Sebastian Wolf hat ein klares Anliegen. Seit 2017 ist er Professor für Sozialwissenschaften in Berlin, wohnt aber hier in Konstanz in der Werner-Sombart-Straße. Und um die geht es. Besser gesagt: Um den, dessen Name diese Straße trägt.
Über Sombart schreibt Wolf: „Der heute kaum noch bekannte Werner Sombart (1863-1941) war wie Max Weber einer der bedeutendsten Sozialwissenschaftler im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Er zählt wie Weber zu den Begründern der Soziologie in Deutschland. Sein mehrbändiges Hauptwerk ,Der moderne Kapitalismus‘ ist eine detailreiche und theoretisch orientierte Untersuchung der Wirtschaftsentwicklung über viele Jahrhunderte. Sombart trug maßgeblich nicht nur zur Analyse, sondern auch zur Etablierung und Verbreitung des Begriffs ,Kapitalismus‘ in Deutschland bei.“
Also warum diesen Wissenschaftler nicht mit einer Straße ehren? Nun, so Wolf weiter, Sombart hat sich auch mit ganz anderen Äußerungen hervorgetan, so schrieb er etwa 1934: „Um uns also vom jüdischen Geist zu befreien – und das sollte eine Hauptaufgabe des Deutschen Volkes und vor allem des Sozialismus sein – genügt es nicht, alle Juden auszuschalten […] Es gilt vielmehr, die institutionelle Kultur so umzuschaffen, daß sie nicht mehr als Bollwerk des ,jüdischen Geistes‘ dienen kann.“
Krieg als „Heiligstes auf Erden“
Schon in seinem 1911 erschienenen Buch „Die Juden und das Wirtschaftsleben“, so führt Wolf weiter aus, finden sich Äußerungen, die das Buch aus heutiger Sicht „wie eine latent antisemitische und handwerklich fragwürdige“ Studie wirken lassen. Und 1915, in „Händler und Helden“ verherrlicht er den Krieg „als ein Heiliges, das Heiligste auf Erden.“
Wolf stellt zwar fest, dass Sombart sicher kein Täter eines Unrechtssystem gewesen war. „Für ihn trifft aber zumindest teilweise zu, dass seine Ziele und Wertvorstellungen in Widerspruch zu den Menschenrechten, zu unserer Verfassung oder unserer Rechtsordnung standen.“ Und bei solchen Personen sei es nach den Richtlinien der Stadt Konstanz für die Benennung und Umbenennung von Straßen, Wegen und Plätzen eben möglich und vielleicht auch nötig, eine Straßenumbenennung vorzunehmen.
In einem Schreiben an den SÜDKURIER legt Wolf ausführlich dar, was schon alles in der Sache unternommen wurde. Nachdem 1967 der Gemeinderat der Namensnennung in einem Eilverfahren ohne Aussprache zugestimmt hatte, gab es bereits 1970 einen Vorstoß des damaligen SPD-Stadtrates Erwin Reisacher.
Oberbürgermeister Helmle lehnte die Initiative mit den Worten ab: „Wir sollten uns bei Straßenbenennungen immer mehr von politischen Gesichtspunkten freimachen […] Die politische Landschaft wandelt sich zu oft.“ Aufgrund seiner Aktivitäten im Nationalsozialismus seien Bruno Helmle bekanntlich 2012 posthum die Ehrenbürgerwürde der Stadt Konstanz und die Ehrensenatorwürde der Universität Konstanz aberkannt worden, merkt Wolf weiter an. Aber damit war die Geschichte erstmal wieder für lange Zeit vom Tisch.
Zwei Jahre lang keine Sitzung
Inzwischen gibt es eine dem Stadtrat vorgeschaltete Straßenbenennungskommission, siebenköpfig, die sechs Namen prüfen soll. Sechs, die von 190 Konstanzer Straßen mit einem Namen übrig geblieben sind, nachdem eine dreiköpfige Historiker-Kommission alle überprüft hatte. Auf einer Webseite der Stadt Konstanz heißt es immer noch: „Eine abschließende Entscheidung über eine mögliche Umbenennung und die dann erforderliche Neubenennung erfolgen voraussichtlich im 2. Halbjahr 2020 durch den Gemeinderat“.
Auf Anfrage teilt Daniel Groß, CDU-Stadtrat, aber mit, dass diese Kommission in den vergangenen zwei Jahren nicht einmal getagt habe. Auch Zahide Sarikas von der SPD, ebenfalls Mitglied, kann dies grundsätzlich bestätigen: „Es gingen zwar einige Mails hin und her, aber die Mehrheit war dafür, dass man dieses wichtige Thema nicht zwischen Tür und Angel online diskutieren solle.“ Und außerdem habe man gerade anderes, Wichtigeres zu tun, deshalb sei nichts vorangegangen, so die Aussagen einiger Kommissionsmitglieder.
Im Juni 2020 gab es eine schriftliche Information und Anhörung der Anwohner der Werner-Sombart-Straße. Immerhin zehn Prozent gaben eine Rückmeldung. Seitdem aber, so die berechtigte Kritik des Sozialwissenschaftlers Wolfs, „wird das Verfahren von der Stadtverwaltung offenbar nicht mehr aktiv betrieben.“
Ausreden, wegen Corona hätte es keine Möglichkeit für Präsenzsitzungen gegeben, kann er nicht gelten lassen. „Seit über einem Jahr werden weltweit wichtigste Entscheidungen in Videokonferenzen getroffen, aber in Konstanz gelingt es nicht, dass eine siebenköpfige Straßenbenennungskommission eine Empfehlung an den Gemeinderat erstellt!“ Wolf reicht es. Und deshalb hat er sich an den SÜDKURIER gewandt. Er will, dass endlich etwas geschieht und der Gemeinderat eine Entscheidung trifft.
Er habe sich in den letzten Monaten eingelesen, eine Biografie über Sombart und einige seiner Hauptwerke durchgearbeitet. Und er wohne nun zehn Jahre in dieser Straße, die eigene Adresse sei für ihn ein Teil seiner Identität. Da finde er die Vorstellung einfach „unschön, dass dort der Name eines antidemokratischen Verfassers kriegsverherrlichender und antisemitischer Schriften“ stehe. Deshalb engagiere er sich so in der Sache.
Kritiker schlägt anderen Namen vor
Dabei hat Wolf eine gute Alternative parat. Schon damals wurde der Name Max Weber diskutiert, aber wegen der Ähnlichkeit zum Webersteig verworfen. Aber wie wäre es, so fragt er, wenn man jemand mit lokalem Bezug auswählt? Was die seit 2014 gültigen Richtlinien der Stadt ja inzwischen auch vorschreiben. Vielleicht Heinz Faulstich? Er war viele Jahre stellvertretender ärztlicher Direktor des heutigen Zentrums für Psychiatrie Reichenau und befasste sich intensiv damit, die in Psychiatrien begangenen Verbrechen im Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Ein hervorragender Kandidat, findet Sebastian Wolf.
Die Kommission, so Daniel Groß, wird am 27. Juli erstmals tagen. Zahide Sarikas findet es gut und wichtig, dass es nun losgehe.