Ein sonniger Tag im Konstanzer Stadtgarten. Die junge Frau mit dem Mikrofon in der Hand skandiert: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“. Die Menge vor Eileen Blum wiederholt ihre Worte, laut und inbrünstig. „Es ist ein Notfall“, sagt Eileen Blum, die Klimaaktivistin. Und beginnt ihre Rede mit einem selbst geschriebenen Gedicht: „Flüsse, die vor unsren Augen im Sande versinken. Ozeane, die röhrend im Weltmeer aus Plastik ertrinken, Küstenstädte, die gurgelnd im Schmelzeis ersaufen. Was glaubt ihr, wie viel Zukunft können wir da noch kaufen?“ Die Menschen, die an diesem Tag zur Kundgebung von Fridays for Future gekommen sind, hören ihr still zu. Die junge Frau hat etwas zu sagen – und sie hat die Menge im Stadtgarten von Anfang an im Griff.

„Ich wusste: Die müssen mir jetzt zuhören“

Das war vor einigen Tagen. Rund anderthalb Jahre ist es her, dass Eileen Blum, 21 Jahre alt und aus Allensbach, ihre erste Rede gehalten hat. Im Oktober 2020 am großen Querdenker-Wochenende. Blum macht eine Ausbildung zur Krankenpflegerin am Klinikum Konstanz, und einer ihrer Mit-Azubis hatte eine Gegendemo vor dem Klinikum organisiert. „Klar war ich aufgeregt“, sagt sie, „andererseits wusste ich aber auch, dass das jetzt eine einmalige Gelegenheit ist. Ich wusste: Diese Leute müssen mir jetzt zuhören.“ Also sprach sie. Nicht über Querdenker, sondern über die Rettung des Klimas. Und warum Klimawandel wichtiger als Corona sei.

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Nach der Rede, erzählt sie beim Besuch von SÜDKURIER im Haus ihrer Eltern in Allensbach, sei eine Aktivistin von Fridays for Future auf sie zugekommen. ‚Ah, die gibt es also doch noch‘, habe sie gedacht. Und sich sogleich angeschlossen.

Umwelt und Klima waren für Blum schon immer Thema, sagt sie. „Ich bin aufgewachsen mit dem Bewusstsein, dass etwas nicht stimmt, dass wir etwas tun müssen.“ Trotzdem kam sie erst spät zu Fridays for Future. Denn in Konstanz fingen die wöchentlichen Schüler-Demos ausgerechnet zu Blums Abi-Zeit an. Das Abi schloss sie mit einem Einserschnitt ab. „Viele fragten, warum ich Krankenpflegerin werden will und nicht lieber etwas studieren, bei dem ich viel Geld verdienen kann. Fast so, als wäre ein Job nur dann wertvoll, wenn viel Geld dran hängt.“ Warum wollte sie Krankenpflegerin werden? Es war eine Gewissensentscheidung, sagt die junge Frau. Sie habe Menschen helfen wollen, nicht Geld scheffeln.

Bild 1: Vollzeitaktivistin oder Karriere? Warum Eileen Blum, 21 Jahre, sich entscheiden muss
Bild: Eva Marie Stegmann

Um die Ausbildung als Krankenpflegerin und Aktivismus unter einen Hut zu bringen, ist sie bereit, über Grenzen zu gehen. Zum Beispiel ihre persönlichen. Es ist nicht selten, dass sie für ihren Job am Klinikum Konstanz um 4.30 Uhr aufstehen muss. Während Corona war sie voll eingespannt. Die Freizeit, die sie hat, nutzt sie kaum zum Entspannen, wie sie erzählt. Viel wichtiger ist ihr, etwas zu tun, um zu verhindern, dass, wie es viele Wissenschaftler prognostizieren, am Ende des Jahrhunderts ein Großteil des Planeten nicht mehr bewohnbar ist. Weil es zu heiß ist zum Beispiel. Oder dass ein größeres Artensterben ansteht als damals bei den Dinosauriern.

