Anita Hoffmann ist ein bisschen frustriert. Es läuft beim Tafelladen: Die Warteschlange der Menschen, die hier einkaufen wollen, reicht über den gesamten Gottmannplatz. Schon wieder hat Hoffmann, Leiterin der Tafel Konstanz, einen Aufnahmestopp für Neukunden aussprechen müssen. Vermutlich ist sie die einzige Leiterin eines Ladengeschäfts, die sich nicht freut, wenn der Andrang groß ist und das Geschäft brummt.

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Doch immer, wenn‘s beim Tafelladen läuft, ist es ein Zeichen dafür, dass es dem sozial schwächsten Teil der Gesellschaft finanziell immer schlechter geht. Zwar bekomme sie in Konstanz im Moment genügend Lebensmittelspenden von Einzelhändlern und vom Fruchthof Konstanz, doch die Kapazitäten bei ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern werden knapp.

„Unsere Öffnungszeiten sind vier mal wöchentlich von 12 bis 14.30 Uhr“, erläutert sie. Allzu häufig aber werde es 15:30 Uhr oder 16:30 Uhr, bis aufgeräumt sei und die Mitarbeiter den Laden schließen könnten. An jedem Öffnungstag stehen etwa 100 Kunden vor der Tür des Tafelladens.

Drei der guten Seelen des Ladens: Ingrid Becker (von links), seit 15 Jahren dabei, Dagmar Sengle und Hanne Mai sortieren die frische ...
Drei der guten Seelen des Ladens: Ingrid Becker (von links), seit 15 Jahren dabei, Dagmar Sengle und Hanne Mai sortieren die frische Ware und richten sie für die Kunden her. | Bild: Wagner, Claudia

Etwa 80 Prozent sind ukrainische Flüchtlinge

Das zweite Problem, das sie umtreibt, hat mit Verdrängung zu tun. „Mehr als 80 Prozent unserer Kunden sind Ukrainer“, sagt sie. Das allein sei kein Problem, aber es habe dazu geführt, dass die dem Tafelteam vertrauten, langjährigen Kunden wegblieben.

Das macht Anita Hoffmann Sorgen. Von vielen ihrer angestammten Kunden weiß sie, dass sie bedürftig sind und materielle Unterstützung bräuchten – von den Ukrainern kann sie es nur annehmen. Vor einem grausamen Krieg geflohen sind sie alle, doch nicht alle sind mittellos nach Deutschland gekommen.

Sofia Aharkova, die im März 2022 aus Kiew nach Konstanz geflohen ist, ist froh, dass sie mit Waren aus dem Tafelladen ihre Kinder und ...
Sofia Aharkova, die im März 2022 aus Kiew nach Konstanz geflohen ist, ist froh, dass sie mit Waren aus dem Tafelladen ihre Kinder und sich selbst versorgen kann – zumindest zum Teil. | Bild: Wagner, Claudia

Sofia Aharkova muss sich beeilen: Sie hat eingekauft, Brot und Gemüse, Hackfleisch und Obst. Im Tafelladen ist Disziplin gefragt: Langes Zögern und Umsehen sind nicht erwünscht, jeder sollte nur nehmen, was sein Haushalt dringend braucht. Schon geht es mit vollem Korb an die Kasse.

Die junge Mutter stammt aus Kiew und fühlt sich schon als „Stammkundin“ beim Tafelladen. Auch sie beobachtet, dass stets neue Kunden hinzukommen. „In letzter Zeit gibt es aber viele Waren und viel Auswahl. Deshalb kommen wir gern und zweimal die Woche zum Einkaufen“, sagt sie. Auch dabei hat Hoffmann eine Kontingentierung eingeführt. Nur noch zwei Mal pro Woche dürfen die Kunden kommen.

Wenn Sozialhilfe zum Leben reichen muss

Sofia Aharkova ist froh um das Angebot. Sie wohnt in Dettingen und dort kauft sie Milchprodukte, zum Beispiel Joghurt für die Kinder, ein. So kann sie mit der Sozialhilfe die Miete, den Einkauf und die nötigsten Bedarfsartikel abdecken. Ohne den Einkauf im Tafelladen wäre es viel schwieriger, mit dem Geld klarzukommen.

Das System der Tafelläden kennt sie aus ihrer Heimat nicht, doch es gebe in Kiew Mittagstische für Bedürftige. Tafelläden wiederum seien aus ihrer Sicht eine sehr begrüßenswerte Institution. „Wir bekommen hier frische Früchte und Gemüse, das ist toll. Auf diese Weise reicht uns die Sozialhilfe zum Leben.“

Frisches Gemüse für den Tafelladen kommt oft von der Produktion der Insel Reichenau oder vom Fruchthof Konstanz.
Frisches Gemüse für den Tafelladen kommt oft von der Produktion der Insel Reichenau oder vom Fruchthof Konstanz. | Bild: Wagner, Claudia

Es gibt auch gute Entwicklungen bei der Organisation der Tafel, das erkennt Leiterin Anita Hoffmann an. „Zum Glück haben wir im Moment relativ viel Ware“, sagt sie. Das war in diesem Jahr schon mal anders, als sich Einzelhändler zurückhielten mit Lebensmittelspenden. Derzeit sammelten ihre Mitarbeiter, fünf Männer, die fürs Abholen und Bringen zuständig sind, relativ große Mengen ein.

Dass dies so funktioniere, liege auch an den Personen, die einen guten Draht zu den Einzelhändlern pflegten. „Immerhin sind wir die einzige Tafel im Kreis, die ihre Spenden selbst sammelt. Die anderen, Stockach, Radolfzell und Singen werden aus dem Zentrallager beliefert“, sagt Hoffmann – nicht ohne Stolz.

Trotzdem wird das Geschäft der Tafel in den kommenden Monaten wohl schwierig bleiben. Die Organisation des Konstanzer Ladens bleibt weiterhin straff – so greifen die Verkäuferinnen an der Kasse aus zu großzügig bemessenen Einkaufskörben die Waren wieder heraus. Auf diese Weise sichern sie, dass alle Kunden in etwa gleiche Chancen erhalten.

Das Sprach- und Kommunikationsproblem bleibt vorerst erhalten. Hoffmann erinnert sich, dass es auch 2015 und 2016 schwierig war, als viele Flüchtlinge zur Tafel drängten. Unterdessen hofft sie, dass auch die anderen, einheimischen Bedürftigen wieder zur Tafel zurückkehren.