Konstanz hat gewählt – und die Konstanzer haben ihr Wahlrecht engagiert ausgeübt. Seit 1983 war die Beteiligung an einer Bundestagswahl in der Stadt nicht mehr so hoch wie am vergangenen Sonntag, 84,2 Prozent ist ein stolzer Wert. Und in absoluten Zahlen gemessen zeigt sich: 54.104 Frauen und Männer haben ihre Stimme abgegeben – so viele wie noch nie. Doch was sagt uns diese Bundestagswahl? Was lässt sich für Konstanz aus dem Ergebnis herauslesen? Hier einige Ableitungen.

1. Rechte Strömungen sind kein Problem anderer Städte

Lange hat man sich in Konstanz in dem (für die meisten Menschen wohligen) Gefühl bewegt, Rechte gebe es vor allem in Ostdeutschland oder schlimmstenfalls in Rielasingen-Worblingen. Nach der Europawahl hat nun auch die Bundestagswahl gezeigt, dass das nicht stimmt. Im Berchenquartier, im Industriegebiet und im Bereich Pfeiferhölzle liegt die AfD bei den Zweit- und teils sogar bei den Erststimmen vorn. Die Partei punktet also vor allem dort, wo die Menschen nicht viel Geld und/oder einen Migrationshintergrund haben. Parteien, die soziale Themen zu ihrem Markenkern zählen, wie etwa SPD oder Grüne, können genau in diesen ärmeren Quartieren kaum punkten.

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Offenbar hat sich dort viel Enttäuschung angestaut – und damit sollte sich auch die Kommunalpolitik befassen. Und man darf wohl davon ausgehen, dass 2024 die letzte Kommunalwahl war, bei der AfD nicht für den Konstanzer Gemeinderat angetreten ist. Nur weil sie im Ratssaal nicht vertreten ist, heißt es aber nicht, dass ihre Themen nicht trotzdem präsent sind. Doch wer sind in Konstanz derzeit die Fürsprecher dieser Anliegen, die definitiv weit außerhalb aller links-grünen Blasen verortet sind?

2. Die Linke hat vor allem bei Studenten gepunktet

In drei Stimmbezirken hat die Linke eine Mehrheit bei den Erststimmen geholt – und in allen dreien liegen große Studentenwohnheime (Jahnstraße, Jacob-Burckhardt-Straße und Chérisy). Ähnliche Ergebnisse haben übrigens Schülerwahlen gezeigt, bei denen unter 18-Jährige ganz praktisch Demokratie gelernt haben. Auch in Konstanz ist es der Linken also im Schlussspurt des Wahlkampfs gelungen, junge Menschen zu überzeugen.

„Wer sind in Konstanz die Fürsprecher von Anliegen, die weit außerhalb aller links-grünen Blasen verortet sind?“, fragt Jörg-Peter Rau ...
„Wer sind in Konstanz die Fürsprecher von Anliegen, die weit außerhalb aller links-grünen Blasen verortet sind?“, fragt Jörg-Peter Rau in seinem Kommentar. | Bild: SK

Und zwar vornehmlich als Partei und vornehmlich über Soziale Netzwerke. Der Einfluss dieser Plattformen hat sich schon bei der OB-Wahl 2020 sehr deutlich gezeigt – doch wer mit TikTok, Instagram und Co. schnell nach oben kommt, wird im Zweifelsfall auch schnell in den Abwärtsstrudel gezogen, nicht zuletzt durch Desinformation und Manipulation.

3. In Konstanz sind die Grünen die Partei der Besserverdienenden

Im gesamten linksrheinischen Teil, darunter den begehrten Wohnquartieren im Paradies, liegen die Grünen klar vorn. Aber auch in der rechtsrheinischen Kernstadt hat die Partei bei den Zweitstimmen ihren Spitzenplatz verteidigt. Viele der Stimmbezirke mit grüner Mehrheit sind gut situierte Quartiere, in denen gut ausgebildete Menschen leben, viele von ihnen arbeiten im weiteren Sinne in öffentlichen Einrichtungen. In den allerteuersten Wohnlagen der Stadt, den ufernahen Bereichen in Petershausen und Staad, rutschen die Grünen dagegen auf Rang zwei. Teils kann in diesen Toplagen auch die FDP noch punkten.

4. Je weiter weg vom Zentrum, desto konservativer

Die Dominanz der Grünen nimmt fast linear mit der Entfernung von der Innenstadt ab. Außerhalb der stark städtisch und/oder akademisch geprägten Quartiere zwischen Petershausen und Egg hat die CDU in Konstanz ihre feste Basis. In Teilen Wollmatingens hat auch die AfD nennenswerten Zulauf, was durchaus auch mit der dortigen Unzufriedenheit mit den Entwicklungen vor Ort – zum Beispiel rund um den Hafner – und dem Gefühl mangelnder Teilhabe zu tun haben kann.

