„Es war der Kontakt in die andere Hälfte der Welt“, schildert Konrad Schatz, seinerzeitiger Stadtrat, Feuerwehrmann und Messner. Die andere Hälfte der Welt war vor 40 Jahren der Ostblock, die sowjetischen Staaten. Vorurteile und Ängste wurden in den beiden unterschiedlichen politischen Systemen geschürt und man wusste eigentlich nichts über die Länder jenseits der beinahe hermetisch abgeschotteten Grenzen.
Die Grundstimmung jener Zeit war geprägt von einer latenten Furcht, die USA oder die Sowjetunion könnten das rote Knöpfchen drücken und einen Krieg beginnen. Gedanken an grenzüberschreitende Zusammenarbeit oder gar an ein vereintes Europa zählten seinerzeit eher zu den Utopien. Und genau in jener Zeit knüpfte Konstanz ein zartes Band der Völkerverständigung und Freundschaft über den Eisernen Vorhang zur tschechoslowakischen Stadt Tabor.
Mut gehörte damals dazu
Courage hatten die Pioniere von damals, und zwar beidseits der Grenze. Für eine Einreise in die Tschechoslowakische Sozialistische Republik (CSSR) wurde ein Visum benötigt. Einreisen durfte nicht jeder, wie beispielsweise Polizisten und Journalisten, erinnert sich Konrad Schatz. Es war auch nicht gerne gesehen, dass Kontakte in das „Feindesland“ aufgebaut wurden.
Ein Beispiel, das Dieter Quintus, der später als Feuerwehr-Kommandant die Städtepartnerschaft pflegte, gibt: „Ich war 1966 mit der Ministrantengruppe vom Münster in Prag“, erzählt er und fährt fort: „Das führte dazu, dass ich vom MAD (Militärischer Abschirmdienst) durchgecheckt wurde, als ich 1973 zum Bund eingezogen wurde.“
Jan Hus: Mittelsmann der Völkerverständigung
Kontakte zwischen Konstanz und der CSSR bestanden im Prinzip jedoch schon lange. Das historische Verbindungsglied: Magister Jan Hus, der 1415 in Konstanz verbrannt wurde. Seit 1922 besitzt die Prager Hus-Gesellschaft das Hus-Haus nahe des Konstanzer Schnetztors. Die Sanierung stand an, beide Seiten verhandelten wegen der Finanzierung. Der Konstanzer Unternehmer Herbert Schenk, der seinerzeit bereits Handelsbeziehungen in die CSSR unterhielt, spielte Anfang der 1970er Jahre den Türöffner.
Der Auftrag für die Sanierung ging letztlich an die Kunstwerkstätte in die Hussitenstadt Tábor, wodurch Kontakte zwischen Handwerkern beider Städte zustande kamen. Schenk wollte aber mehr. Er trachtete nach einer Städtepartnerschaft. Dies wurde 1978 von der Konstanzer SPD ebenfalls angeregt, nachdem Bundeskanzler Helmut Schmidt und der tschechoslowakische Staats- und Parteichef Gustáv Husák einen Kulturvertrag geschlossen hatten.

Entspannungspolitik auf lokaler Ebene
Und doch sahen nicht alle die Entspannungspolitik – auch auf lokaler Ebene – unkritisch. Viele kommunistische Funktionäre wollten keine Öffnung gen Westen, aber auch im Konstanzer Gemeinderat gab es Ressentiments, erinnert sich der seinerzeitige SPD-Stadtrat Jürgen Leipold, dessen Fraktion die Partnerschaft begrüßte.
1979 reiste der damalige Konstanzer Oberbürgermeister Bruno Helmle zur Kontaktaufnahme und für Gespräche das Hus-Haus betreffend nach Tábor. Dort sei er von der Nachricht überrascht worden: „Der Taborer Nationalausschuss habe die Kontaktaufnahme zu Konstanz einstimmig gutgeheißen und strebe das Zustandekommen einer Städtepartnerschaft an“. Das steht im gedruckten SÜDKURIER vom 18. August 1979 geschrieben.
Im Juli 1983 stimmte der Konstanzer Gemeinderat diesem Abkommen mit Tábor zu, wobei vor allem der Austausch von Schüler-, Sport und kulturellen Gruppen vorgesehen war. Im August stimmte der Nationalausschuss der Stadt Tábor einstimmig zu. Im Jahr 1984 sollte die entsprechende Urkunde im feierlichen Rahmen unterzeichnet werden.

