Bastian Blumenröther erinnert sich gerne an seine Schulzeit. Der 33-Jährige galt in der Mittel- und Oberstufe als Mathematik-Wunderkind. „In Baden-Württemberg habe ich alle Preise gewonnen, die man gewinnen kann“, erinnert er sich. „De facto habe ich als Schüler bereits Mathe studiert, mich intensiv damit auseinandergesetzt.“
Er spürte diesen Drang in sich, Zahlen in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen. „Dabei wurde mir klar, dass die Didaktik in Schulen absurd ist und bei weniger talentierten Kindern nur für Frust sorgt“, sagt er und erklärt seinen Ansatz mit diesem Beispiel „Ich kann Menschen doch nicht kochen beibringen, in dem sie zehn Rezepte auswendig lernen sollen“, erklärt er. „Ein Koch muss sich erst das Grundverständnis aneignen. Was passiert bei gewissen Temperaturen, welche Gewürze haben welche Wirkungen?“
Studium an der Uni Konstanz mit Bestnoten
Nach dem Abitur studierte er an der Uni Konstanz Finanzökonomie. Von 8 bis 20 Uhr war er in der Bibliothek, nur unterbrochen durch Vorlesungen. Im ersten Semester erreichte er einmalige 118 von 120 Orientierungspunkten. In Analysis und Stochastik, der Name zaubert bei vielen Mitmenschen schon Angstschweiß auf die Stirn, schrieb er zweimal die 1,0 und einmal eine 1,3.
„Es begann mich zu langweilen“, sagt Bastian Blumenröther lächelnd. Die Herausforderung Finanzökonomie war plötzlich keine Herausforderung mehr. „Ich brauchte etwas Neues.“
Das war die Zeit, als in Deutschland der Pokerhype losging. Im Jahr 2003 entdeckten die Fernsehsender, dass man mit mehr oder weniger prominenten Spielern hohe Einschaltquoten erreichen konnte. Bastian Blumenröther fand schnell Gefallen an dem amerikanischen Kartenspiel, das so viel mehr erfordert als Glück.
Kleines Pokerstudio im elterlichen Dachgeschoss
Im Dachgeschoss der elterlichen Wohnung in Litzelstetten entstand eine kleines Pokerstudio. Zusammen mit einem Freund sezierte Bastian Blumenröther das Spiel bis ins kleinste Detail. Auf einem Online-Poker-Portal spielten die zwei um Spielgeld – und lernten unter Realbedingungen viel über das Spiel und diverse Strategien.
„Im Netz ist die soziale Ablenkung nicht gegeben“, erklärt er. „Man kann sich voll und ganz auf das Spiel konzentrieren und mehrere Hände spielen.“ Was nichts anderes bedeutet, als an verschiedenen Partien gleichzeitig teilzunehmen.
Aus fünf Dollar macht er 400 – in wenigen Minuten
Der Schritt zum echten Spiel um echtes Geld war ein kleiner. „Wir haben fünf Dollar investiert und in ein paar Minuten daraus 400 gemacht“, erinnert sich Bastian Blumenröther. „Das war zwar schnell wieder verloren, doch wir haben gemerkt: Hey, das funktioniert.“
Noch waren die Einsätze und die Gewinne überschaubar, doch die Richtung war klar zu erkennen. Im Februar 2007 gründeten die beiden Freunde den Pokersportverein Litzelstetten. An Weihnachten gewannen sie mehrere tausend Dollar. „Eine der wichtigsten Fähigkeiten ist, das zur Verfügung stehende Geld gut zu managen“, erklärt der 33-Jährige.
Umzug Nach Thailand
Bis August wuchs der Gewinn auf rund 30.000 Dollar an. „Da in Deutschland der Beruf des Profipokerspielers geächtet war, entschlossen wir uns, nach Thailand zu gehen.“
Die Familie runzelte die Stirn. Wie kann der Sohn nur alles aufgeben, um in Fernost Karten zu spielen?
Doch Bastian und sein Freund machten aus dem Hobby ihren Beruf. Sie studierten Videos der besten Pokerschulen der Welt, zogen für eine paar Monate in eine Wohngemeinschaft von Online-Pokerspielern.
Aber wieso Thailand?
