Wenn Io Bachmaier kocht, geht es längst nicht nur darum, eine Mahlzeit zuzubereiten. Denn sie hat täglich neugierige Zuschauerinnen, die jeden ihrer Schritte mit den Augen verfolgen und nach einer Weile auch riechen, dass das Essen bald auf den Tisch kommt.

Mit Quark gefüllte Pfannkuchen mit Eiermasse überbacken: Konditormeisterin und baldige Diätköchin Io Bachmaier bereitet das Essen für ...
Mit Quark gefüllte Pfannkuchen mit Eiermasse überbacken: Konditormeisterin und baldige Diätköchin Io Bachmaier bereitet das Essen für zwölf Bewohnerinnen des Pflegeheims Jungerhalde zu. | Bild: Hanser, Oliver

Io Bachmaier ist gelernte Konditormeisterin und verbringt als Präsenzkraft viel Zeit in einer von fünf Küchen des Pflegeheims Jungerhalde. Ihre Zuschauerinnen sind dankbar für diese Teilhabe am Alltag, für die Gemeinschaft, die dabei entsteht. Denn die Damen sind betagt, aber nicht einsam. Durch das Konzept der Wohnfamilien haben sie immer jemanden um sich herum, wenn sie es wünschen. Und wenn nicht, ziehen sie sich in ihr Zimmer zurück.

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„Denn gutes Essen ist das Fundament jeden Glücks“

Das Pflegeheim Jungerhalde in Allmannsdorf bietet Platz für fünf dieser Familien, auch Hausgemeinschaften genannt. In jeder Einheit leben zwölf Senioren. „Die Räume sind so angeordnet, dass sich in jeder Familie ein Rundweg ergibt, der in der Küche endet“, erklärt Heimleiter Jürgen Stötzer von der Arbeiterwohlfahrt. „Denn gutes Essen ist das Fundament jeden Glücks“, ergänzt er lachend.

Wer möchte, kann Präsenzkraft Io Bachmaier beim Zubereiten von vier Mahlzeiten am Tag zuschauen und auch helfen.
Wer möchte, kann Präsenzkraft Io Bachmaier beim Zubereiten von vier Mahlzeiten am Tag zuschauen und auch helfen. | Bild: Hanser, Oliver

In den Familien wird täglich frisch gekocht. Dafür zuständig ist jeweils eine Präsenzkraft, die sieben Stunden am Tag anwesend ist und auch leichte pflegerische Tätigkeiten übernimmt. „Diese Kräfte leiten jeweils ein kleines Restaurant“, sagt Jürgen Stötzer. „Ein Restaurant mit nur zwölf Gästen, die dort vier Mahlzeiten am Tag bekommen.“

Hinter dieser Glastür lebt Familie 4 des Pflegeheims Jungerhalde.
Hinter dieser Glastür lebt Familie 4 des Pflegeheims Jungerhalde. | Bild: Hanser, Oliver

An diesem Vormittag sitzen schon zwei Damen am Esstisch, als Io Bachmaier Pfannkuchen mit einer Quarkfüllung versieht, eine Eiermasse darüber gibt und das Gericht in den Ofen schiebt. Die Bewohnerinnen dürften auch helfen, wenn sie Lust haben.

„Das Essen ist das Ereignis des Tages für die Menschen“, sagt Konditormeisterin und Präsenzkraft Io Bachmaier.
„Das Essen ist das Ereignis des Tages für die Menschen“, sagt Konditormeisterin und Präsenzkraft Io Bachmaier. | Bild: Hanser, Oliver

„Manchmal schält jemand Kartoffeln, wäscht Salat oder faltet Servietten“, sagt Jürgen Stötzer. „Aber viele über 90-Jährige zeigen ihre Hände und sagen: ‚Ich habe das lange genug gemacht und bin froh, dass es nun für mich übernommen wird.‘“

Und das sei auch gut so, findet der Heimleiter. „In der globalisierten Welt wohnen viele Angehörige nicht mehr in der Nähe und bekommen manchmal gar nicht mit, dass ihre allein lebenden Eltern den Alltag nicht mehr bewältigen können. Am Telefon sagt dann ein 88-Jähriger zu seinem Sohn, er habe sich heute ein Schnitzel gebraten. Doch in Wahrheit ist der Kühlschrank leer und der Mann hat zehn Kilo abgenommen.“

