Viele wären bass erstaunt, wenn sie nur einmal durch einen der Durchgänge, zum Beispiel von der Markgrafenstraße aus, in den großen Innenbereich treten würden. Denn dort warten ein Park mit altem Baumbestand und in der Mitte ein großzügiger Spielplatz auf sie.

Der Park im Innern. Bevor die Stadt das Gelände zur Pflege bekam, soll er mit Schrott und Müll verunstaltet gewesen sein.
Der Park im Innern. Bevor die Stadt das Gelände zur Pflege bekam, soll er mit Schrott und Müll verunstaltet gewesen sein. | Bild: Michael Buchmüller

Eine belebte Oase, in der sich Kinder tummeln und die Parkbänke bei schönem Wetter fast alle belegt sind.

Geschichtsträchtig, bunt gemischt und stadtnah

Stadtführer Daniel Groß lebt schon 20 Jahre in Petershausen, aber diesen Teil hat er auch erst später entdeckt. „Erst traut man sich gar nicht, da reinzugehen, aber dann ist man angenehm überrascht!“

Daniel Groß mit der Zeitungsseite vom 18. November 1927, auf der der Bau dokumentiert ist.
Daniel Groß mit der Zeitungsseite vom 18. November 1927, auf der der Bau dokumentiert ist. | Bild: Michael Buchmüller

Über den Eingangstüren der Hauseingänge sind markante steinerne Reliefs mit den unterschiedlichsten Motiven angebracht, für die Groß eine eigene Erklärung hat: „Wenn man die lange Fassadenzeile betrachtet, haben diese Motive wahrscheinlich geholfen, die eigene Tür auch im Dunkeln zu finden!“ Mag sein oder auch nicht, hübsch anzusehen sind sie allemal.

Geschichte des Petershauser Parks

Ein großes dreieckiges Areal, stadtnah gelegen, nur wenige Meter vom Seerhein entfernt, in direkter Nachbarschaft die Moschee und ein Studentenwohnheim, Einkaufsmöglichkeiten um die Ecke – das die Lage des Petershauser Parks. Sicher die Hälfte aller Wohnungen, so schätzt Palz, der seinen Eingang auf der Hindenburgstraße hat, ist mit Studenten-WGs belegt.

Werner Palz in dem renovierten Eingangsbereich an der Hindenburgstraße, vor dem der Stolperstein für Karl Egon Fuchs liegt.
Werner Palz in dem renovierten Eingangsbereich an der Hindenburgstraße, vor dem der Stolperstein für Karl Egon Fuchs liegt. | Bild: Michael Buchmüller

Und wenn diese auch – in Vor-Corona-Zeiten – mit ihren Sommerpartys im Hinterhof zuweilen nervten, „so ist mir das allemal lieber als eine sterile Stille.“ Der 43-Jährige arbeitet an der Uni und lebt mit seinen beiden Kindern in einer Dachwohnung.

Die ehemaligen Speicher wurden bei der Sanierung in den 90er-Jahren neu ausgebaut. Durch die Dachgauben habe man einen herrlichen Blick in die Kronen der Hofbäume. Palz schwärmt vom besonderen Charakter des Quartiers: „Ich habe schon viele Kinder erlebt, die fast ihre ganze Jugend in diesem Park verbracht haben.

Bild 4: Wie lebt es sich in Konstanz? Rundgang im Petershauser Park – einem Quartier mit bunter Mischung, Hinterhofidyll und Geschichte
Bild: Michael Buchmüller

Eine Hinterhofidylle, wie man sie sich eher für die Nachkriegszeit vorstellt – und hier gibt es das heute noch!“ Dazu dringen jetzt, zu Zeiten des Ramadans, von der Mevlana-Moschee her abends Gesänge herüber, die dort das Fastenbrechen begleiten. Er selbst habe schon bei einem dieser Essen im Gemeindesaal der türkisch-islamischen Gemeinde teilnehmen dürfen.

Frau Fuchs lebt seit fast 70 Jahren hier

Neben den vielen Studenten gibt es auch Familien und einige Senioren. So wie Ottilie Fuchs, Jahrgang 1923. In ihrem Geburtsjahr wurde hier begonnen zu bauen. „Die Eltern meines Mannes sind dann eingezogen, da war noch nicht einmal das Treppenhaus fertig“, berichtet die alte Dame, die selbst nun schon fast 70 Jahre hier lebt.

Ottilie Fuchs wird im Dezember 98 Jahre alt und lebt seit Beginn der 1950er Jahre in der Wohnung im Petershausen.
Ottilie Fuchs wird im Dezember 98 Jahre alt und lebt seit Beginn der 1950er Jahre in der Wohnung im Petershausen. | Bild: Michael Buchmüller

1952 ist sie in die Wohnung ihrer Schwiegereltern eingezogen und geblieben. Immer zur Miete unter vielen wechselnden Besitzern. Und die meiste Zeit als Witwe, da ihr Mann früh verstarb. Inzwischen kümmert sich ihr Sohn Werner um sie. Er wohnt eigentlich in Wiesbaden, aber pflegt nun „Mutti“, die immer noch einmal täglich selbstständig die Stiegen hinauf- und hinuntergeht. Sie ist höchstwahrscheinlich die älteste Bewohnerin der Anlage, im Dezember wird sie 98.

