Wie kommt man hinauf? Neben dem Haupteingang an der Schneckenburgstraße mit dem Vorplatz befinden sich die Klingeln, dann durch die Tür in den Aufzug, bevor man oben im dritten Stock wieder durch eine Tür ins Freie tritt.

Robert Ritter, der mit Ehefrau Pia, drei Kindern und Hund dort wohnt, gesteht: „Ich freue mich noch jedes Mal, wenn ich in den Fahrstuhl steige und ‚hochgebeamt‘ werde, und oben steige ich aus in einer eigenen Welt.“

Familie Ritter im Wohnzimmer ihrer Wohnung auf dem Dach, in der sie mit Hund und drei Kindern leben.
Familie Ritter im Wohnzimmer ihrer Wohnung auf dem Dach, in der sie mit Hund und drei Kindern leben. | Bild: Michael Buchmüller

Pia Ritter fragte sich, als sie vor mehr als zehn Jahren das Modell der Anlage beim Konstanzer Bauunternehmen Doser und Partner sah: „Werde ich dann über dem Abgasgestank der Parkdecks wohnen?“ Nichts davon habe sich bewahrheitet.

„Wir finden es absolut super hier“

Auch Christina Sklepek lebt mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Kindern seit Juni 2020 zur Miete in einem Haus, das seine Südseite zur Straße hat. Ausblick von der Terrasse durch meterhohes Isolierglas auf den Seerhein und die Altstadt, das ist Premiumlage auf dem ehemaligen Nordareal von Great Lakes.

Auf der Südseite schützt ein Glas vor Verkehrslärm der Reichenaustraße und gibt den Blick frei auf die Altstadt und das Münster.
Auf der Südseite schützt ein Glas vor Verkehrslärm der Reichenaustraße und gibt den Blick frei auf die Altstadt und das Münster. | Bild: Michael Buchmüller

„Als ich den Komplex das erste Mal von unten sah,“ erzählt sie, „konnte ich mir nicht vorstellen, da oben zu wohnen. So viel Stein, man sah kein Grün.“ Inzwischen hat sie einen Sinneswandel vollzogen. „Wir finden es absolut super hier“, sagt Christina Sklepek.

Die kurzen Wege zum Einkaufen: Raus aus der Tür, 100 Meter zum Fahrstuhl und runter in das Einkaufszentrum mit Einzelhandel, Drogeriemarkt, Apotheke und Bäcker. Und nach dem Einkaufen mit dem Einkaufswagen vorfahren bis zur Haustür – wo gibt es das?

Unbeschwertes Leben über den Dächern

Ran bis zur Haustür geht es übrigens auch mit dem Fahrrad über einen Lastenaufzug. „Da passe ich ganz bequem mit Fahrrad und Anhänger rein“, sagt Sklepek. Schlafen die Kinder, lässt man sie vorm Hauseingang stehen. Kommt ja nichts weg da oben.

Bild 3: Wie lebt es sich in Konstanz? Besuch im Quartier auf dem Edeka-Einkaufszentrum – einem Dorf über den Dächern des Stadtteils Petershausen
Bild: Michael Buchmüller

Die Ritters können das nur bestätigen. „Unser Jüngster war ein Jahr alt, als wir hierherzogen. Mit zwei konnte er einfach losziehen und wir mussten uns keine Sorgen machen.“ Erst als er, mit etwa drei Jahren, groß genug war, um an den untersten Knopf des Aufzuges zu kommen, sei er einmal verschwunden. Ein Nachbar habe ihn zurückgebracht.

Eine Gasse mit sechs Hauseingängen. Der Raum davor kann individuell genutzt werden, so zum Beispiel zum Fahrräder abstellen oder dem ...
Eine Gasse mit sechs Hauseingängen. Der Raum davor kann individuell genutzt werden, so zum Beispiel zum Fahrräder abstellen oder dem Aufstellen eines Kaninchengeheges. | Bild: Michael Buchmüller

Etwa 80 Kinder und Jugendliche leben in dem „Dorf“, wie es Christina Sklepek fast liebevoll nennt. „Allein in unserer Straße mit sechs Häusern gibt es 18 Kinder,“ rechnet ihr Mann Jan vor. Mit ihren Rollern brausen an diesem Morgen sieben- bis elfjährige Jungen über den Hof.

Sie bauen Schanzen und springen drüber, und der siebenjährige Noah ergänzt: „Verstecken spielen zwischen den Häusern geht auch gut.“ Pia Ritter sagt: „Die Jugendlichen gehen eher in die Stadt und treffen sich dort. Hier stehen sie doch zu sehr unter Beobachtung.“

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In einem großen Dreieck in der Mitte sind Spielplatz und Spielfläche, Bobbycar-Rennstrecke. Rund um die Anlage sichern Geländer und Schutzglas. Kaum scheint die Sonne, ziehen Kindern mit Matten und Spielboxen nach draußen auf die Straße, die ja keine ist. Und gelegentlich kommen einige WG-Studenten aus dem Wohnblock vorne und spielen Fußball mit den Kleinen.

