Dass der Hindenburg wegmüsse, als Straßenname, darüber sind sich die fünf Anwohner der Hindenburgstraße 10 und 18 einig. Dagmar Schmid hat auch schon einige Alternativvorschläge eingereicht. Angesichts der Nähe zur Moschee und der vielen ausländischen Studenten in der Nachbarschaft fände sie Friedensstraße gut. Oder eine Frau: Die etwas schrille Künstlerin Tabea Blumenschein fällt ihr ein, das hätte doch Klang.

Das könnte Sie auch interessieren

Alle fünf aber fänden wohl Karl-Egon-Fuchs-Straße am passendsten. Der Junge lebte hier in der 10, wurde 1937 abgeholt und 1940 in Grafeneck ermordet. Wegen einer Sprachstörung. Der Stolperstein befindet sich vor der Tür, und oben wohnt noch immer Ottilie Fuchs, die den Bruder des Jungen heiratete und nun auf die 100 zugeht.

„Wenn Ottilie das noch erleben könnte, wäre das großartig!“, findet Werner Palz aus der 10. Und Caroline Welsch sagt: Dem jungen Fuchs damit ein Denkmal zu setzen, das wäre die passende Alternative. „Quasi eine Antithese zu Hindenburg“, ergänzt Hanno Degner. Einigkeit allenthalben, und jeder würde dafür gerne den Aufwand in Kauf nehmen, alle Adressen umschreiben zu müssen.

Die fast hundertjährige Ottilie Fuchs vor dem Hauseingang Hindenburgstraße 10, vor dem sich der Stolperstein für Karl-Egon Fuchs befindet.
Die fast hundertjährige Ottilie Fuchs vor dem Hauseingang Hindenburgstraße 10, vor dem sich der Stolperstein für Karl-Egon Fuchs befindet. | Bild: Michael Buchmüller

Das sieht auch Luise Merle aus der 18 so. Sie sei von der Alemannenstraße hierhergezogen, und es habe sie immer schon genervt, „Hindenburg“ schreiben zu müssen. Schon lange habe sie gedacht, da müsse man was machen. Und jetzt gibt es die Möglichkeit. Sie sei extra ins Stadtarchiv gegangen, habe sich informiert über die Gegend hier, die früheren Straßennamen. Da vorne am Ziegelhof ja eine Ziegelei stand, fände sie auch Ziegeleistraße ganz angebracht. Oder Kastanienallee.

„Hindenburg verdient es nicht. Er war kein Demokrat.“

Alles besser als der alte Reichspräsident. Denn der, wieder Einigkeit bei allen Beteiligten, sei heute nicht mehr tragbar. Alles, wofür Hindenburg stehe – Krieg, Dolchstoßlegende, Hitlerermächtigung, Nationalismus – könne heute nicht mehr als vorbildhaft gelten, und das solle die Ehrung durch einen Straßennamen ja schließlich ausdrücken.

„Nebenan leben viele ausländische Studenten“, erklärt Werner Palz. „Wenn die wüssten, was Hindenburg damals über ihre Länder gedacht und geschrieben hat, das geht gar nicht.“ Und Hanno Degner sagt: „Hindenburg verdient es nicht. Er war kein Demokrat, und er hat geholfen, Hitler an die Macht zu bringen.“

Die undatierte Aufnahme zeigt Paul von Hindenburg.
Die undatierte Aufnahme zeigt Paul von Hindenburg. | Bild: dpa

Fabio Crivellari, Historiker und tätig an der Universität Konstanz, hat über Hindenburg und speziell auch die Namensgebung am Petershauser Park publiziert. Er geht zunächst davon aus, dass die Hoffnung trügerisch ist, von Straßenbenennungen nach Personen könnten geschichtsdidaktische Impulse ausgehen.

