Auf zwei Hektar Wiese forscht die Stadt an der Zukunft des Wohnens. In Petershausen-Ost, zwischen Lorettowald und Bodensee-Therme, soll bis 2019 auf den stadteigenen Christiani-Wiesen ein neues Quartier entstehen. Allerdings nicht als irgendein Bauprojekt. Sondern als eines, an dessen Entwicklung Bürger, Wissenschaftler, Praktiker und Politiker beteiligt sind und über Jahre hinweg forschen. Das Projekt Christiani-Wiesen ist Teil des bundesweiten Wettbewerbes Zukunftsstadt, der gerade in die zweite Runde gegangen ist. Konstanz ist eine von 20 Kommunen in Deutschland, die mit Fördermitteln des Bundes von bis zu 200 000 Euro an einem Konzept weiterarbeiten kann, das vor allem eine dringende Frage beantworten soll: Wie wollen und können wir in Zukunft leben – in einer Stadt, die im Jahr 2035 laut aktuellen Prognosen über 90 000 Einwohner und schon jetzt zu wenig Wohnraum hat?

„Qualität statt Quadratmeter“ lautet die Antwort der Stadt. Denn schon allein aufgrund der geografischen Lage muss die Schwarmstadt Konstanz sich überlegen, wie künftig mehr Menschen mit wenig Fläche zurechtkommen. Konkret heißt das: Die Pro-Kopf-Wohnfläche muss weniger werden. 1950 lag diese noch bei rund 20 Quadratmetern pro Person, inzwischen ist sie auf 45 Quadratmeter angewachsen, Tendenz: steigend. Oder, um es mit den Worten von Johannes Hartwich aus der jüngsten Sitzung des Technischen und Umweltausschuss (TUA) zu sagen: „Früher hatten die Geschwister ein Zimmer zusammen und das Gemeinschaftsleben spielte sich in der Küche ab. Heute muss jedes Kind seinen eigenen Raum und die Eltern ein Gästezimmer haben.“

Die Ansprüche an den individuellen Platzbedarf sind gestiegen – und so leicht auch nicht wieder zu minimieren. Wie also kann es gelingen, weniger Wohnfläche attraktiv zu gestalten und die Akzeptanz für kleinere Wohnflächen zu fördern – weg vom Statussymbol Wohnung? Wo gibt es Möglichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung von Flächen? „Das Gästezimmer zum Beispiel“, erklärt es Oberbürgermeister Uli Burchardt bei einem Pressetermin, „das muss nicht jeder einzeln haben“. Stattdessen könnte es eine Gästewohnung in dem Wohnkomplex geben, die per Smartphone-App gebucht werden kann, wenn Freunde oder Familie kommen. Genauso müsse nicht jeder ein Auto in der Tiefgarage stehen haben – sondern bucht dann eines, wenn er es benötigt. „Share economy“ – also die Ökonomie des Teilens – lautet das Stichwort. Noch sind all das Ideen zur Zukunft des Wohnens, an der die Arbeitsgruppen in den nächsten zwei Jahren feilen wollen.

Hohe Wohnqualität zu akzeptablen Preisen als Herausforderung

Fest steht für Burchardt aber: Wer die Menschen, die in eigentlich zu großen Wohnungen leben, bewegen will, muss als Alternative Wohnraum schaffen, der "top" ist: In der Lage, in der Qualität, in der Infrastruktur. Die Herausforderung an die Zukunftsplaner wird also sein, ein attraktives Quartier zu schaffen, das aber gleichzeitig bezahlbar ist. Luxuswohnungen für Stuttgarter Geschäftsleute auf dem Filetstück Christiani-Wiesen bauen? Simpel. Das Modellquartier aber soll alternativ sein, für alle Einkommenschichten bezahl- sowie für alle Generationen bewohnbar. Die Stadt will auch verstärkt Baugruppen fördern, die gemeinschaftlich Eigentum bauen und spekulationsfreien, generationsübergreifenden und bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen wollen.

50 bis 80 Menschen zwischen zwei und 68 Jahren, vom Handwerker bis zum Akademiker, haben sich beispielsweise bereits zu der Baugemeinschaft "Wohnprojekt Konstanz" zusammengeschlossen. „Das Kernziel unserer Wohngenossenschaft in der Gründung ist die Nachhaltigkeit in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht“, erklärt Annabel Holtkamp. Reduzierung der persönlichen Wohnflächen und Sharing-Modelle seien wesentliche Ansätze des Konzeptes. Dieses Projekt auf den Christiani-Wiesen umzusetzen, könne sich Holtkamp sehr gut vorstellen. "Es erfüllt durchaus die Kriterien für das Modellquartier."

Fest steht schon jetzt: „Wir wollen ein Modell für Konstanz, das letztlich auf alle Flächen im Handlungsprogramm Wohnen übertragen werden kann. Das Ziel ist es, einen Baukasten zu entwickeln", so Baubürgermeister Karl-Langensteiner-Schönborn im TUA. Ob die Christiani-Wiesen die geeignete Fläche für ein solches Experiment sind, bezweifeln einige Stadträte. Vor allem die Freie Grüne Liste steht vor einem Dilemma: Auf der einen Seite befürwortet sie alternative Wohnprojekte. Auf der anderen Seite haben die Grünen in der Vergangenheit eine Bebauung der Christiani-Wiesen aus ökologischen Gründen immer abgelehnt. Um das Projekt Zukunftsstadt weiter führen zu können, muss die Stadt zusätzlich 200 000 Euro, verteilt auf zwei Jahre, geben. Der TUA gab mit der Enthaltung der Mitglieder der Freien Grünen Liste (Anne Mühlhäußer: „Da müssten wir erst unser Wahlprogramm ändern") sowie der Linken Liste grünes Licht. Das letzte Wort aber hat der Gemeinderat.

Christiani-Wiesen

In der Vergangenheit gab es heftige Widerstände im Gemeinderat gegen eine Bebauung des Grünzugs. Auch die Naturschutzverbände fordern die Einhaltung des Bodenseeleitbilds. Das zwei Hektar große Gelände, das als Baugebiet in das Handlungsprogramm Wohnen aufgenommen ist, gehört zu 81 Prozent der Stadt und zu 19 Prozent der Spitalstiftung. Im Flächennutzungsplan ist es noch als landwirtschaftliche Fläche ausgewiesen.