Benchi Ottstadt darf sich derzeit so einiges anhören. Zwei Mal pro Woche setzt er sich in der Umgebung von Freiburg auf eine vielbefahrene Straße und blockiert den Verkehr. Gefahr vom Auto überfahren zu werden, läuft er nicht. Aber Gefahr von Autofahren beschimpft zu werden schon.
„Man bekommt ganz viel Abwertung“, erzählt er. Spaß macht das also nicht, auf kalten Straßen zu sitzen. Noch weniger Spaß macht es, danach von der Polizei abtransportiert und erkennungsdienstlich behandelt zu werden: Fingerabdrücke, Fotos von allen Seiten – wie im Krimi.
„Man wird behandelt wie ein Verbrecher“, sagt Benchi. Doch das ist dem 42-Jährigen wert, schließlich geht es um nichts weniger als die Rettung der Welt.
„Sich mit dem Untergang der Welt zu konfrontieren, das muss man aushalten“
„Wir rasen auf eine Welt zu, die zu einem Drittel nicht mehr bewohnbar sein wird. Auch in Deutschland wird es Hungersnöte geben, man kann es sich nicht vorstellen“, sagt Benchi. Wenn nicht endlich mehr für den Klimaschutz getan werde.
„Die Wissenschaft gibt uns noch vier, fünf Jahre“, danach lasse sich die globale Erwärmung kaum mehr aufhalten. Benchi hat sich während seines Sabbatjahrs durch jede Menge Studien gelesen. Und die haben ihn erschüttert. „Sich mit dem Untergang der Welt zu konfrontieren, das muss man aushalten“, sagt er.

Mit dem SÜDKURIER unterhält sich Benchi, der sich gerne duzen lassen will, abends per Zoom. Nach Blockade, Beruf und dem, was der Alltag als Familienvater so bietet. Erhitzt von den Aktivitäten des Tages sitzt der Aktivist von der Initiative „Aufstand der letzten Generation“ im T-Shirt da.
Normalerweise trägt er die Jacke auch in der Wohnung, seitdem er das Heizen eingestellt hat. Auto fährt er seit zwei Jahren nicht mehr, stattdessen E-Bike. Vegetarier ist er schon viel länger. Man kann dem Klimaretter also nicht vorwerfen, dass er nicht selbst mit leuchtendem Beispiel voranginge.
Doch darum geht es den Aktivisten von der „Letzten Generation“ nicht. Klimaschutz im Kleinen bringt zu wenig, sie wollen, dass die Politik das große Rad dreht.
Essen retten und Straßen blockieren – wie geht das zusammen?
Seit ein paar Wochen sorgt die neue Bewegung für Aufmerksamkeit. Vor allem in der Hauptstadt, aber auch in anderen Städten quer durch Deutschland, auch in Stuttgart und Freiburg, blockieren die Aktivisten Autobahnausfahrten und andere vielbefahrene Straßen.
Auch wenn dabei oft nur eine Handvoll Leute beteiligt sind, erzeugt das große Wirkung, denn der Ärger der Auto- und Lkw-Fahrer ist entsprechend groß, wenn sie dadurch im Stau stehen. Um nicht so schnell von der Polizei weggetragen werden zu können, kleben manche Aktivisten ihre Hände mit Sekundenkleber am Asphalt fest.
An erster Stelle der Agenda der Letzten Generation steht die Essensverschwendung. Laut WWF landen 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr in Deutschland im Müll. Das entspricht fast einem Drittel des Nahrungsmittelverbrauchs – und 90 Millionen Tonnen unnötiger Treibhausgasemissionen. Mit einem „Essen retten“-Gesetz könnte man das schnell ändern, meinen die Aktivisten. Im zweiten Schritt fordern sie einen nachhaltigen Umbau der Landwirtschaft.

Essen retten und auf die Straße kleben – wie passt das zusammen? Was können die Autofahrer dafür, dass Lebensmittel verschwendet werden? Eigentlich nichts. Es geht schlicht um Aufmerksamkeit.
Doch das kommt nicht überall gut an, auch nicht bei den in Bund und Land regierenden Grünen: Cem Özdemir, der als Bundesagrarminister zuständig für Essenretten und Agrarwende wäre, sagt dazu: „Gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt man ganz sicher nicht, wenn man Krankenwägen, Polizei oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert.“
Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann kritisierte die Aktivisten scharf: Ziviler Ungehorsam sei nur möglich, wenn alle anderen Möglichkeiten der Einflussnahme ausgeschöpft seien, das sei hier aber nicht der Fall.
Auf riesige Freitagsdemonstrationen folgt ein „lächerliches“ Klimapaket
Benchi sieht das anders. „Mich würden die anderen Möglichkeiten interessieren“, sagt er. Man könne lange auf Marktplätzen stehen, Petitionen schreiben und Braunkohlebagger blockieren – „und es passiert nichts“. Auch auf die riesigen Demos der Fridays-for-Future-Bewegung folgte nur ein, aus seiner Sicht, „lächerliches“ Klimapaket. „Jetzt setzen sich ein paar Menschen auf die Straße und auf einmal ist das Thema in aller Munde.“
Den Vorwurf, sie blockierten Krankenwagen, hält er außerdem für billig. In Freiburg würden die Aktivisten dafür sorgen, dass es eine Rettungsgasse gebe, außerdem werde die Rettungsleitstelle informiert, damit Einsätze umgeleitet werden können. Und ein Medikamenten-Transporter wurde kürzlich ebenfalls rausgeschleust.
In Deutschland ist inzwischen eine ganze Reihe von Gruppen unterschiedlicher Radikalität unterwegs. Von einer „grünen RAF“ wird bereits fantasiert:
Der Vater von zwei Söhnen hat da ein Bild im Kopf: Was würde man tun, wenn man wüsste, dass der Schulbus, in dem die eigenen Kinder sitzen, bald verunglückt? Man würde versuchen, die Katastrophe aufzuhalten. Ähnlich sieht er die Sache mit dem Klima. „Ich fühle mich absolut richtig auf der Straße.“
Die Anzeige, die er fürs Containern, also das Mitnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln, erhalten hat „hänge ich mir im Rahmen an die Wand“. Auch eine erwartete Geldstrafe für die Straßenblockaden nimmt er in Kauf. Manche der Letzten Generation gehen sogar noch weiter: Die so genannten „Jas“ (Ja, auch Knast) ließen sich so oft von der Straße tragen, bis sie im Gefängnis landeten.

Tatsächlich kann das auch passieren. Nach den ersten sechs Aktionen in Freiburg laufen laut Polizei zwölf strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Nötigung, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Diebstahl geringwertiger Sachen, Hausfriedensbruch sowie Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz.
Ziel der „Jas“: Aufmerksamkeit erregen und so irgendwann den „sozialen Kipppunkt“, zu erreichen, bei dem die Stimmung der Bevölkerung den Ausschlag für ein entschlosseneres Handeln der Politik gibt. Benchi sieht da durchaus Chancen. Lebensmittelverschwendung, zum Beispiel, sei etwas, das von den meisten Menschen verurteilt werde. Aber er ist sich im Klaren darüber, dass es dauern dürfte. „Weltrettung ist ein Marathon“, sagt er.