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Grenzen überwinden – das bedeutet für Eileen Blum auch, mit Menschen über ihre Lebensweise zu sprechen und diese zu hinterfragen. „Ich versuche, das Gespräch schnell auf das Thema zu lenken. Ob bei neuen Bekannten, Verkäufern oder, wenn es sich ergibt, auch bei Patienten. Ich versuche, die zu sein, die informiert. Die meisten reagieren gut, vielen ist schon bewusst, dass sie etwas ändern müssen.“ Sie hofft, dass sie in dem ein oder anderen etwas bewegen kann. In der Familie kommt ihr Engagement okay an. Der Vater steht hinter ihr, die Mutter sagt, es sei ihre Sache. In der Küche hängt eine von Eileen Blum erstellte Liste an der Wand, mit Möglichkeiten, Ei in verschiedenen Gerichten zu ersetzen.

Eiersatz-Tipps von Eileen für ihren Vater. Der Zettel hängt in der Küche der Familie in Allensbach.
Eiersatz-Tipps von Eileen für ihren Vater. Der Zettel hängt in der Küche der Familie in Allensbach. | Bild: Eva Marie Stegmann

Sympathie für zivilen Ungehorsam

Eileen Blum ist heute eines der Gesichter von Fridays for Future in Konstanz, schreibt für den Klimablog, hält Reden oder im Klimacamp am Münster die Stellung. Sie ist außerdem noch in anderen Klimagruppen aktiv, zum Beispiel Extinction Rebellion. Und sie hat Sympathie für den „Aufstand der letzten Generation“, das sind die, die sich in Großstädten wie Freiburg und Stuttgart auf Autobahnen kleben und den Verkehr blockieren, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen – wie etwa den Stopp von Finanzierung und Ausbau von neuer Infrastruktur für fossiles Öl, Gas und Kohle.

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Die Rede, die sie vor wenigen Tagen am Stadtgarten hielt und mit ihrem selbst geschriebenen Gedicht einleitete, war Teil einer Solidaritätsaktion mit der Gruppe. Der „Aufstand der letzten Generation“ ruft zu zivilem Ungehorsam auf, ist radikaler als Fridays for Future, die vor allem mit den Menschen im Gespräch bleiben wollen. Eileen Blum findet beides wichtig.

Großes Beben ist ausgeblieben

Obwohl Begriffe wie Erderwärmung, Eisschmelze, 1,5-Grad-Ziel, Klimakollaps ins Alltagsvokabular übergegangen sind, obwohl kaum noch jemand den Klimawandel leugnet und die ersten Hitzesommer als Kostprobe der Krise bereits da waren, ist aus Sicht von Eileen Blum und ihren Mitsreitern das große politische und gesellschaftliche Beben ausgeblieben. Diese Sicht teilt sie mit dem Gros der Klimaforschung.

Eileen Blum in ihrer Dienstkleidung im Klinikum Konstanz.
Eileen Blum in ihrer Dienstkleidung im Klinikum Konstanz. | Bild: Eva Marie Stegmann

Das Ausbleiben dieses Bebens ist Mit-Grund, warum ihr nur Demonstrieren nicht mehr reicht. Es ist auch Mit-Grund, dass bald eine weitere Entscheidung zwischen Karriere und Gewissen für sie ansteht.

Als sie die Ausbildung begann, hatte sie sich für ihr Gewissen entschieden und es bisher nicht bereut, auch nicht während Corona. Eigentlich sieht sie es sogar positiv: „Wir konnten so viel machen und haben wahrscheinlich so viel über Infektionsschutz gelernt, wie kaum ein Jahrgang vor uns“, sagt sie. In einem halben Jahr ist sie gelernte Pflegerin. Sie würde gerne in dem Beruf weiterarbeiten, überlegt sogar, doch noch Medizin zu studieren. Wäre da nicht das Klima. „Vollzeit arbeiten und Engagement, das funktioniert so nicht. Wir sind die letzte Generation, die den totalen Klimazusammenbruch noch aufhalten kann“, sagt Eileen Blum. Für ihre Karriere wäre es gut, Berufserfahrung zu sammeln, vielleicht in einer anderen Stadt. Doch sie überlegt ernsthaft, nach der Ausbildung „hauptberuflich Aktivistin zu sein und nebenher etwas zu arbeiten“, wie sie sagt. „Denn es ist jetzt, genau jetzt die Zeit, noch etwas gegen den Kollaps zu tun!“