Viele Klischees gibt es, wenn man an Gewichtheben denkt. Eines ist der muskelbepackte Mann, der vornehmlich ärmelfreie Hemden trägt und gerne seine Muckis vorm Spiegel hüpfen lässt. Wenn man Trainerin und Gewichtheberin Cosima Cornelius aus Konstanz zuhört, klingt das Schwitzen und Anstrengen mehr nach einem Weg zu innerer als zu äußerer Stärke. Sie sagt: „Also klar ist das Ziel, die 30, die 40 oder die 50 Kilo zu schaffen. Auf eine Weise ist die Last aber nur Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist persönliches Wachstum.“
Im Gewichtheben, erklärt sie, geht es darum, eine Last, die man noch nie geschafft hat, zu schaffen. Und dann die nächste. Und wieder die nächste. „Und das weiß man davor. Wenn man nicht konsequent, mutig, mit Plan und Schritt für Schritt rangeht, schafft man es nicht. Man muss mit jeder Faser seines Körpers dabei sein.“ Wie im Leben.
Platz sechs den Deutschen Meisterschaften
Die junge Frau sitzt auf dem grauen Sofa in einer Ecke der Halle im Konstanzer Industriegebiet, wo ihr Athletikclub sein derzeitiges Zuhause hat. 2014 war Cornelius sechste bei den Deutschen Meisterschaften im Gewichtheben, als Trainerin hat sie die A-Lizenz, die höchste von allen.
Sie wirkt größer als ihre 1,63 Meter. Wenn sie spricht, kommt sie schnell zum Punkt, ohne Schnörkel. Wenn sie geht, dann aufrecht und zielstrebig. Sie sagt, dass sie vor zehn Jahren, also bevor sie das erste Mal eine Langhantel in den Händen hielt, selbst eher schüchtern gewesen sei. „Nicht unselbstbewusst, aber einen Raum hätte ich vorsichtig betreten und abwartend.“ Heute, sagt sie, sehe das eher so aus: Sie springt auf und reißt eine imaginäre Tür auf, dann steckt sie den Kopf durch und ruft fröhlich „Hallo, wer ist da?“.
Die 31-Jährige trägt einen dunkelblauen Hoodie, auf dessen Rücken steht „Power Girls aus der Gewichthebe Halle“.
Konstanzer Besonderheit: Viele Frauen
„Weltweit ist es ein von Männern dominierter Sport. Das ändert sich, aber nur langsam. Wir hingegen haben viele aktive Frauen, das ist ungewöhnlich und besonders. Dass zum Training acht Frauen und zwei Männer kommen, ist keine Seltenheit“, sagt Cosima Cornelius. Das liege nicht zuletzt daran, dass der Vorstand bis vor kurzem rein weiblich war. Und an ihr selbst. Sie hat den Athletikclub vor sieben Jahren gegründet.
Wie kam es dazu und sie überhaupt zum Krafttraining? „Ich wäre vorher selbst nie auf die Idee gekommen, ins Fitnessstudio zu gehen und dort eine Hantel zu packen“, sagt sie. Man denkt an Männer, wenn man an Kraftsport denkt. Sie lernte das Backhandwerk im Familienbetrieb, Reginbrot in Konstanz. „Da konnte ich das Blech nicht über den Ofen heben.“ Mit 21 begann Cosima Cornelius ein Studium in München und wollte etwas für ihre Fitness tun. Sie landete im Crossfit. Eine Sportart, bei der Gewichte einen ganz kleinen Teil ausmachen. „Ich war fasziniert, von diesen präzisen und sehr ästhetischen Bewegungsabläufen.“
Herausfordernde Situationen gesucht
Sie brach ihr Studium in München ab und begann Sportwissenschaften in Konstanz. Weil der nächste Gewichthebe-Verein in Tuttlingen war, fuhr sie dreimal die Woche. Zusammen mit einem Freund nistete sie sich außerdem in der Garage ihres Opas ein, um Lasten zu hieven. Eine weitere Freundin kam hinzu und noch eine. „Als wir zu siebt waren, gründeten wir den Verein“, sagt sie.
Dabei sei es von Anfang an um gemeinsames Wachstum gegangen. Während sie sich Kilo für Kilo näher an wichtige Marken wie 60 Kilo über den Kopf zu reißen oder 90 Kilo über die Hüfte zu heben heranarbeitete, änderte sich etwas in ihr. „Es hilft im Leben, wenn man in Stufen denkt. Kilo für Kilo zum Ziel, Schritt für Schritt zum Ziel. Ich begebe mich mittlerweile gerne in Situationen, die herausfordernd sind. Das Wissen, körperlich stark zu sein, nimmt einem viele Ängste.“
Als Trainerin will Cornelius das weitergeben. „Bei den Leuten, die schwach hier anfangen und immer stärker werden, tut sich dann auch sonst im Leben was. Und das ist ultraschön zu sehen.“
„Das ist lebensverändernd“
Zum Beispiel das Mädchen, das jetzt mit 13 mitten in der Pubertät sei. „Wenn sie den Raum betritt, dann so, als gehöre er ihr. Früher war sie zurückhaltend. Nun ist sie stärker als die meisten 20-jährigen. Und das weiß sie. Mit diesem Bewusstsein läuft sie durch die Welt. Das ist lebensverändernd.“
Cosima Cornelius geht auch an Schulen und leitet AGs, redet Mädchen ins Gewissen, wenn es sein muss. „Teils haben sie krasse Glaubenssätze, was den eigenen Körper angeht, wie er sein muss, weil Influencer XY so aussieht, das erschreckt mich. Das hatten wir damals nicht.“
„Ich wollte stark sein, nicht schlank“
Sie erinnert sich, wie ihr eigener Freundeskreis – eine sehr modebewusste Clique – anfangs mit dem Gewichtheben fremdelte. „Es fielen Sätze wie: ‚Du siehst gut aus, jetzt reicht es aber‘“, sagt die Athletin. „Und ich dachte: ‚Das ist mir jetzt egal, ich will schaffen, 60 Kilo über meinem Kopf zu reißen. Ich wollte, dass mein Körper eine bestimmte Leistung abreißen kann und mein Geist etwas überwindet. Ich wollte stark sein, nicht schlank.“ Der knackige Körper, den das Training mit sich bringe, sei nur ein netter Nebeneffekt.
Und heute? Sind einige aus besagtem Freundeskreis Mitglied im Athletikclub. Ihr Ziel: Genauso stark werden wie Cosima Cornelius.
Gemeinsam suchen sie nach neuen Räumen für den Club und hoffen auf Hilfe, etwa von der Stadt, denn im Industriegebiet können sie wegen der hohen Miete nicht bleiben. „Das ist meine oberste Priorität“, so Cornelius. Diesem Ziel widmet sie sich derzeit hauptberuflich. Dann grinst sie: „Ich glaube, die Stadtverwaltung wäre auch langsam froh, wenn wir etwas finden würden. An uns kommen sie nicht vorbei.“ Das glaubt man ihr gerne.