Herr Oberbürgermeister, die Stadt Konstanz muss Schulden machen, um laufende Ausgaben zu bestreiten, unter anderem auch Gehälter. Können Sie da noch ruhig schlafen?
Uli Burchardt: Ja, ich kann noch ruhig schlafen. Die ganze Welt macht zurzeit Schulden. Und da werden wir uns nicht ganz davon befreien können. Wir machen Schulden, um zu investieren – nicht im laufenden Geschäft. Ich bin kein Freund davon, ich mache das auch nicht leichtfertig, aber ich sehe auch: Im Moment haben wir keine Chance, in der jetzigen Haushaltssituation unsere Pflichten zu erfüllen, ohne Schulden zu machen.
Ein Beispiel: Klar könnten wir aufhören, Schulen zu bauen, aber es wäre ein Riesenfehler. Also machen wir Schulden. Für eine Schule, für eine Kita, für Ganztagsbetreuung. Auch für ein Klinikum, das, hoffentlich nicht mehr lange, hohe Defizite schreibt. Das kann kein Dauerzustand werden. Aber jetzt im Moment? Da geht es nicht anders. Allein die höhere Kreisumlage mal eben rauszusparen, um keine Schulden zu machen, wäre nicht möglich, ohne dass man die Stadt kaputtmacht. So hat es der Gemeinderat nach langer Beratung und mit Augenmaß beschlossen.
Was wären denn Entscheidungen, die aus Ihrer Sicht die Stadt kaputtmachen würden? Oder wann fängt die Stadt an, kaputtzugehen?
Schauen wir mal auf unsere freiwilligen Leistungen in den Bereichen Sport, Kultur, Klimaschutz und vielen anderen. Da finden wir zumindest bisher kein Thema, wo wir mit einer klaren Mehrheit sagen, da könnten wir jetzt noch weiter sparen. Die Stadt hängt an den Dingen, ob es das Hallenbad am Seerhein ist oder drei Spielstätten für das Theater. Oder die Ausstattung unserer Philharmonie als B-Orchester, wo eigentlich niemand eine Herabstufung auf C möchte. Das haben wir alles solide diskutiert. Und das sind ja alles keine goldenen Wasserhähne, sondern Dinge, die der Stadtgesellschaft wichtig sind. Wenn wir eine Lücke von 15 Millionen Euro im Hau-Ruck-Verfahren zusparen, müsste man tief einschneiden, und das fände ich gerade in dieser Zeit absolut falsch.
Gibt es etwas anderes, was Ihnen den Schlaf raubt, wenn es die Finanzlage der Stadt Konstanz nicht ist?
Also nochmals zur Finanzlage: Wir haben drei Themen. Unseren Ergebnishaushalt, das laufende Geschäft, nenne ich mal das Girokonto. Da sind wir derzeit nach Abschreibungen im Minus, das müssen wir in Ordnung bringen, aber das geht nicht sofort. Dann haben wir die Investitionen. Da haben wir eine Verschuldung von 50 Millionen Euro. Und als Drittes haben wir Vermögen. Da haben wir viel aufgebaut, seit ich in der Verantwortung bin.
Allein die baureifen Grundstücke von den Christiani-Wiesen über Brühläcker in Dettingen bis zum Döbele, die wir verkaufen können, sind 210 Millionen Euro wert, ohne den Hafner. An dieser Gesamtschau liegt es, dass ich noch schlafen kann. Aber klar ist auch, wir müssen an die Weichenstellungen ran. 2026 müssen wir uns zusammen mit dem Gemeinderat den städtischen Haushalt, die Stadtwerke, die Wobak, sehr genau und in einer Langfrist-Perspektive ansehen. Ich glaube, dass uns das gelingt, und das macht mich zuversichtlich.
Aber wird es denn gelingen, diese Vermögenswerte dann auch zu aktivieren? Ein Grundstück zu haben, ist das eine. Den Käufer zu haben und einen guten Preis zu erzielen, ist das andere.
Wir werden keine Probleme haben, diese Grundstücke zu einem guten Preis zu vermarkten. Ich mache mir eher Sorgen darüber, wie groß im Gemeinderat die Strömung ist, die sagt: Wir wollen es aber nicht verkaufen. Für mich ist klar: Du kannst nur neu investieren, wenn du auch irgendwo bereit bist, etwas zu verkaufen. Auf konstanzerisch: Wir können nicht das Fünferle und das Weckle haben.

Merken denn die Bürgerinnen und Bürger von Konstanz überhaupt schon, dass ihre Stadt sparen muss? Ist das schon angekommen in der Lebenswirklichkeit?
(überlegt länger) Wir haben ja vor Kurzem die Grundsteuer erhöht. Das ist eine Erhöhung, die breit die Bürgerschaft betrifft. Im Schnitt ist die jährliche Grundsteuer von etwa 165 Euro auf rund 207 Euro pro Kopf angestiegen, also um rund 40 Euro für ein ganzes Jahr. Im Gegenzug gibt es dafür aber auch einiges: Nahverkehr, Schwimmbäder, Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum und vieles mehr. Und sonst – ja, wir haben einige Einsparungen beziehungsweise Erhöhungen von Gebühren vorgenommen, die jeder spüren könnte. Aber bisher ist es gelungen, das Leistungsangebot im Großen und Ganzen zu erhalten. Wir wollten bisher da sparen, wo es möglichst nicht so wehtut.
