Nachdem Marcus Nabholz bei einem bunten Abend in Berlin inbrünstig und in vorderster Reihe die umstrittenen Lieder von Willi Hermann gesungen hat, ist die weitere Zusammenarbeit mit der Narrengesellschaft Niederburg ungewiss. Die Stellungnahmen der beiden Präsidenten Nabholz und Mario Böhler künden von einem tiefen Zerwürfnis über die Frage, wie Konstanzer Narren mit den Schlagern „Ja, wenn der ganze Bodensee„ oder „Mädle, wenn vu Konstanz bisch“ und anderen Hermann-Schöpfungen umgehen sollen.
Sehen Sie im folgenden Link die Erklärungen im Wortlaut: An Deutlichkeit fehlt es nicht
Nachdem ein Video öffentlich wurde, auf dem Nabholz im blauen Frack als Vertreter der Konstanzer Fasnacht die beiden bekanntesten Lieder von Willi Hermann schmetterte, reagierte Mario Böhler als Präsident von Hermanns früherer Wirkungsstätte, der Niederburg, deutlich: Es sei „traurig“ und enttäuscht.
Mario Böhler: Zusammenarbeit beim Narrenspiel steht zur Debatte
Und: „Ich muss mich mit allen Beteiligten beratschlagen, wie die zukünftige Zusammenarbeit beim Narrenspiel, bei dem Marcus auch auf der Bühne steht, aussehen kann. Ich bedaure sehr, dass es so weit gekommen ist.“

Tatsächlich kooperieren die beiden Narrengesellschaften seit Jahrzehnten. Sie richten gemeinsam die meistbesuchte Veranstaltung der Konstanzer Saalfasnacht aus, das Narrenspiel mit inzwischen sechs Aufführungen vor jeweils über 400 Gästen im unteren Konzilsaal.
Außerdem arbeiten die beiden Gruppen eng bei der SWR-Liveübertragung der Saalfasnacht aus den oberen Saal zusammen. Erst am vergangenen Dienstag standen dabei auch die beiden Präsidenten gemeinsam auf der Bühne und begrüßten die Gäste.
Nabholz betont: Ich zeige klare Kante gegen rechts...
Marcus Nabholz sieht sich zu Unrecht in eine politisch rechte Ecke gestellt. Er habe in vielen Beiträgen immer wieder klar gemacht, dass er für ein liberales Menschenbild einstehe, erklärte er in seiner Stellungnahme an den SÜDKURIER. So habe er bei einem gemeinsamen Auftritt mit seiner Tochter in der laufenden Saison klar Stellung bezogen. Das haben tatsächlich tausende Zuhörer im Konzil so miterlebt.
... aber die Lieder eines Nazis haben für mich nichts damit zu tun
Auch Nabholz' Facebook-Profil transportiert die Botschaft „Kein Millimeter nach rechts“. Die Lieder des überzeugten Nationalsozialisten und Antisemiten Willi Hermann zu singen, stehe dazu nicht im Widerspruch. Die Schlager „gehören zur Konstanzer Fasnacht wie Blätzlebuebe, Kameler, Niederbürgler usw.“, so Nabholz.

Er sei „verwundert und auch enttäuscht“ von Böhler, der die Zusammenarbeit der Narrengesellschaften infrage stelle, und greift seinen Präsidentenkollegen direkt an: „Dazu hat er keine Berechtigung, er ist nur für die Organisation und den Ablauf des Narrenspiels zuständig. Was darüber hinausgeht, ist Sache der Narrenräte der beiden Vereine. Außerdem zeugt das nicht gerade von kameradschaftlichem Miteinander, in der Öffentlichkeit über einen Kollegen so zu reden.“
Es soll jetzt klärende Gespräche geben – der Ausgang ist offen
Wie es weitergeht, könne er noch nicht erklären, sagt Mario Böhler und verweist auf seine Aussage über die anstehenden Beratungen mit allen Beteiligten. Auch Marcus Nabholz kündigte an, klärende Gespräche führen zu wollen.
Auch bei den Blätzlebuebe liefen Willi-Hermann-Lieder
Ein solches steht unterdessen auch bei den Blätzlebuebe an. Die mitgliederstärkste Konstanzer Zunft hat sich öffentlich von den Liedern Willi Hermanns distanziert und entsprechende Nummern auch aus dem Repertoire des Fanfarenzugs genommen. Beim Büebleball, der Kinderveranstaltung in der Wollmatinger Halle, erklangen von einem Tonträger trotzdem die beiden bekanntesten Hermann-Lieder.

Es habe sich dabei um ein Versehen bei der Verwendung einer Mix-CD voller Konstanzer Fasnachtslieder gehandelt, sagte Zunftmeister Andreas Kaltenbach auf Anfrage: „Wir Blätzlebuebe stehen für eine liberale Fasnacht und lehnen das Gedankengut und in der Folge auch die Lieder von Willi Hermann ab, das haben wir so beschlossen, und dabei bleibt es.“
Harmlose Schlager? Wie Leben und Werk von Willi Hermann zum Politikum wurden
- Für Willi Hermann war eine umfassende Würdigung geplant – doch dann wurden Fragen laut. Die Narrengesellschaft Niederburg wollte im November 2018 ein bisher einmaliges Projekt umsetzen: Die bekannten Fasnachts-Lieder ihres 1977 verstorbenen Mitglieds Willi Hermann neu arrangiert für großes Orchester. Wolfgang Mettler hatte seine Partitur fürs Galakonzert schon fast fertig, der SÜDKURIER war um einen Text zum Leben von Willi Hermann angefragt. In der journalistischen Recherche zum Werdegang des 1907 geborenen und in Stockach aufgewachsenen Willi Hermann taten sich Lücken auf, und zwar für die Jahre 1933 bis 1945.
- Stadtarchivar Jürgen Klöckler brachte die Biografie eines glühenden Nationalsozialisten ans Tageslicht. Jürgen Klöckler hat in Konstanz vielfach über die Lebenswege von Menschen geforscht, die tief ins NS-Regime verstrickt waren. Aufsehen erregte er durch seine Forschungen durch den späteren und von vielen hoch verehrten Konstanzer Oberbürgermeister Bruno Helmle. Klöckler forschte wissenschaftlich und belegte, dass Hermann als hauptamtlicher Propagandaredner tätig war. Als Wehrmachtssoldat war er in ein Kriegsverbrechen auf der griechischen Insel Kafalonia verwickelt. Über beides war 70 Jahre lang nicht gesprochen worden.
- Hermanns Fasnachts-Schlager wurden nach den Enthüllungen um ihren Autor neu bewertet. Während Hermann vor dem Krieg in Stockach schon fastnächtlich engagiert war, stieß er erst nach 1945 zur Niederburg. Die Lieder, die er dann komponierte, sind geprägt von der Mentalität der Wiederaufbau-Jahre. Sie verströmen ein aus heutiger Sicht veraltetes Frauenbild, sind aber sonst völlig unpolitisch und geben keinerlei Zeugnis ab von der Gesinnung des Komponisten. Weil Werk und Autor nicht zu trennen seien, haben unter anderen Blätzlebuebe, Niederburg und SWR-Fernsehen die Hermann-Lieder aus dem Programm verbannt.