Die Anspannung ist spürbar. Im Saal des Marienhauses sitzen die Bewohner und warten darauf, dass es endlich losgeht. Viele wissen nicht, was auf sie zukommt, wenn sie an diesem Sonntagmorgen Ende September ihre gewohnte Umgebung verlassen und in ihr neues Zuhause umziehen.

Wann bin ich dran? Aufgeregt warten die Senioren des Marienhauses, bis sie aufgerufen werden und die kurze Fahrt ins Pflegeheim Haus ...
Wann bin ich dran? Aufgeregt warten die Senioren des Marienhauses, bis sie aufgerufen werden und die kurze Fahrt ins Pflegeheim Haus Zoffingen antreten dürfen. | Bild: Kirsten Astor

Denn das Marienhaus im Paradies wird als Pflegeheim aufgegeben, die Bewohnerinnen und Bewohner beziehen alle an demselben Tag in einer minutiös geplanten Aktion das neue Haus Zoffingen am Rheinsteig. „Wir haben uns seit vielen Monaten auf diesen Tag vorbereitet“, sagt Andreas Hoffmann vom Caritasverband Konstanz.

Auch die Malteser, die den Fahrdienst übernahmen, haben unzählige Besprechungen hinter sich. Schließlich müssen viele Rädchen ineinandergreifen, bis 101 Bewohner mitsamt ihren Betten und ihrem Hab und Gut von einem Haus ins andere gelangen – manche im Bett liegend, andere im Rollstuhl sitzend.

Zehn Wagen der Malteser fahren stundenlang zwischen dem Marienhaus im Paradies (Bild) und dem neuen Pflegeheim Haus Zoffingen hin und her.
Zehn Wagen der Malteser fahren stundenlang zwischen dem Marienhaus im Paradies (Bild) und dem neuen Pflegeheim Haus Zoffingen hin und her. | Bild: Kirsten Astor

Damit an diesem Tag keiner der Bewohner überfordert wird, steht jedem ein Angehöriger oder Ehrenamtlicher als Umzugspate zur Seite. So sitzt an diesem Vormittag auch Birgit Kirchner in ihrem Rollstuhl im Marienhaus. „Ich konnte halbwegs schlafen“, sagt die 61-Jährige. „Viele Bewohner sind ein bisschen skeptisch, aber ich nehme es, wie es kommt.“

Ihre Schwester Edith Kirchner, 57 Jahre, ist ihre Umzugsbegleiterin. Auch sie ist optimistisch: „Birgit freut sich auf ein eigenes Bad, denn bislang musste sie sich eines teilen.“

Birgit Kirchner (links) wartet im Marienhaus auf ihren Umzug. Begleitet wird sie dabei von ihrer Schwester Edith.
Birgit Kirchner (links) wartet im Marienhaus auf ihren Umzug. Begleitet wird sie dabei von ihrer Schwester Edith. | Bild: Kirsten Astor

Neben den beiden wartet Jürgen Jetschmanegg auf seinen Umzug. Er weint. „Mein Vater ist heute sehr emotional, aber er kann sich nicht mehr ausdrücken“, sagt sein Sohn Ivo. Vielleicht ist es Aufregung, vielleicht Vorfreude oder die Freude über unser Wiedersehen.“

Auch Stefanie Ebner von der Caritas, die den Umzug maßgeblich mit organisierte, bestätigt: „Die vergangenen zwei Tage waren sehr nervenaufreibend. Viele Bewohner hatten Angst, andere standen schon einen Tag zu früh parat.“ Ihr Telefon steht nicht still, sie ist im geduldigen Dauer-Einsatz.

Umzugsleiterin Stefanie Ebner von der Caritas führt mehrere hundert Telefonate an diesem Tag.
Umzugsleiterin Stefanie Ebner von der Caritas führt mehrere hundert Telefonate an diesem Tag. | Bild: Kirsten Astor

Gegen 9.30 Uhr ist es soweit. Caritas-Pflegefachkraft Evi Küntzel und Caroline Pierro von den Maltesern rufen Birgit Kirchner auf. Eine andere Dame winkt: „Man sieht sich im neuen Haus!“ Birgit Kirchners Rollstuhl wird in einem Krankenwagen festgeschnallt, ihre Schwester dokumentiert den spannenden Tag mit ihrem Handy und läuft dann zum neuen Haus.

Caroline Pierro und Tobias Hiller schieben Birgit Kirchner in den Malteserwagen und schnallen ihren Rollstuhl an.
Caroline Pierro und Tobias Hiller schieben Birgit Kirchner in den Malteserwagen und schnallen ihren Rollstuhl an. | Bild: Kirsten Astor

Nach wenigen Minuten kommt auch der Krankenwagen am Ziel an, doch einfach ihre Insassen ausladen und zur nächsten Fahrt aufbrechen können die Malteser nicht: Der Parkplatz ist zu eng und im Inneren müssen die Bewohner auch erstmal verteilt werden.

Das Umzugsunternehmen nutzt den linken Eingang vor dem Pflegeheim Zoffingen, während die Malteser die Bewohner zum engen Parkplatz um ...
Das Umzugsunternehmen nutzt den linken Eingang vor dem Pflegeheim Zoffingen, während die Malteser die Bewohner zum engen Parkplatz um die Ecke fahren. | Bild: Kirsten Astor

„Ich spiele Auto-Tetris“, sagt Sabine Hartauer von den Maltesern und lacht. Sie ist an diesem Tag die Abschnittsleiterin am Haus Zoffingen und hat den Überblick darüber, wann welcher Krankenwagen wohin fahren kann. Dann hat Birgit Kirchner es geschafft, ihr Rollstuhl wird ausgeladen und ins neue Zuhause gefahren.