Im Innenbereich des Quartiers eine großzügige Spielfläche, nur befahren von Rollern der Kinder und Fahrrädern.
Im Innenbereich des Quartiers eine großzügige Spielfläche, nur befahren von Rollern der Kinder und Fahrrädern. | Bild: Michael Buchmüller

„Im Winter gab es dann Schneeball- und im Sommer Wasserschlachten mit den jungen Leuten“, sagt Robert Ritter. Das hat Dorfcharakter. Die Nachbarn springen auch bei der Kinderbetreuung ein. Und die Jungen müssen sich nicht verabreden, sie treffen einander auf kurzem Weg. Eine eigene, kleine Welt.

Vor der Corona-Pandemie gab es jährlich ein Sommerfest, im Winter stellen die Bewohner gemeinsam einen Christbaum auf, den die Kinder schmücken, sie haben auch schon Flohmärkte und Kuchenverkauf organisiert. An Fasnacht hängen Lumpenleinen von Haus zu Haus, und an Silvester wird gemeinsam geböllert. Wenn es denn wieder erlaubt ist.

Ist es ein Rückzugsgebiet für Reiche?

Ritters Haus liegt zum Norden hin und hat etwa 140 Quadratmeter Wohnfläche plus Terrasse. Zuzüglich Autostellplatz hat das Haus einst etwa 400.000 Euro gekostet. „Ein paar Jahre danach sind die Preise explodiert. Wir hatten noch Glück,“ sagt das Ehepaar. Jahrelang hatten sie auf dem Wohnungsmarkt nichts gefunden, ihre Dreizimmerwohnung im Paradies war für fünf Personen schnell zu klein geworden.

„Und dann haben wir diese großen Plakate gesehen, auf denen für diese Gelände geworben wurde“, erinnert sich Pia Ritter. Ihr Mann habe sie dann überzeugt, hier zuzuschlagen. Bereut haben sie es nicht.

Wie das Wohnareal auf dem Dach entstanden ist

Die Nebenkosten seien zwar mit rund 350 Euro ziemlich hoch. „Aber wir haben hier auch ein Rundum-Sorglos-Paket gebucht. Wir müssen uns um nichts kümmern.“ Hausmeister-und Reinigungsdienste pflegen den Rasen des Spielplatzes, die Wege und die Treppenhäuser, nur den Müll müssen Bewohner selbst wegbringen.

Bis alles so geworden ist, wie es sich heute zeigt, mussten viele Eigentümerversammlungen durchgestanden werden. Jeder hatte eigene Vorstellungen, nicht jede wurde erfüllt. „Ich hätte mir etwas mehr Farbe und damit Lebendigkeit gewünscht, vielleicht auch noch Grünpflanzen, die an den Wänden hochranken dürfen“, räumt Pia Ritter ein, aber das war halt nicht drin.

Blick von der Terrasse auf die Nordseite des Areals, wo keine laute Straße vorbeiführt, sondern nur Wohnblocks stehen.
Blick von der Terrasse auf die Nordseite des Areals, wo keine laute Straße vorbeiführt, sondern nur Wohnblocks stehen. | Bild: Michael Buchmüller

Ihr Mann, der auch als Künstler arbeitet, stellt für sich das „modernistische Schuhschachtelprinzip“ zwar auch infrage, aber beschweren wolle er sich trotzdem nicht. „Wir wohnen hier wirklich schön.“ Heute müssen die Bewohner darüber beraten, wie sie die Elektromobilität ihrer Autos ermöglichen können. Es geht um Anschlüsse im Parkdeck.

Ehepaar Ritter sieht viele positive Aspekte

„Und irgendwann, wenn die meisten Kinder groß sind, werden wir uns fragen müssen, ob wir hier gemeinsam alt werden wollen.“ Oder dann doch wieder wegziehen, wenn der Wohnraum für zwei zu groß wird. Die Ritters lassen das als offene Frage stehen. Mal sehen. Doch erst einmal schätzen sie die Nähe zu Stadt und Wasser.

„Abends ab 22 Uhr gilt auf der Reichenauer Straße Tempo 30, da lässt sich selbst bei offenem Fenster schlafen“, sagt Christina Sklepek, die nach vorne zur belebten Straße wohnt.

Bild 7: Wie lebt es sich in Konstanz? Besuch im Quartier auf dem Edeka-Einkaufszentrum – einem Dorf über den Dächern des Stadtteils Petershausen
Bild: Michael Buchmüller

Aber das Schönste: Niemand wohnt darunter und niemand darüber, die Tochter kann nach Herzenslust mit ihrem Hüpfpferd durch das Wohnzimmer toben – es stört niemanden. Im Geschosswohnungsbau ist das anders. Nicht so hier oben, diesem ganz speziellen Dorf inmitten der Stadt.