Wir gehen davon aus, dass es nicht mehr viel Sparpotenzial gibt, das geräuschlos zu heben ist. Sonst hätte man ja bisher in Saus und Braus gelebt. Also, worauf müssen sich die Konstanzerinnen und Konstanzer einrichten?
Wir werden 2026 eine sehr tiefgreifende Haushaltsdebatte führen müssen. Wir brauchen eine gemeinsame Linie zu den Themen Schulden, Grundstücksverkäufe, Investitionen, Klimaschutz. Wir müssen klarmachen, dass wir Investitionen langfristig finanzieren müssen, also mit Krediten. Das geht nicht vom Girokonto. Dafür brauchen wie die Zehn-Jahres-Langfristplanung. Und der Gemeinderat ist jetzt fest im Sattel, wir sind weit weg von allen Wahlen. Eine gute Zeit, diese Weichenstellungen vorzunehmen.
Auf der Einnahmenseite haben Sie Bürgern, Unternehmern und Touristen schon tief in die Taschen gegriffen. Was ist mit der Ausgabenseite?
Also noch mal zur Grundsteuer: Wir werden jetzt weniger Geld einnehmen als bisher und als geplant. Da wurde, aufs Ganze gerechnet, nicht in die Taschen gegriffen. Wir schauen sie uns aber auch aus einem anderen Grund nochmals an. Die Grundsteuer ist die einzige, die alle Bürger trifft. Ich hätte sie stärker erhöht, der Gemeinderat wollte das seinerzeit nicht.
So können wir alle Bürger an der Finanzierung von Angeboten beteiligen, die alle Bürger nutzen können – Bäder, Theater, Büchereien und mehr. Es ist eine Riesenqualität, in einer Stadt zu leben, wo man sich beim Bäcker ein Brötchen holen, sich dann an den See setzen und kostenlos baden kann. Versuchen Sie das mal am Starnberger See. Solche Qualität ist teuer, und sie über die Grundsteuer zu finanzieren, ist fair.
Sie sprechen wieder über die Einnahmenseite. Was ist mit der Ausgabenseite? Sind Theater und Philharmonie in ihrem Bestand gesichert?
Ja, das ist zu Ende diskutiert. Gründlich und mit einem klaren Ergebnis. Trotzdem werden wir uns weiter bewegen müssen. Es muss Verwaltung und Gemeinderat klar sein, dass die Diskussionen 2026 alle wieder beginnen, nicht nur zur Kultur. Die Zeiten sind atemlos, die Rahmenbedingungen um uns herum sind schlecht.

Was muss um uns herum, wie Sie es sagen, passieren? Was sind Ihre Erwartungen an Land und Bund?
Die müssen endlich das Konnexitätsprinzip anerkennen: Wer anschafft, zahlt. Beispiel Rechtsanspruch auf Betreuung von Grundschulkindern – der wurde in Berlin beschlossen, wir müssen ihn umsetzen, und niemand sagt mir, wie viel Geld ich dafür bekomme. Das ist nicht in Ordnung. Ein anderes Beispiel ist das Klinikum – da ist das Land für die Investitionen verantwortlich, die Krankenkassen für die auskömmliche Bezahlung der Leistungen.
Aber wie läuft es tatsächlich? Der Gesundheitsverbund macht 20 bis 30 Millionen Euro Defizit pro Jahr, davon tragen allein wir als Stadt Konstanz über die Kreisumlage rund ein Drittel. Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Summe, die wir an den Kreis überweisen müssen, von 40 auf 60 Millionen Euro erhöht. Weil auch der Kreis solche Aufgaben einfach zugewiesen bekommt. Wir konnten das ein paar Jahre mittragen und sind nach wie vor überzeugt, dass wir die Kliniken in kommunaler Hand behalten wollen, aber so geht es nicht weiter.
Schauen wir mal auf das, wovon die Stadt lebt. Sie haben mehrfach gesagt, dass Wirtschaftsförderung für Sie Chefsache ist. Welche konkreten Erfolge haben Sie dabei in den letzten Jahren erzielt?
Ich bin gar nicht unzufrieden, wenn ich auf unseren Wirtschaftsstandort schaue. Wir hatten große Sorgen, als Takeda sich 2011 weitgehend zurückgezogen hat. Heute sind die Flächen längst wieder voll, oft mit kleineren, innovativen Unternehmen, da hat das Netzwerk Biolago Großartiges geleistet. Wir hängen nicht von wenigen großen Unternehmen ab, wie zum Beispiel Sindelfingen oder auch Friedrichshafen. Wir haben einen starken Bereich Handel, Tourismus und Gastronomie, der etwa ein Viertel unserer Gewerbesteuer-Einnahmen ausmacht.
