter- und das wirtschaftliche Interesse jedes Einzelnen in den Vordergrund.
Zur Person
Urs Fischbacher (geboren 1959 im schweizerischen Dietikon/Kanton Zürich) ist Ökonom und Professor für angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Konstanz. Er ist Leiter des Thurgauer Wirtschaftsinstituts in Kreuzlingen, einer privaten, eigenständigen Forschungseinrichtung, die der Universität Konstanz angegliedert ist. Seine Forschungsgebiete umfassen: Experimentelle Ökonomik, Verhaltensökonomik, Neuroökonomik. Bekannt wurde er unter anderem durch die Entwicklung von z-Tree, einer Programmiersprache für wissenschaftliche Laborexperimente, die in vielen Forschungseinrichtungen im Einsatz ist.