Anders als Stolpersteine, die meist irritieren, aufmerksam machen und ihr Anliegen verdeutlichen, seien Straßennamen „kalte Medien“, ehrende Denkmäler, die desto weniger Interesse wecken je länger unsere Gegenwart von der geehrten Person entfernt ist.

Die Hindenburgstraße gibt es über 90 Jahre

1927 bekam Hindenburg in Konstanz „seine“ Straße, eine von heute 316 Hindenburg-Straßen bundesweit, die die Umbenennungswelle nach 1945 unbeschadet überstanden haben. Als 2009 das ZDF die dreiteilige Serie „Die Machtergreifung“ ausstrahlte, geriet er mehr und mehr in die Kritik. Guido Knopp, Ralph Giodarno und andere forderten nun, ihn nicht mehr als Namenspatron zu verwenden. Und allerorten begann die kritische Auseinandersetzung mit der Straßenbenennung, Gelegenheiten gab es ja mehr als genug.

Das könnte Sie auch interessieren

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war Hindenburg schon 67 Jahre alt und hatte eine erfolgreiche militärische Karriere eigentlich beendet, aber er wollte unbedingt noch an diesem Krieg teilnehmen. Die Schlacht bei Tannenberg wurde ein Erfolg und begründete den Mythos um Hindenburg als erfolgreichen Feldherren, der er faktisch aber gar nicht war. („Hindenburgs Anteil an Planungen tendiert gegen null“, schreibt Wolfram Pyta in seinem Hindenburg-Buch von 2007.) Was aber seiner Popularität keinen Abbruch tat. 1914 schon wurde die Stadt Zabrze in Polen nach Hindenburg benannt, viele Plätze und Straßen folgten.

Der Mythos Hindenburg überdauert lange Zeit

Als 1925 Reichspräsident Friedrich Ebert an einer verschleppten Blinddarmentzündung starb, ließ sich Hindenburg wählen. Crivellari schreibt dazu: „In dieser Gestalt, als populär vermarkteter Kriegsheld und als demokratisch gewählter Präsident, erschien er den Konstanzern im Jahr 1927, als man die Straße nach ihm benennen wollte. Der Mythos Hindenburg hatte den Krieg überdauert, kaum ein Zeitgenosse kannte jene verborgene Militärdiktatur, die Hindenburg und Erich Ludendorff ab 1916 zu installieren suchten und mit der sie Wilhelm II. permanent unter Druck setzten.“

Das Bild über Hindenburg entsprach also wenig der Wirklichkeit, wie sie sich heute historisch zeigt. Man war auf eine „mediale Inszenierung“, an der Hindenburg selbst fleißig gearbeitet hatte, hereingefallen. Und dann natürlich die Ernennung Adolf Hitlers im Januar 1933 zum Reichskanzler.

Dass es 1933 keine parlamentarische Mehrheit mehr ohne Radikale gab, so Crivellari, hatte Hindenburg im Wesentlichen mitzuverantworten, da er seit 1928 daran gearbeitet hatte, eine vom Reichstag abgekoppelte Regierung herbeizuführen, unter Ausschluss der Sozialdemokratie.

Das könnte Sie auch interessieren

„Er wollte“, so das Fazit Crivellaris, „keine NSDAP-Parteidiktatur, aber ein Ermächtigungsgesetz für eine Regierung der nationalen Sammlung, das zeitlich befristet sein sollte und ihm als Präsident das letzte Wort beließ. Das war sein Plan, für den er letztlich Hitler gewonnen zu haben glaubte.“ Bis zu seinem Tod 1934 habe Hindenburg geglaubt, richtig gehandelt zu haben.

Die Anwohner des Petershauser Parks haben also vollkommen recht: Hindenburg war kein Demokrat. Und das allein sollte reichen, ihm den Straßennamen wegzunehmen. Ihr Appell an den Stadtrat lautet deshalb: „Seid mutig und setzt ein Zeichen für die Menschlichkeit!“ Mit der Umbenennung in Karl-Egon-Fuchs-Straße.