Der Rest ist gut verteilt, mit einem Schwerpunkt auf innovativen Unternehmen von Biotechnologie und Life Science über IT bis Solar. Wir haben die Gewerbesteuer um mehr als 50 Prozent gesteigert, von 37 auf die für dieses Jahr geplanten 57 Millionen Euro. Was wir jetzt brauchen, sind Gewerbeflächen. Und zum Beispiel auch moderne Gewerbehöfe wie in Großstädten. Da wird der Hafner jetzt die Planungen am Flugplatz überholen. Wir haben bald 15 Hektar Fläche für die Wirtschaft.
Hat die Wirtschaft zu wenig Stimme, zu wenig Gewicht in einer Stadt, in der so viele Menschen – und auch Stadträte – im erweiterten öffentlichen Dienst tätig sind?
Das sehe ich nicht so. Wir haben einen gut durchmischten Gemeinderat mit Verbindungen in alle sozialen Milieus und viele Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft. Aber ja, ich würde mir wünschen, dass Fach- und Führungskräfte aus der Wirtschaft sich noch mehr politisch engagieren. Aber da sagen halt viele: Das tue ich mir nicht an.
Können Sie das verstehen?
Ja. Es ist ein großes Engagement, manchmal mehrere Nachmittage und Abende pro Woche zu opfern, und da braucht es auch einen Arbeitgeber, der das mitträgt. Und die eigene Bereitschaft, sich am Samstag auf dem Markt auch mal anquatschen zu lassen, Wahlkampf zu machen und all die Rückmeldungen auszuhalten. Dazu kommt: Der Gemeinderat hat bei uns besonders viel Arbeit, weil in Konstanz so vieles in Bewegung ist. Daher verstehe ich auch jeden, der sagt: Nach zehn Jahren höre ich wieder auf.
Nochmals zu den Stadtwerken. Wie soll es da langfristig weitergehen?
Ich lege jetzt kurz mal die Wobak und die Stadtwerke nebeneinander. Die Wobak tut heute das, was sie vor zehn oder 50 Jahren schon gemacht hat und was sie hoffentlich auch in zehn Jahren noch tut: Wohnungen bauen und vermieten. Bei den Stadtwerken ist heute alles anders als vor zehn Jahren. Sie stehen in einem harten Wettbewerb, im Strom- und Gasbereich zudem noch mit nicht immer seriösen Billig-Anbietern. Sie bieten jetzt auch Telekommunikation und bald auch Wärme an. Sie sind der größte Gasverkäufer in der Region und müssen es verkraften, dass dieses Geschäft komplett wegfallen wird.
Auch die Mobilität verändert sich. Ich finde es wichtig, dass wir bei diesen Themen als Stadtwerke in Konstanz das Heft des Handelns in der Hand behalten und mitgestalten. Sonst müssten wir sagen: Die vielen hundert Millionen Euro soll ein Großinvestor investieren und hier Wärmenetze bauen, aber dann sind wir raus. Für immer. Das wäre ein großer Fehler! Wir wollen es selbst machen, und dafür müssen wir die Konsequenzen tragen. Wir werden sehr große Darlehen aufnehmen müssen, aber es sind rentierliche Investitionen.
Vor diesem Hintergrund hätte ich es gut gefunden, einen Minderheitsgesellschafter und dessen Expertise an Bord zu nehmen, der uns berät und vielleicht auch mal herausfordert oder auch mal den Spiegel vorhält. Dieser Wunschpartner war die Thüga. Das ist am Widerstand in Konstanz gescheitert, also liegt die Verantwortung jetzt zu 100 Prozent bei der Stadt Konstanz als einziger Gesellschafterin, vertreten durch den Gemeinderat.
Und so schaffen wir die Wärmewende?
Ja. Für Sonnenkraftwerke und Windräder haben wir wenig Platz, dafür können wir die Seewärme nutzen und hoffentlich auch die Abwärme aus der Müllverbrennungsanlage in Weinfelden. Das ist ein tolles, grenzüberschreitendes Projekt für den Klimaschutz. Wir werden voraussichtlich etwa die Hälfte unseres Wärmebedarfs mit Netzen der Stadtwerke regenerativ decken können. Da können wir uns echt freuen.
Sie haben den geplanten Thüga-Einstieg angesprochen. Wie erklären Sie sich heute, dass er gescheitert ist?
Es wurde auf unangemessene Art Polemik gegen die Thüga gemacht, bis hin zur Rufschädigung. So lange, dass die Thüga sich selbst zurückgezogen hat. Ich muss sagen, diesen Schritt konnte ich nachvollziehen. Im Ergebnis finde ich das für Konstanz sehr bedauerlich. Und ich denke mir, es ist spätestens jetzt für den einen oder anderen an der Zeit, vom hohen Ross herunterzuklettern: Wenn wir alle unsere Aufgaben aus eigener Kraft und alleine lösen wollen, dann müssen wir ab jetzt mehr Entschlossenheit und Mut an den Tag legen.