11. Juli 1984 wurde letztlich hochoffiziell im Theater in Tábor die Urkunde für die Städtepartnerschaft unterzeichnet. Auch der 3. Zug der Freiwilligen Feuerwehr Konstanz mit Kommandant Rudolf Santo war dabei. „Wir wussten nicht, was uns erwartet“, erzählt Feuerwehrmann Hans-Jürgen Oexl. Unvergessen ist ihm die Grenze, die Fahrt durch das Niemandsland und dann die herzliche Aufnahme seitens der Táborer Bevölkerung und insbesondere der Táborer Feuerwehr mit dem seinerzeitigen Kommandanten Zdeněk Dvořák.

Enge Freundschaft der Feuerwehren
Die Bevölkerung hatte nicht viel an materiellen Gütern, die Feuerwehr ebenso wenig. „Wir haben einen Satz Hebekissen für die technische Hilfe als Gastgeschenk mitgebracht. Das war für die Tschechen etwas ganz Neues“, erinnert sich Oexl. Die CSSR war für deutsche Verhältnisse ein Billigland. „Für eine Runde Bier hast du gerade einmal zwei Mark gezahlt“, so Oexl.
Mit Zdeněk Dvořák entstand sofort eine tiefe Freundschaft, die bis heute anhält. „Zdeněk war nicht gerade ein Freund des Systems“, erzählt Hans-Jürgen Oexl, umso wichtiger war dem Tschechen die Städtepartnerschaft als wichtiger Hoffnungsschimmer für eine Öffnung zum Westen hin.

Zwischen Funktionären und Spitzeln
Ja, das System, das man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Hans-Jürgen Oexl erinnert sich noch gut, als die Feuerwehrkameraden einen Ausflug in der Táborer Umgebung machten und in eine Wirtschaft einkehrten. „Da saßen lauter Soldaten beim Bier. Ein Herr ist reingekommen, die Soldaten sind gegangen und die Stimmung war beim Teufel. Zdeněk flüsterte mir später zu, dass es ein Spitzel war“, so Oexl.

Anfangs habe es sich bei der Städtepartnerschaft auch um eine gewisse Patenschaft gehandelt, „denn sie hatten ja kein Geld, waren aber sehr, sehr herzlich und gastfreundlich“, sagt Konrad Frommer, damaliger Hauptamtsleiter. Doch wirklich frei sprechen, war damals nicht möglich, „denn es war immer ein Offizieller dabei“. Dank der Städtepartnerschaft konnten aber immerhin verschiedene Gruppierungen nach Konstanz kommen, allen voran die Feuerwehr Tábor.

Hoffnungszeichen der Freiheit
„Das war für sie ein Stück Freiheit. Das war toll für sie“, so Frommer. Beide Seiten hätten die Völkerverständigung im Sinn gehabt. „Für die Öffnung des Herzens und des Geistes hat man einiges gemacht“, stellt Konrad Frommer fest.
Auch die Tàborer, die sich stets als offene und herzliche Gastgeber erwiesen. Nunmehr seit Jahrzehnten veranstalteten sie jedes Jahr ein mehrtägiges Táborer Treffen, zu dem auch die Partnerstädte eingeladen sind. Viele Konstanzer Vereine nehmen diese Einladung mit Freuden an. Doch jetzt steht erst einmal das Begegnungswochenende am Samstag, 6. Juli, und Sonntag, 7. Juli, mit einem vielseitigen Programm in Konstanz an.

Um Frieden und Völkerverständigung sei es gegangen und darum, „dass sowas nie wieder passiert wie im Dritten Reich“, meint Konrad Schatz. „Die Städtepartnerschaft hatte einen hohen Stellenwert auf beiden Seiten“, ordnet Dieter Quintus ein und fügt an: „Heute aber habe ich das Gefühl, dass Städtepartnerschaften nicht mehr die Position haben wie früher. Es ist schade, wie es mehr und mehr verwässert.“ Angesichts der aktuellen weltpolitischen Situation und der nahen Kriege gewinnen sie aber vielleicht auch wieder an Bedeutung.