Der 91-jährigen Hertha Olschowska jedenfalls gefällt es im Pflegeheim Jungerhalde. „Hier habe ich immer Kontakt zu anderen Bewohnern, wir spielen oft im Garten Karten“, erzählt sie. „Und morgens machen viele zusammen Gymnastik. Ich bin immer dabei – schließlich war ich früher Gymnastiklehrerin.“

„Mir gefällt es im Pflegeheim Jungerhalde. Hier habe ich immer Kontakt zu anderen Bewohnern“, sagt die 91-jährige Hertha ...
„Mir gefällt es im Pflegeheim Jungerhalde. Hier habe ich immer Kontakt zu anderen Bewohnern“, sagt die 91-jährige Hertha Olschowka. | Bild: Hanser, Oliver

Während Hertha Olschowska noch recht neu in der Jungerhalde ist, leben andere schon lange dort, sagt Jürgen Stötzer und meint damit über zwei Jahre. Knapp ein Drittel der Bewohner habe Demenz in verschiedenen Ausprägungen, aber auch das wird in den Hausgemeinschaften aufgefangen. „Wer dement wird, bleibt in seiner Familie“, so der Heimleiter. Das Haus wird allerdings erst ab Mitte September 2023, rund zweieinhalb Jahre nach seiner Eröffnung, vollständig belegt. Von den 60 Plätzen waren bis vor kurzem noch zwölf frei.

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Der Grund: Der Neubau hatte am 14. Juli 2021, nur drei Monate nach seiner Eröffnung, einen großen Wasserschaden. „Zum Glück waren damals die Räume für eine Familie noch nicht bezogen, sodass die betroffenen Bewohner in diese Zimmer wechseln konnten“, sagt Stötzer.

Bezahlbare Wohnungen für Personal fehlen

Zudem hätten akuter Pflegekraftmangel und fehlende bezahlbare Wohnungen für das Personal dafür gesorgt, dass die letzte Einheit bislang leer blieb. An Nachfrage seitens der Senioren fehlt es jedenfalls nicht. Die Idee, dass die Bewohner in den Alltag eingebunden werden und sich die Betreuung an ihren Fähigkeiten orientiert, ist beliebt.

Der Heimleiter sagt: „Dieses Konzept der Familien ist personell, organisatorisch und finanziell der Wahnsinn für uns, aber wir ermöglichen Teilhabe auf eine besondere Art.“ Das hat sich inzwischen wohl über die Bewohner (viele davon sind Allmannsdorfer) und ihre Angehörigen auch im Ort herumgesprochen. Denn gegen den Bau des Pflegeheims in der Jungerhalde hatte es zunächst Widerstand gegeben.

Das Gebäude des Pflegeheims Jungerhalde in Allmannsdorf war in Höhe und Aussehen umstritten.
Das Gebäude des Pflegeheims Jungerhalde in Allmannsdorf war in Höhe und Aussehen umstritten. | Bild: Hanser, Oliver

Anwohner wünschten sich dezentrale Pflegewohnungen und ambulante Angebote anstatt eines Pflegeheims. Auch an der Gebäudehöhe und -hülle sowie an der Zahl der Parkplätze schieden sich die Gemüter. Stadträte und Bürger, auch von der Bürgervereinigung Allmannsdorf-Staad (BAS), fürchteten, der Neubau werde zum Fremdkörper im Quartier.

Emotionale Debatten

„Der Start war nicht schön“, sagt Jürgen Stötzer. „Zum einen haben wir während der Corona-Pandemie angefangen, das war grausam. Zum anderen habe ich als Zugezogener mitbekommen, dass die Debatten um das Pflegeheim sehr emotional geführt worden waren. Es ist nicht gut, wenn man gefühlsmäßig bei minus zwei starten muss und nicht bei Null beginnen kann.“

Er moniert: „Den Kritikern war es nie wichtig, wie es den Menschen hier geht und welchen Aufwand wir betreiben. Die Debatten drehten sich nur noch um das Gebäude und die Fassade.“ Jetzt allerdings sei man im Miteinander auf einem guten Weg.

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Das Essen ist fertig, Io Bachmaier serviert eine Suppe und die gefüllten Pfannkuchen. Hertha Olschowka und ihre Nebensitzerinnen Elfriede Stadelhofer und Sigrid von Ulardt greifen zu. „Hier kann man sich auch mal ein Gericht wünschen“, sagt Olschowka und fügt an: „Das war aber gar nicht nötig. Bislang war ich immer zufrieden.“