Vor ihrer Haustür befindet sich ein Stolperstein für den Bruder ihres Mannes, Karl Egon Fuchs, geboren 1932 , der im Alter von nur fünf Jahren 1937 abgeholt wurde. Genau aus jener Wohnung, in der heute noch Ottilie Fuchs am Küchentisch sitzt. Eine Sprachstörung war ihm zum Verhängnis geworden, er fiel unter das Euthanasiegesetz der Nazis und wurde 1940 in Grafeneck ermordet.

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Ein Grund für Werner Palz, die Hindenburgstraße endlich umzubenennen: in Karl-Egon-Fuchs-Straße. „Das würde in angemessener Weise einen Geschichtsbezug herstellen,“ richtet sich sein Appell an den Gemeinderat, der noch über die Straßennamen berät. Dem kann sich Werner Fuchs nur anschließen. „Mein Opa war Stadtrat in Konstanz“, erzählt er. „Und wenn er nicht so früh gestorben wäre, hätte er die Nazizeit sicher auch nicht überlebt. Denn er war Kommunist.“

Eines der Steinreliefs über den Hauseingängen. Es zeigt einen Schmied. Warum sie angebracht wurden, ist nicht überliefert.
Eines der Steinreliefs über den Hauseingängen. Es zeigt einen Schmied. Warum sie angebracht wurden, ist nicht überliefert. | Bild: Michael Buchmüller

Das Quartier lebt von der Mischung quer durch alle Altersgruppen und sozialen Schichten. So dürften auch die Mieten eine große Spannweite haben. Von den etwa neun Euro, die Werner Palz zahlt, bis zu sicherlich über 14 in manchen grundsanierten Einheiten. Kein Vergleich zu jenen Mieten, die im SÜDKURIER-Artikel von 1983 (siehe Infokasten) erwähnt sind: 4,50 D-Mark pro Quadratmeter. „Und dann gibt es sie auch noch, ein paar Ältere, die Mietverträge aus den 50er-Jahren besitzen“, sagt Palz.

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Der 30-jährige Pascal Kneis lebt in einem Haus zur Markgrafenstraße hin. Dort kenne man sich und helfe sich auch gegenseitig. Er wohnt in einer Dreier-WG. Und ja, die Häuser seien hellhörig, aber das sei kein Problem, da man miteinander auskomme. Im Innenbereich sei es selten still, aber das seien „normale Lebensgeräusche“, die nicht weiter störten. Im Park leben eine Menge Eichhörnchen, die auch gerne mal die Hauswände hinauf zu den Fensterbänken klettern, um sich dort Futter abzuholen.

Leider fühlen sich auch Tauben hier sehr wohl

Eine Menge Tauben gibt es leider auch, gegen die jeder auf seine Art vorgeht. Werner Palz begegnet dem Federvieh mit einem aufgehängten Plastikfalken, dem allerdings beim letzten Sturm die Flügel abgeknickt seien. Manche bepflanzen die Fensterbänke so dicht, dass kein Landen mehr möglich ist. Aber noch keiner ist auf die Idee gekommen, das Chanson des Österreichers Georg Kreissler vom Tauben vergiften in die Tat umzusetzen.

Werner Palz gefällt es hier. Nein, er wolle nicht mehr wegziehen. Genauso wenig wie Frau Fuchs, die ihren Lebensabend in diesen Mauern verbringen wird, Mauern, die am Anfang Furchtbares gesehen und dann eine lange Zeit friedlichen Lebens überdauert haben. Ja, das Quartier ist eine Wundertüte, es gewährt Einblicke und Ausblicke.

Bild 7: Wie lebt es sich in Konstanz? Rundgang im Petershauser Park – einem Quartier mit bunter Mischung, Hinterhofidyll und Geschichte
Bild: Michael Buchmüller

Manche Hausflure frisch gestrichen, andere heruntergekommen, manche Innen-Fassaden mit neuen Balkonen, andere kahl und alt, überall Treppenaufgänge aus den Kellern und offenstehende Hauseingänge zum Hof hin. Nur die Vordertüren zur Straße hin sind zu.

Eine „Stadt im Kleinen“, ge- und verwachsen über die Jahrzehnte und verschont von gnadenlosen Modernisierern. Mehrere hundert Menschen leben hier auf engem Raum, der trotzdem Weite hat. Der Petershauser Park ist ein Wohnquartier mit Atmosphäre. Ein Konstanzer Original.

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