Die Schaulustigen sind klar in der Überzahl. Rund 150 Menschen lockt das Spektakel des Torture Ships an, das am Samstagabend gegen 20.30 Uhr mit knapp einstündiger Verspätung im Konstanzer Fährhafen anlandet. Es gibt ein großes Hallo an der Reling, provozierende Gesten und Posen, dann steigt vielleicht ein halbes Dutzend weiterer Fahrgäste in Lack und Latex zu. Ein paar mögen es sein, die sich erst an Bord umkleiden, aber auch ihre Zahl lässt sich an einer Hand abzählen. Der Großteil der bizarren Fahrgäste will offensichtlich die Nacht auf dem Schiff bis zum Morgengrauen in voller Stundenzahl auskosten und ist bereits gut zwei Stunden zuvor in Friedrichshafen zugestiegen.
Dort geht das Zahlenverhältnis zwischen Fahrgästen und Besuchern nicht ganz so krass auseinander. Die bizarr gekleideten Fetischanhänger gehen im Bereich der Schiffsanlegestelle nahe des Zeppelin Museums an Bord des Torture Ships und das Boarding ist auch am anderen Seeufer ein Schauspiel. Es bilden sich mehrere Reihen an der Absperrung, hinter die nur die Schiffsgäste nach einer persönlichen Registrierung gelangen. Ein großes Schaulaufen wie in früheren Jahren gibt es diesmal allerdings nicht, ferner weist ein Detail auf die neue Normalität des Torture Ships hin. Auf den Sichtschutz jedenfalls, der im vergangenen Sommer allzu großen Menschenansammlungen entgegen wirken sollte, wird verzichtet.
„Tschüss, ihr Spießer“
In Friedrichshafen wie in Konstanz kann also weitgehend ungehindert geschaut, gestaunt und kommentiert werden. Handys werden gezückt, es wird gefilmt und geknipst – möglicherweise weil man erst in der medialen Nachschau glaubt, was man da in echt sieht. Ein Laufsteg wie in der Zeit vor der Pandemie entsteht nicht, die meisten der sichtbaren Reaktionen erschöpfen sich in Belustigung. Es wird gegrüßt, gewinkt und bei der Abfahrt in Konstanz wiegt sich ein Pärchen am Kai im Tanzschritt. Dann heißt es Leinen los und vom Schiff ist noch ein provokanter Abschiedsgruß hörbar. „Tschüss, ihr Spießer“, ruft eine Frau. Mehr als Amusement erntet sie nicht.
