Herr Dr. Reuter, Sie sind nicht nur der Chef eines der größten Unternehmen in Konstanz, sondern stehen auch in einer wesentlichen Verantwortung dafür, dass uns die Klima- und Energiewende gelingt und wir Bürger versorgt bleiben. Können Sie noch ruhig schlafen?
Absolut. Ja, die Herausforderungen sind groß. Aber wir werden als Stadtwerke dieses Jahr 100 Jahre alt, und wenn man in dieser Geschichte zurückblickt, dann gab es schon ähnliche Phasen. Es wurden ein Wasser-, ein Strom- und ein Gasnetz erstellt, und die Anforderungen waren ähnlich groß, wie sie heute sind. Was heute aber anders ist: Wir haben klare Zeitvorstellungen. Wir wollen und müssen Druck machen. Auf der anderen Seite sind die Menschen im Augenblick versorgt, die Veränderung ist also politisch-gesellschaftlich gewollt.

Für mich stellt sich die Lage so dar: Beim Ausbau der erneuerbaren Energien haben Sie viel Luft nach oben, Sie haben ein Gasnetz, über das Sie bei gleichbleibenden oder steigenden Kosten immer weniger Kunden versorgen, und Sie haben ein Stromnetz, das den neuen Anforderungen noch nicht gewachsen ist. Sie brauchen also sehr viel Geld. Wo soll das herkommen?
Wir haben hochgerechnet, dass die Wärmenetze, die wir priorisiert haben und derzeit Voruntersuchungen durchführen, rund 400 Millionen Euro Investitionen benötigen. Bei dem Ausbau der Stromnetze kommen erhebliche Millionensummen hinzu. Diese Investitionen müssen erstens wirtschaftlich sein und brauchen zweitens eine Vorfinanzierung. Wir müssen also zunächst einmal investieren und bauen und haben die Erträge erst viel später. Deshalb müssen wir Modelle finden, die neben der klassischen Bankenfinanzierung Kapital einbringen. Dafür müssen wir unser Eigenkapital erhöhen und alternative Finanzierungsformen anwenden, zum Beispiel Bürger-Beteiligungsmodelle.
Die Stadtwerke führen angeblich „Geheimverhandlungen“ mit dem Thüga-Konzern über einen Einstieg, und es gibt die Sorge, dass die politische Kontrolle über die lokale Energiewende verloren geht. Was läuft da?
Ja, wir beschäftigen uns seit zwei, drei Jahren intensiv mit den technischen Lösungen der Energiewende und auch mit deren Finanzierung, die diese Investitionen ermöglicht. Das ist eine Herausforderung für alle Städte in Deutschland. Deshalb haben wir uns sehr intensiv damit auseinandergesetzt, wie andere Kollegen damit umgehen und welche Kooperationen und Netzwerke es dazu gibt. Einige sind sehr leistungsfähig und versuchen, gemeinsame Herausforderungen gemeinsam zu lösen. Das geht dann im Idealfall schneller, besser und günstiger. Das haben wir auch getan. Denn wir wollen ein wesentlicher Akteur und Treiber bei der Umsetzung der Klimaschutzstrategie der Stadt Konstanz sein. Wir wollen das wirtschaftlich tun und haben überlegt: Wer kann sich vorstellen, das gemeinsam mit uns anzupacken, mit wem können wir die Kapazitäten bündeln?
Und was heißt das jetzt konkret?
Wir haben dazu verschiedene Netzwerke angefragt, von der EnBW bis zur Thüga, die Sie nannten. Nach diesem unverbindlichen Markterkundungsverfahren haben wir eine Bewertung vorgenommen. Dabei kam heraus, dass die Thüga ein sehr leistungsfähiges Stadtwerke-Netzwerk in Deutschland ist. Mit knapp 100 Beteiligungen bearbeitet es genau diese Themenstellungen, die auch in Konstanz aufgerufen sind. In Teilen gibt es dazu auch schon Lösungen, deshalb ist es für uns ein interessantes Modell.

