Den VW Bus abzuschaffen und damit ganz auf ein eigenes Auto zu verzichten, hatte für Familie Otte ganz praktische Gründe. „Es fühlt sich gut an, einen geringeren ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Das war aber nicht ausschlaggebend“, betont Marion Hansberg-Otte.
Die fünfköpfige Familie wohnt am Anfang der Rheingutstraße, nahe beim Humboldt-Gymnasium. Die dortige Wohnsituation ist ein Grund für den Verzicht. „Wir hatten keine Tiefgarage und keinen Stellplatz“, berichtet die Mutter. Dies sei alles andere als praktisch gewesen. „Und dann kam eine Phase, wo das Auto oft in die Werkstatt musste. Der Zeitaufwand hat genervt“, erzählt sie.
Schließlich kam die Frage auf, Neukauf oder gar keines. Verbunden damit war die Erkenntnis, dass das Auto kaum genutzt wurde. Ehemann Jan Otte, Pfarrer in der evangelischen Petrus- und Paulusgemeinde, schlug schließlich das Experiment vor, auf ein eigenes Auto zu verzichten.

Da Marion Hansberg-Otte zu dieser Zeit zum dritten Mal schwanger war, einigten sie sich auf einen Kompromiss. Für eine einjährige Übergangszeit sollte der VW Bus als Reserve erhalten bleiben. „Denn ich wollte nicht in einem Taxi ins Krankenhaus gebracht werden“, fügt die Mutter hinzu.
Durch das Konstanzer Leihlastenradsystem TINK, zukünftig als konrad unterwegs, seien sie überhaupt auf die Idee gekommen, erzählt Jan Otte. Die Familie beschaffte für rund 4500 Euro ein Lastenrad. Dessen Lademulde ist so groß, dass die Kinder Mia (8 Jahre), Linus (5) und Paul, der kommende Woche drei Jahre alt wird, zur gleichen Zeit Platz finden.

Zur Beladung gehören ein Verbandskasten und eine Warnweste. Für den Ganzjahresbetrieb gibt es zwei Verdecke. Der für den Sommer ist an den Seiten offen, der für den Winter lässt sich verschließen.

Mia besucht die Stephansschule. Dorthin geht sie zu Fuß oder noch viel lieber mit dem Roller. Nach der Schule verbringt sie den Nachmittag im Kinderhaus am Rhein, dem bunten Gebäude an der Spanierstraße, wo auch ihre Geschwister tagsüber sind.
„Ich bin froh, dass alle drei hier sein können“, betont Mama Marion. „Ich mag keine Kernzeitbetreuung. Das hier ist mein Hort“, erzählt Mia. „Zu Ostern habe ich ein großes, neues Rad bekommen“, fügt sie stolz hinzu. Die Bahncard und das Schweizer Halbtax vergünstigen der Familie Otte das Bahnfahren. Busse werden allerdings kaum genutzt.

Für Besorgungen, die das Fassungsvermögen des Lastenrads sprengen, und für die Fahrt in den Urlaub mietet sie ein Auto von stadtmobil CarSharing Südbaden. Das führt dann schon mal zu lustigen Begegnungen. „Wenn sie das Auto sehen, rufen unsere Kinder Papa, da fährt unser Auto“, erzählt Jan Otte. Und da war eine auf dem ersten Blick seltsam erscheinende Begegnung auf dem Wertstoffhof.

„Vor einer Stunde hat deine Freundin mir geholfen, jetzt helfe ich dir“, zitiert Jan Otte eine Frau, die ihn ansprach, als er seinen Müll entsorgte. Offensichtlich hatte jemand anderes kurz zuvor das Auto für den gleichen Zweck benutzt.
„Wir haben nach ein paar Monaten gemerkt, dass wir kein Auto brauchen. Man muss halt planen. Und es ist weniger anstrengend“, berichtet Marion Hansberg-Otte. „Seit dem ersten März 2020 sind wir ohne Auto“, sagt Ehemann Jan stolz. Nachdem ursprünglich praktische Überlegungen zum Autoverzicht führten, ist es jetzt die Idee der Nachhaltigkeit. „Wir identifizieren uns auch mit Fridays for Future“, erklärt die Mutter.
„Wir hatten den Wunsch, im Sommer einen Platz für uns zu haben, ohne dass ein Nachbar einen Meter neben uns sitzt“, erzählt Marion Hansberg-Otte. Die Familie pachtete einen Schrebergarten im Haidelmoos. „Wir sind als Selbstversorger gestartet“, berichtet Ehemann Jan. Damit seien sie allerdings gescheitert, gibt er zu.
Angepflanzt und geerntet werde zwar, aber nicht im ursprünglich geplanten Umfang. „Früher haben wir bei Aldi eingekauft. Das machen wir fast gar nicht mehr“, erzählt Jan Otte. Stattdessen kaufen sie jetzt auf dem Markt saisonale und regionale Produkte.
Marion Hansberg-Otte zieht nach mehr als zwei Jahren Bilanz: „Der größte Einschnitt meines Lebens war es, Kinder zu kriegen. Ich empfinde es nicht als Verzicht, am Morgen das Wetter auf meinem Gesicht zu spüren. Es ist für mich ein Genuss, den Kontakt mit draußen zu haben“, sagt sie nachdrücklich.