Erst müssen Rucksack und Kamera verstaut werden, dann die Beine. Das ist in einem Motorsegler gar nicht so einfach. Viel Platz ist nicht in diesem Zweisitzer aus dem Jahr 1986, trotz seiner 17 Meter Spannweite. Ausladende Flügel, enges Cockpit. Im Gegenteil: Als Begleitperson ist man im Motorsegler ganz nah dran am Erlebnis Fliegen.
Ein Teil des Steuers klemmt zwischen meinen Knien, aber berühren darf ich es nicht. Das ist allein Helge Loschan vorbehalten, einem sehr erfahrenen Piloten, Fluglehrer und Prüfungsrat. Er steigt ebenfalls ein, setzt sich die Kopfhörer auf und prüft die vielen Anzeigen im Cockpit.

Der 77-Jährige ist der Routinier am Konstanzer Flugplatz und in der Luft zu Hause. „Ich fliege, seitdem ich 15 Jahre alt bin“, erzählt Loschan, während er den Motor startet. Für den Neuling an Bord eine sehr beruhigende Nachricht. Der Propeller dreht sich, die Aufregung steigt.
Wir reihen uns hinter zwei weiteren Flugzeugen ein, die an diesem sonnigen Novembernachmittag vor uns in die Luft gehen wollen. Dann endlich funkt Helge Loschan den Tower an. Der liegt nur wenige Meter entfernt an der Seite der 750 Meter langen Graspiste. Per Funk bittet der Pilot um Startfreigabe. „Oscar, Oscar, es ist windstill“, tönt Minky Schweizers Stimme aus dem Bordfunk.

Die Flugleiterin hat den Überblick über alle Bewegungen am Konstanzer Platz. Wer hier starten oder landen will, kommt an ihr oder ihrem Kollegen Jan Schuhmacher nicht vorbei. Sie beobachtet auch den Wind und sagt den Piloten, in welche Richtung die Landebahn zu benutzen ist.
Denn als Regel gilt: „Schaust du dem Windsack ins Maul, ist was faul“, sagt Minky Schweizer und lacht. Unserem weiß-roten Flugzeug hat sie soeben die Startfreigabe erteilt. Wir rollen über das Gras, es holpert ein wenig. Helge Loschan beschleunigt, dann heben wir ab.
Schon bald werden die Autos und Häuser unter uns kleiner, im Fenster taucht der Bodensee auf. Die Sonne scheint, das Wasser glitzert. „Links haben wir die Alpenkette, vor uns die Hegauvulkane und da hinten ist der Schwarzwald“, sagt Helge Loschan.
An diesem Nachmittag statten auch Pilot Hannes Wellmann und sein Bekannter Marius Riestenpatt – genannt Richter – aus Kirchheim unter Teck bei Stuttgart dem Bodensee einen Besuch ab. „Ich wollte gern mal nach Konstanz fliegen, weil meine Oma ein Haus in Wollmatingen hat“, erzählt Marius Riestenpatt genannt Richter. Damit gehören die beiden zu den mehreren tausend Piloten, die hier jährlich starten und landen.

Im vergangenen Jahr 2021 waren es 4202, vor der Corona-Pandemie lag diese Zahl auch mal bei rund 6300. Darunter sind aber nicht nur Privatpiloten, sondern als Verkehrslandeplatz ist die Graspiste auch eine wichtige Anflugstelle für die Flugstaffel der Bundes- und Landespolizei sowie der Luftrettung. Auch für die Forschung des Max-Planck-Instituts für Ornithologie ist der Flugplatz von elementarer Bedeutung. Dennoch ist die Zukunft des Platzes unklar.
Der 77-jährige Pilot Helge Loschan muss schmunzeln, als das Thema zur Sprache kommt. Er meint dazu: „Als ich 1973 nach Konstanz zog, wurde mir gesagt, ich sei zu spät gekommen, denn der Flugplatz werde bald geschlossen.“ Während er das sagt, schweben wir über dem Wollmatinger Ried. Kurz darauf bietet sich auf der rechten Seite ein herrlicher Blick auf die Insel Reichenau.
Anschließend geht es weiter über Allensbach und Hegne. Unter uns ist die große B33-Baustelle zu sehen. „Wie oft habe ich hier morgens und abends den Stau beobachtet“, sagt Helge Loschan und ergänzt: „Dieses Problem haben wir in der Luft nicht.“

Wobei dort oben durchaus mehr los ist, als man sich als Flug-Unbedarfter vorstellt. In Minky Schweizers Tower steht ein Bildschirm, auf dem alle Flugbewegungen rund um den Bodensee zu sehen sind, vom Airbus des Linienflugs bis zum kleinen Zweisitzer. Der Monitor ist voll.

Und er könnte in Zukunft noch viel voller aussehen. Denn es gibt einige Unternehmen, die den Konstanzer Flugplatz gern in die Zukunft führen möchten. Laut Patrick Nicolaus, Geschäftsführer der Flughafengesellschaft Konstanz GmbH, gibt es zunehmend Anfragen von Unternehmen aus dem Bereich der Entwicklung von Drohnen für Transport und Logistik sowie von Lufttaxis. Dass diese in absehbarer Zeit auch am Bodensee landen könnten, ist durchaus vorstellbar.
Helge Loschan, der von Minky Schweizer gern als „Flugsaurier“ bezeichnet wird, dreht eine Rechtskurve. Seine Maschine fliegt jetzt über die Schänzlebrücke und den Konstanzer Trichter. Er stellt den Motor aus, wir segeln leise durch die Luft. Ein faszinierendes Erlebnis in bis zu 500 Metern Höhe. Unter uns sind deutlich das Münster, der Hafen und die Altstadt zu sehen.
Noch eine Schleife, dann meldet Helge Loschan sich im Tower an. Die Graspiste kommt näher, es gibt einen Ruck. Die Räder setzen auf. Gelandet.
Für Helge Loschan ist Feierabend, er stellt seinen Motorsegler in den Hangar. Minky Schweizer dagegen hat im Tower noch alle Hände voll zu tun. Ständig rauscht es im Funkgerät, sie gibt Wörter wie Delta, Alpha, Whiskey, Yankee oder November von sich – das Nato-Alphabet.
Mit ihrem Latein am Ende ist die Flugleiterin aber noch lange nicht: Sie hofft, dass der Flugplatz eine Zukunft hat.