„Wir haben Asien ausgesucht, da dort das Wetter gut ist, der Lebensunterhalt günstig und die Menschen nicht kriminell sind.“ Es gibt schlimmere Kriterien. Nach einem mehrmonatigen Familienbesuch in Konstanz ging’s zurück nach Fernost – und weiter steil bergauf. Bastian Blumenröther gewann Turnier nach Turnier, verdiente sehr gutes Geld. Beim weltgrößten Turnier belegte er Platz sechs und gewann alleine damit in dreizehn Stunden 56.000 Dollar.
Plötzlich war das Selbstvertrauen weg
2016 fühlte er sich erstmals platt und ausgelaugt. „Ich habe schlecht gespielt, hatte eine Pechsträhne“, erinnert er sich. „Das Vertrauen in mich war weg. Ich war mental am Boden.“ Der Druck wuchs mit jeder verlorenen Hand.
Doch ein hochbegabter Mensch wie Bastian Blumenröther weiß sich auch in solchen Situationen zu helfen. In einer einjährigen Auszeit, in der er eine Bar in Vietnam führte, brachte er sich das Lesen von Menschen bei. Was denkt sein Gegenüber? Welche Auswirkungen hat das auf sein Verhalten?
Er war sowieso stets mehr als nur ein Spieler. Er befasste sich mit der gesamten Organisation des Pokerspiels. Wie verhalten sich Dealer, also die Personen, die die Karten ausgeben? Wie die einzelnen Spieler? Was sagt die Mimik über das Blatt aus?
Revolution durch einen neuen Pokertisch?
Dazu besuchte er Casinos und Clubs. Ihm fiel auf, dass herkömmliche Pokertische nicht optimal sind. Ihre ovale Form benachteiligt die Spieler an den Seiten, da sie die Chips der anderen Spieler nicht optimal einsehen können. Also entwickelte er mit einem Freund einen speziellen Pokertisch, der Fairness herstellen soll. Ganz aktuell wird sein Tisch in Casino getestet. „Das könnte eine Revolution sein“, sagt er.
Darüber hinaus berät er Clubs und Casino in Thailand und Vietnam, wo er mittlerweile seinen zweiten Wohnsitz und einen großen Freundeskreis hat. Er arbeitete sich wieder hoch.
Mutter Evelyn, die in Dingelsdorf ein kleines, aber feines Restaurant und Café führt, unterstützt ihn mental. Er würde seinen Lebensmittelpunkt gerne wieder nach Konstanz verlegen und von hier als Berater weltweit tätig sein.
Das Spiel und worauf es dabei ankommt
Poker hatte lange Zeit einen sehr schlechten Ruf als Glücksspiel und wurde vor allem mit Kartenhaien und Falschspiel in Verbindung gebracht. Während der Entstehungszeit des Pokers im 19. Jahrhundert wurde es meist von Berufsspielern verbreitet, die Neulinge und Amateure durch überlegene Beherrschung des Spiels, teilweise durch Betrug, um ihren Einsatz brachten.
Tatsächlich ist die Verteilung der Karten zufällig, doch durch die freie Entscheidung der Spieler darüber, wann und wieviel Geld sie setzen, ergibt sich eine starke strategische und psychologische Komponente.
Gute Spieler verstehen es, durch Kenntnis der Wahrscheinlichkeiten und Beobachten der anderen Spieler schlechte Hände frühzeitig aufzugeben, Verluste gering zu halten und Gewinne zu maximieren.
Bei einzelnen Turnieren, wie der World Series of Poker, spielt das Glück weiterhin eine Rolle, da durch die Setzstruktur relativ kurze Spiele mit wenigen Händen erzwungen werden – mittlerweile gilt es als nahezu ausgeschlossen, dass sich ein Spieler zweimal in Folge durchsetzen kann.
Trotzdem waren es diese Turniere, ebenso wie eine immer weitere Verbreitung freundschaftlicher Pokerrunden (zuerst in den USA, inzwischen auch in Europa), die die strategischen Aspekte des Spiels bekannter und es damit salonfähig machten.
In jüngster Zeit werden immer öfter Pokerturniere im Fernsehen übertragen – dadurch wird die Bekanntheit und Akzeptanz in der Bevölkerung erhöht. Dies liegt im Interesse der Onlinepoker-Anbieter, die sowohl die Turniere als auch die Fernsehübertragungen mitfinanzieren.