Wer hier ankommt, hat Schreckliches durchgemacht. Geflüchtete, die von Bord eines zivilen Rettungsschiffes gehen dürfen, haben das Mittelmeer überquert, höchstwahrscheinlich Leid und Tod in direkter Nähe erfahren. Und wenn sie, zum Beispiel in Italien, Europa betreten können, beginnt für sie kein glückliches neues Leben, sondern in der Regel nur die nächste Etappe einer zumeist furchtbaren Erfahrung.

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Größer könnte der Kontrast wohl kaum sein zwischen den Flüchtlingen, die von der „Sea Eye“ kommen, und den Touristen, die die „Überlingen“ verlassen und dann ein wenig durch Konstanz bummeln. Und vielleicht auch weil dieses Nebeneinander so schwer auszuhalten ist, hat sich die Stadt Konstanz im Jahr 2018 zum „Sicheren Hafen“ erklärt und ist einer Initiative beigetreten, die Schutzsuchenden eine sichere Unterkunft bieten will.

(Archivbild) Szenen, die unter die Haut gehen: Flüchtlinge sitzen auf einem überfüllten Boot. Das Seenotrettungsschiff “Sea-Eye ...
(Archivbild) Szenen, die unter die Haut gehen: Flüchtlinge sitzen auf einem überfüllten Boot. Das Seenotrettungsschiff “Sea-Eye 4„ der deutschen Hilfsorganisationen Sea-Eye und Mission Lifeline wird auch von der Stadt Konstanz mit unterstützt. Aber Platz, die Geflüchteten dann auch unterzubringen, fehlt in Konstanz – sagt die Verwaltung. | Bild: dpa

Die Stadt Konstanz unterstützt die Arbeit der „Sea Eye“ deshalb finanziell, und sie erfüllt viele Forderungen, die die Organisation Seebrücke gestellt hat. Der Freien Grünen Liste im Gemeinderat geht das allerdings nicht weit genug, und sie forderte, „dass Konstanz Plätze für die schnelle und unkomplizierte Aufnahme und Unterbringung von aus Seenot geretteten Menschen zusätzlich zur Verteilungsquote von Schutzsuchenden bereitstellt“. Die Debatte darüber zeigte auf, wie groß die Herausforderungen in der Unterbringung von Geflüchteten inzwischen sind – und dass die Auseinandersetzungen zu dem Thema wieder schwieriger werden.

2024 werden in Konstanz hunderte Plätze fehlen

Was war passiert? Die Verwaltung hat empfohlen, den Antrag der FGL abzulehnen. Und zwar – die Entgegnung in Kurzform – weil Konstanz schon jetzt mit der Aufnahme Geflüchteter überfordert sei. 3600 Geflüchtete leben derzeit in Konstanz, doppelt so viele wie vor einem Jahr. Wenn die die Prognosen eintreten, führt das Rathaus weiter aus, fehlen im Januar 2024 bereits 150 Plätze zur Unterbringung, Ende nächsten Jahres dann 450 Plätze. Fazit: „Trotz größter Bemühungen stoßen wir dabei an unsere Grenzen, was freie Flächen für Neubauunterkünfte oder zur Verfügung stehende, anmietbare Bestandsimmobilien betrifft.“

(Archivbild) Geht davon nicht mehr? Die Anschlussunterbringung für Geflüchtete in der Konstanzer Schottenstraße war ein Beispiel, wie ...
(Archivbild) Geht davon nicht mehr? Die Anschlussunterbringung für Geflüchtete in der Konstanzer Schottenstraße war ein Beispiel, wie die Stadt schnell bauen konnte. Bei den hohen Preisen und immer knapperen Flächen ist das heute kaum mehr möglich. | Bild: Schneider, Anna-Maria

Nicht nur in der Freien Grünen Liste ist die Enttäuschung darüber groß, das sprach aus den teils emotionalen Redebeiträgen von Christiane Kreitmeiter, aber auch von Gaby Weiner (Junges Forum) und Anke Schwede (Linke Liste). Sie alle forderten, Konstanz solle die Aufnahme von Schiffsflüchtlingen zusagen. Auch und gerade als Symbol, zum Beispiel an die neue, rechte Regierung in Italien. Besonders nachdenklich stimmte wohl alle ein Appell von FGL-Stadtrat Mohammed Badawi, der selbst als Flüchtling aus dem Sudan nach Deutschland kam.

Ihm entgegnete Manfred Hölzl (CDU), der damals noch als Konzilwirt einen großen aktiven Beitrag zur Integration von Geflüchteten geleistet hatte. Niemand wolle Menschen in Not eine kalte Schulter zeigen – aber man müsse auch sehen, dass immer mehr Konstanzern ein Dach über dem Kopf fehle und Obdachlosigkeit immer häufiger drohe. Doch auch Jürgen Ruff von der SPD ist skeptisch: Eine „eigenständige kommunale Flüchtlingspolitik“ sei vielleicht gar nicht so hilfreich wie es scheine, weil eine solche Option, anderenorts, ja auch schnell zu einer Anti-Flüchtlings-Politik werden könne.

OB Burchardt hat ein „schlechtes Gewissen“

Auch Oberbürgermeister Uli Burchardt schien in der Ratssitzung zwischen Kopf und Herz zu schwanken. Nüchtern betrachtet seien in kaum einer anderen deutschen Stadt die Voraussetzungen so schlecht, weitere Geflüchtete unterzubringen – Konstanz habe keinen Leerstand, keine ungenutzten Kasernen, keine sofort verfügbaren Flächen. Hier weitergehende Zusagen zu machen sei schwierig. Zumal: „Ich habe ein ausgesprochen schlechtes Gewissen, wie wir diese Menschen in Konstanz unterbringen.“ Er erinnerte daran, dass die privateste Sphäre der Bewohnerinnen und Bewohner in den Leichtbauhallen gerade mal noch durch ein Stück Folie begrenzt wird.

(Archivbild) Die Privatsphäre endet an einem Bauzaun mit Plane. In den 40 jeweils mit Bauzäunen abgetrennten Zimmern einer Konstanzer ...
(Archivbild) Die Privatsphäre endet an einem Bauzaun mit Plane. In den 40 jeweils mit Bauzäunen abgetrennten Zimmern einer Konstanzer Leichtbauhalle stehen jeweils 12 Betten – meistens jedenfalls. Für jede Person sollte es einen Spind geben. | Bild: Wagner, Claudia
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So war es am Ende auch die Stimme des Oberbürgermeisters, die den Antrag der Freien Grünen Liste scheitern ließ. 18 Stimmen hatte sie für die Unterstützung ihres Vorstoßes gesammelt. 18 Stimmen gab es für die ablehnende Haltung der Verwaltung. Bei Stimmengleichheit war der Antrag damit abgelehnt. Dass Konstanz auch ohne die Aufnahme Geflüchteter über die Verteilungsquote hinaus vor einer riesigen Herausforderung steht, das freilich bezweifelte niemand.