Die Thüga ist aus ihrer Geschichte und Struktur heraus tief im fossilen Zeitalter verhaftet. Sie ist bis heute ein wesentlicher Akteur im Geschäft mit Gas. Warum sollen ausgerechnet diese Thüga Ihnen in die Zukunft helfen?
Wir sind ja auch tief in der fossilen Welt verhaftet. Aber wir müssen davon weg. Die Thüga steht vor der gleichen Aufgabe und muss eben auch diese neue Welt entstehen lassen. Dafür hat sie eine ungleich breitere Basis. Uns geht es ja gar nicht darum, dass wir das Rad in Konstanz neu erfinden, sondern dass wir uns mit Kollegen zusammensetzen und die Wende gemeinsam und koordiniert gestalten. Die Themen verbinden uns ja: Intelligenter Zubau der Stromnetze, Aufbau von Wärmenetzen, Aufbau von Wind- und Sonnenkraftwerken, Rückbau und Abschaltung von Gasnetzen. An diesen Themen arbeitet die Thüga seit zehn Jahren.
Sie haben eben gesagt: Konstanz muss das Rad nicht neu erfinden. Ist das in dieser selbstbewussten und bisweilen eitlen Stadt zu vermitteln? In einer Stadt, die nicht bereit ist, Einfluss und Kontrolle abzugeben?
Wir wollen ja keine Kontrolle abtreten. Wir sprechen darüber, das gemeinsam in einem Kooperationsnetzwerk umzusetzen, in dem wir allenfalls einen Minderheitsgesellschafter als Partner ins Boot holen. Die deutliche Mehrheit bleibt auf jeden Fall in Konstanz. Der Weg und das Ziel können hier vor Ort bestimmt werden, aber wir können auf ein Netzwerk zugreifen, das unterstützt, diese Ziele schneller, mit weniger Risiko und vermutlich günstiger zu erreichen, als wir das alleine tun könnten. Da gibt es nicht nur einen Weg, aber über den besten Weg sollten wir jetzt reden. Wir haben einen, den wir für aussichtsreich halten, aber es gibt auch andere.

Ich frage noch einmal: Wird es Konstanz gelingen anzuerkennen, dass die Stadt vor einem Problem steht, das sie allein nicht lösen kann?
Ich glaube, dass es in der Gesellschaft ein Umdenken gibt und dass klar wird, dass keine Stadt und kein Land alleine eine Klimaneutralität erreichen kann. Wo es möglich ist, sollen vernünftige Menschen mit der gleichen Zielrichtung das gemeinsam tun. In den Gesprächen stelle ich fest, dass es nicht dogmatisch um das Thema „Konstanzer Weg“ geht, sondern um die Frage: Wir erreichen wir die Ziele am besten?
Sie sagten, „vernünftige Menschen sollten sich zusammentun, um das Ziel zu erreichen“. Wie fängt das im Kleinen an, wie wollen Sie die Konstanzerinnen und Konstanzer, mithin Ihre Kunden, mitnehmen auf diesen Weg der großen Veränderung?
Die rufen uns heute schon an und wollen wissen, welche Lösungen wir für ihre Gebäude anbieten können. Sie denken oft auf mehrere Jahre hinaus und wollen wissen, ob wir langfristig ein Partner werden oder bleiben können. Das Thema ist da, viele Kunden sind schon unterwegs auf dem Weg der Veränderung. Es vergeht ja kaum ein Tag, an dem der SÜDKURIER nicht darüber berichtet, was künftig an Gas- und Ölheizungen überhaupt noch möglich ist. Außerdem wollen wir den Konstanzerinnen und Konstanzern in einem transparenten Prozess in den nächsten Wochen aufzeigen, welchen Chancen in einer möglichen Kooperation liegen.

Die Stadtwerke Konstanz stehen vor einer Aufgabe, die sie allein nicht bewältigen können, die sie sogar überfordert?
Jein! Wir können auch alleine diesen Weg gehen. Wir fragen uns aber – wie schnell und wie erfolgreich werden wir gewesen sein, wenn wir in zehn Jahren darauf zurückblicken? Wir sind uns ganz sicher, dass wir alleine die Ziele nicht so schnell und erfolgreich erreichen wie in einem Kooperationsmodell in einem Netzwerk, in dem wir voneinander lernen.
Es gibt also einen Plan B zum Modell eines gemeinsamen Unternehmens mit der Thüga?
Ja. Wir haben uns in vielen Stunden mit den Möglichkeiten beschäftigt, da gibt es ein von uns klar favorisiertes Modell. Aber es gibt auch einen zweiten, dritten und vierten Weg. Und ich will klar sagen: Da gibt es auch kein Richtig oder Falsch. Auch in der Politik gibt es unterschiedliche Abwägungen und aus diesen kann man zu einem jeweils anderen Ergebnis kommen, ohne dass dies deshalb falsch wäre.