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Zum Hintergrund: Heute ist Hans Peter Hillebrand Mitte 80 und lebt in Konstanz. Vor kurzem las er den SÜDKURIER-Artikel von Stadtarchivar Jürgen Klöckler über den Einmarsch der Franzosen am 26. April 1945.

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Hillebrands Erinnerungen an das Ende des Zweiten Weltkriegs, die Bombardierung Friedrichshafens und wie er die Ankunft der französischen Truppen erlebte, hat er der SÜDKURIER-Lokalredaktion Konstanz in diesem Leserbrief mitgeteilt:

„Wochen vor dem Einmarsch der Franzosen lag bereits eine große Spannung in der Luft. Viele Städte in Deutschland waren von Bomben zerstört. Eine Tante in Freiburg und Freunde in Heidelberg waren ausgebombt. In Konstanz haben wir dies nur aus der Entfernung mitbekommen, als Friedrichshafen bombardiert wurde.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs standen von den Häusern in Friedrichshafen größtenteils nur noch die Grundmauern.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs standen von den Häusern in Friedrichshafen größtenteils nur noch die Grundmauern. | Bild: Archiv Südkurier

„Im Keller stürzen fünf Stockwerke auf uns, in der Wohnung nur drei.“

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wäre es gestern gewesen: Wir haben zusammen mit anderen Hausbewohnern ängstlich im Keller gesessen. Immer wieder wurde durch die Detonationen die Haustüre aufgerissen und die Fensterscheiben zerbrachen.

Bei späteren Luftangriffen gingen wir nicht mehr in den Keller, ich hatte als Kind schweres Asthma und bekam immer wieder Anfälle. Meine Mutter erklärte mir daraufhin ihre Logik: Im Keller stürzen fünf Stockwerke auf uns, in der Wohnung nur drei. Das leuchtete meinem kindlichen Verständnis ein, dass das auf jeden Fall weniger war und so blieben wir während der folgenden Angriffe auf Friedrichshafen im Bett.

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„Gute Frau, glauben Sie denn nicht an den Endsieg?“

Nachts hatte meine Mutter heimlich unter der Wolldecke den Schweizer Sender gehört. Radio Beromünster [ein damaliges öffentlich-rechtliches Schweizer Radioprogramm, Anm. d. Red.] brachte neueste Nachrichten, so war sie immer bestens informiert. Das Abhören nichtdeutscher Radiosender war damals unter Todesstrafe verboten und ihre große Sorge war, dass ich mich bei jemand verplappere, dass meine Mutter Fremdsender hört.

In meinem Kinderzimmer wurde ein junger, deutscher Leutnant einquartiert. Monate zuvor hatte er im Krieg ein Bein verloren, mühsam humpelte er auf seinen Krücken durch die Wohnung. Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie er sich am Türpfosten zur Küche aufrichtete und meine Mutter fragte: ‚Gute Frau, glauben Sie denn nicht an den Endsieg?‘ Zum besseren Verständnis: Das war drei Tage vor dem Einmarsch [der Franzosen am 26. April 1945, Anm. d. Red.].

„Wann wird die Brücke explodieren?“

Deutschland lag zum größten Teil in Schutt und Asche, die Franzosen waren bis Donaueschingen vorgedrungen. Es konnte sich nur noch um Tage oder Stunden handeln, bis sie da waren. Das Gerücht, dass die Rheinbrücke vor dem Einmarsch gesprengt werden sollte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Konstanz.

Wo heute die Fahnen der internationalen Besucher von Konstanz hängen, wehten auf der Rheinbrücke in Konstanz einst Hakenkreuz-Flaggen.
Wo heute die Fahnen der internationalen Besucher von Konstanz hängen, wehten auf der Rheinbrücke in Konstanz einst Hakenkreuz-Flaggen. | Bild: Stadtarchiv Konstanz [Z I Postkartensammlung]

Wir wohnten nur einige hundert Meter entfernt, um die Ecke, und wären wahrscheinlich von der gewaltigen Explosion betroffen gewesen. Alle Nachbarn stürmten die Lebensmittelgeschäfte. Unsicher, ob es noch etwas Essbares zu kaufen gäbe. Meine Mutter war oft nicht von schnellem Entschluss, irgendwann versuchte sie aber dann auch noch etwas zu ergattern.

Kurz nachdem sie aus dem Haus war, fuhren Autos mit Lautsprechern durch die Straßen und verkündeten, alle Menschen sollten in den Häusern bleiben, die Fensterläden schließen und in die Keller gehen. Nur – ich war alleine in der Wohnung. Mein Vater im Krieg, meine Mutter nicht da. Wann wird die Brücke explodieren?

„Die sind ja schon da.“

Noch nie in meinem Leben hatte ich eine so große Angst. Ich ging auf den Balkon und schrie in meiner Verzweiflung nach meiner Mutter. Auf den fast menschenleeren Straßen rollten bereits die Panzer. Darauf Soldaten, die Gewehre auf Menschen gerichtet. Ich war mit meinen neun Jahren völlig verzweifelt.

Plötzlich entdeckte ich zu meiner Überraschung und Freude am Ende der Straße zwischen zwei Panzern eine Gestalt: meine Mutter. Sie kam seelenruhig daher, als ob nichts geschehen wäre und meinte nur: ‚Die sind ja schon da.‘ Anschließend gingen wir, wie die meisten Nachbarn in die Seestraße, die damals noch Adolf- Hitler-Ufer geheißen hat.

„Das sollten unsere Feinde sein? Ich verstand die Welt nicht mehr.“

Ein riesiger Konvoi von Panzern kam uns entgegen, voll mit Soldaten, die Gewehre im Anschlag. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich schwarze Menschen gesehen. Manche der Marokkaner flirteten schon mit den meist blonden Mädchen.

Franzosen fahren durch Konstanz. Das Gebäude im Hintergrund beherbergt heute die Eisdiele Pampanin.
Franzosen fahren durch Konstanz. Das Gebäude im Hintergrund beherbergt heute die Eisdiele Pampanin. | Bild: Stadtarchiv Konstanz [Dep. Burchardt ECPA]

An Kinder verteilten sie kleine Schokoladentafeln, etwas Besonderes in dieser Zeit. Das sollten unsere Feinde sein? Ich verstand die Welt nicht mehr. So schlimm konnten diese Feinde doch gar nicht sein, habe ich in meiner kindlichen Fantasie überlegt.

Unser [junger, deutscher] Leutnant war tagelang nicht mehr zu sehen. Er war 23 Jahre alt, Adolf Hitler sein Idol und jetzt hatte er nur noch ein Bein, keine Ausbildung – nichts mehr. Wir haben danach nie wieder etwas von ihm gehört.“

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