„Ich spiele Auto-Tetris“, sagt Sabine Hartauer von den Maltesern.
„Ich spiele Auto-Tetris“, sagt Sabine Hartauer von den Maltesern. | Bild: Kirsten Astor

Hier ist wieder Warten angesagt. Überall stehen Helfer bereit, fragen nach Namen, schauen auf Listen, nennen Stockwerke und Zimmernummern. Wer Appetit hat, bekommt in der Cafeteria ein Vesper, ab 11 Uhr gibt es auch Gulasch- und Nudelsuppe. Nervennahrung in Form von Schokoriegeln und Gummibärchen steht sowieso bereit.

Edith Kirchner schiebt ihre Schwester Birgit in den Aufzug, in dem auch Betten transportiert werden. Caritas-Vorstand Udo Wankelmuth ...
Edith Kirchner schiebt ihre Schwester Birgit in den Aufzug, in dem auch Betten transportiert werden. Caritas-Vorstand Udo Wankelmuth (rechts am Lift) hilft überall mit. | Bild: Kirsten Astor

Über eine Stunde später dürfen Birgit und Edith Kirchner mitkommen. Sie nehmen den Aufzug und fahren ins neue Zimmer. Auf den Gängen riecht es nach Farbe, überall Gewusel. In einem Aufenthaltsraum sitzt Annika Handel, Schülerin des Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums (SG) des Marianums in Hegne. Vier Hegner SG-Klassen sind als Ehrenamtliche im Einsatz.

„Ich finde es schön, dass die Bewohner nun so ein helles, luftiges Haus haben“, sagt sie und schenkt einer alten Dame Wasser ein.

So sieht einer der neuen Aufenthaltsräume im Pflegeheim Zoffingen aus. Im Hintergrund betreut Annika Handel als Ehrenamtliche eine ...
So sieht einer der neuen Aufenthaltsräume im Pflegeheim Zoffingen aus. Im Hintergrund betreut Annika Handel als Ehrenamtliche eine Bewohnerin. | Bild: Kirsten Astor

Auch Birgit Kirchner hat ihr Zimmer gefunden. „Herzlich willkommen zu Hause!“, steht auf einem Schild auf ihrem Tisch, daneben eine frische Blume. Die 61-Jährige freut sich: „Jetzt schaue ich von einer anderen Seite aufs Konstanzer Münster.“ Plötzlich kommt Pflegerin Sulaene Veeser herein, umarmt Birgit Kirchner und sagt: „Schön, dass du angekommen bist!“

Pflegekraft Sulaene Veeser freut sich mit Birgit Kirchner, dass sie im neuen Zimmer angekommen ist.
Pflegekraft Sulaene Veeser freut sich mit Birgit Kirchner, dass sie im neuen Zimmer angekommen ist. | Bild: Kirsten Astor

Gegen 13 Uhr ist es geschafft, alle Bewohner, Betten und Kisten sind am Ziel. Andreas Hoffmann ist erleichtert. „Es ist schön zu sehen, dass alles so klappt, wie man es sich vorgestellt hatte – auch wenn mir zuletzt jede Nacht noch was Neues einfiel.“ Seit 3.45 Uhr ist er an diesem Tag wach, traf um 6 Uhr das Organisationsteam und wenig später die Ehrenamtlichen.

„Es ist schön zu sehen, dass alles so klappt, wie man es sich vorgestellt hatte“, Andreas Hoffmann vom Caritasverband Konstanz.
„Es ist schön zu sehen, dass alles so klappt, wie man es sich vorgestellt hatte“, Andreas Hoffmann vom Caritasverband Konstanz. | Bild: Kirsten Astor

„Wir haben das neue Haus Zoffingen sieben Jahre lang geplant. Deshalb ist heute ein emotionaler Tag“, sagt Andreas Hoffmann. Jörg Scholten, Stadtbeauftragter der Konstanzer Malteser, äußert sich ähnlich: „Wir haben lange auf diesen Tag hingefiebert und es war zum Glück ein Selbstläufer, genug Ehrenamtliche zu finden“, lobt er. „Für uns ist der Umzug auch ein Test für den Fall, dass wir mal ein Pflegeheim unvorhergesehen evakuieren müssen.“

Erleichterung kurz vor 13 Uhr: Nach knapp fünf Stunden warten nur noch zwei Bewohner auf ihren Transport. Jörg Scholten, Tobias Stoiber ...
Erleichterung kurz vor 13 Uhr: Nach knapp fünf Stunden warten nur noch zwei Bewohner auf ihren Transport. Jörg Scholten, Tobias Stoiber und Bene Kuczkay (von links) von den Maltesern sind erleichtert. Arzt Andreas Dietz (rechts) musste nur eine Dame beim Transport begleiten. | Bild: Kirsten Astor

Birgit Kirchner hat inzwischen mit ihrer Schwester, die als Hauswirtschafterin auf der Insel Reichenau arbeitet, ihre neuen Schränke inspiziert. Viel mehr freut sie sich aber über eine andere Bewohnerin, die sie auf dem Flur entdeckt. „Ah, sie wohnt auch wieder auf meinem Stockwerk“, freut sich die 61-Jährige, großer SC-Freiburg-Fan. „Dann können wir auch künftig gemeinsam über Fußball fachsimpeln.“

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