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Dennoch ist das Zentrum-Peripherie-Gefälle deutlich, und die Innenstadt-Bewohner sollten schon deshalb nicht meinen, für alle Konstanzer sprechen zu können, wenn es um Themen wie Stadtentwicklung, Verkehr oder Ökologie geht. In den Bodanrück-Orten schließlich gehen die Uhren noch einmal anders: Von einer grünen Dominanz ist da nicht mehr viel zu sehen. In Dingelsdorf, Dettingen-Wallhausen wie auch Litzelstetten kommt die CDU auf über 30 Prozent, deutlich über ihrem Bundesergebnis. Das ist zwar weit von den 40-Prozent-Ergebnissen früherer Jahrzehnte entfernt, zeigt aber gleichwohl, wie unterschiedlich Konstanz in seinen Teilen tickt.

5. Der Abstand zwischen Andreas Jung und Rosa Buss ist größer, als es scheint

Bei den Erststimmen hat Andreas Jung seinen Sieg auf einer breiten Basis errungen – selbst in Stimmbezirken, in denen die Grünen zwar als Partei vorne liegen, hat er mehr Stimmen erhalten als seine grüne Konkurrentin Rosa Buss. Bei der Wahl 2025 liegen 2456 Stimmen zwischen den beiden. Jung hat damit fast 20 Prozent mehr Stimmen als Buss. Das ist insofern bemerkenswert, weil Grünen-Kandidat Sebastian Lederer 2021 noch vorn gelegen hatte und 776 mehr Stimmen bekam als Jung.

Bemerkenswert ist auch, dass Jung 2865 Stimmen hinzugewonnen hat, während Buss trotz einer gestiegenen Anzahl von Wahlberechtigten gegenüber Lederer marginal verloren hat, nämlich 367 Erststimmen. Das zeigt sich auch in der so genannten Ausschöpfungsquote. Von allen theoretisch erhältlichen Erststimmen hat Rosa Buss 25,27 Prozent tatsächlich erhalten – was ein hervorragendes Ergebnis ist für eine Zweitplatzierte -, während Lederer noch auf 28,65 Prozent gekommen war.

6. So etwas wie Dankbarkeit gibt es auch in Konstanz nicht

Dreieinhalb Jahre als Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis und die Stadt gearbeitet zu haben, verschafft nicht automatisch einen Vorteil. Das musste nicht nur Lina Seitzl von der SPD erleben. Als sie 2021 antrat, musste sie sich erst einmal bekannt machen und erhielt respektable 10.213 Stimmen. Dreieinhalb Jahre später waren es noch 10.004 Stimmen. So etwas wie einen Amtsbonus gibt es offenbar auch bei Bundestagsabgeordneten nicht – bei Bürgermeisterwahlen ist das schon länger zu beobachten.

Noch bitterer ist es allerdings für Ann-Veruschka Jurisch von der FDP, die 2021 unter ähnlichen Voraussetzungen angetreten war wie Seitzl. Sie verlor von den 4714 Erststimmen des Jahres 2021 fast die Hälfte und kommt nur noch auf 2458. Gleichzeitig erringt AfD-Bewerber Bernhard Eisenhut, der weder im Kreistag noch im Landtag wesentliche Leistungsbeweise erbracht hat oder besondere Präsenz im Kreis zeigt, auf 5331 Erststimmen – mehr als doppelt so viele wie die weithin anerkannte, vor Ort und im Kreis präsente Bundestagsabgeordnete Jurisch. Das ist eine herbe Erkenntnis, bei der man sich nur wünschen kann, dass sie nicht all jene entmutigt, die jeden Tag für die Demokratie einstehen.

7. Die Verwaltung tut gut daran, weiter gegen Misstrauen anzuarbeiten

Eine richtig gute Nachricht noch zum Schluss: Organisation und Durchführung der Wahlen scheinen gut gekappt zu haben. Das ist dem Team von Wahlleiterin Larissa Weis zu verdanken, aber auch allen Wahlhelfern. Die Bürgermeister-Riege hat sich am Sonntag selbst in den Wahllokalen engagiert, das ist ein starkes Vorbild.

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Mit der Bundestagswahl 2025 und auch einer zwar am Ende schleppenden, aber doch um kurz nach 22 Uhr abgeschlossenen Auszählung hat die Verwaltung sicher wieder Boden gut gemacht. Wie dringend das nötig ist, zeigt sich darin, wie groß von interessierter Seite kleine vermeintliche Pannen gemacht werden: Da liegen in einer Wahlkabine Bleistifte und keine Kugelschreiber (was gesetzeskonform ist), in einem anderen Wahllokal liegen zwar Kulis, aber die schrieben (Achtung: Wahlbeeinflussung!) grün. All das wird registriert und hinterfragt. Gut also, wenn solche Momente möglichst selten auftauchen.