Man kann die Lieder von Willi Hermann von Herzen mögen mit ihren eingängigen Melodien. Man kann sie sogar für einen unverzichtbaren Teil der Konstanzer Fasnacht halten. Man kann in ihnen Werke sehen, die durch jahrzehntelanges Benutzen auf Bühnen und in Hinterzimmern die Beziehung zu ihrem Erschaffer längst hinter sich gelassen haben.
Lustige Lieder und Hassreden gegen Juden: Wer kann da eigentlich noch fröhlich singen?
Was man aber nicht kann: sich über die Gefühle und Überzeugungen von Menschen zu erheben, die bei Willi Hermann den Gedanken an antisemitische Hetzreden und die Bilder widerwärtiger Kriegsverbrechen nicht ausblenden und denen es bei diesen Schlagern die Kehle zuschnürt.
Und genau darum geht es jetzt bei der Zerreißprobe, mit der Konstanz in die tollste Woche des Jahres startet. Marcus Nabholz, Präsident der Kamelia Paradies, poltert in bester Populisten-Manier, er lasse sich das Liedgut von Willi Hermann nicht nehmen. Das ist nicht neu, ähnliche Töne schlug er schon früh an, als die Nazi-Vergangenheit des Komponisten bekannt wurde.
Ob der Auftritt in Berlin am vergangenen Donnerstag nun die kühl kalkulierte Eskalation oder eine Trotzreaktion war, kann hier dahingestellt bleiben. Denn was zählt, sind die Folgen.

Denn auf der anderen Seite steht Mario Böhler, der Niederburg-Präsident, der in vielerlei Hinsicht der Fasnacht das nehmen will, was manche als Muff bezeichnen. Mit seiner Linie für einen kritischen Umgang mit der Vergangenheit hat er über seinen eigenen Verein hinaus einen unbequemen Prozess angestoßen, und viele sind ihm gefolgt.
Bis heute träufelt das Gift des „Jetzt lasst es mal gut sein“ in die Gesellschaft
Dass er dafür auch persönliche Beziehungen aufs Spiel setzen muss und sich allgemein damit nicht nur Freunde macht, zeigt nur, wie stark die Beharrungskräfte des „Jetzt lasst es mal gut sein“ bis heute sind. Es ist ein tückisches Gift, das aus Achtlosigkeit oder Bosheit in die Gesellschaft und ihre Diskurse geträufelt wird. Musste man das nicht in den letzten Wochen erkennen?
Beide Narrenpräsidenten handeln aus Überzeugung
Der Konflikt musste nachgerade eskalieren, weil seine beiden wichtigsten Akteure gleichermaßen aus Überzeugung handeln. Marcus Nabholz hält es schlicht nicht für erforderlich, seiner wortreichen Positionierung gegen rechts auch Taten im Sinne eines Verzichts auf die Willi-Hermann-Lieder folgen zu lassen. Mario Böhler hält das Singen der Lieder für zynisch und macht den Umgang mit diesem Teil des fasnächtlichen Erbes zum Lackmustest für eine tolerante Gesinnung.
Als Spaltpilz erhalten die Lieder nochmals ganz neue Wirkmacht
So steckt wenige Tage vor dem Schmotzigen Dunschtig ein tiefer Keil in der Narretei. Als Spaltpilz haben die Lieder von Willi Hermann nochmals eine enorme Wirkung entfaltet.
Auch fürs einzelne Narrenherz ist es manchmal eine Zerreißprobe
Auch, weil es viele engagierte Narren innerlich fast zerreißt bei der Frage, wie sie es jetzt mit „Ja, wenn der ganze Bodensee“ halten sollen. So ist das mit der Vergangenheit, die nicht vergeht – sie macht auch vor der glückseligen fünften Jahreszeit nicht Halt.