Christian Bernardi kennt sich mit Krisen aus. Seit einem Vierteljahrhundert befindet sich der 50-Jährige wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung, lebt inzwischen symptomfrei und kommt alles in allem gut durchs Leben. Es gibt mehrere Gründe, warum das so ist: Er akzeptiert die Einschränkung durch seine Erkrankung, das persönliche Umfeld ist stabil, er hat Arbeit.

Er ist damit ein Beispiel dafür, was man als Inklusion bezeichnet: Sie soll allen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen.

Was ist normal?

Eigentlich ist genau das normal, womit sich der Krisenstatus verlagert: Woher kommen die Vorbehalte gegen Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen – etwa in den Unternehmen? Klar, die Leistungsfähigkeit ist eingeschränkt, Christian Bernardi beispielsweise traut sich keinen 100-Prozent-Job zu. Das Wissen um die Grenzen der Belastbarkeit aber lassen sich durchaus als Stärke bezeichnen. „Ich bin im Leben angekommen“, sagt Christian Bernard. Mit dieser selbstbewussten Haltung geht er jetzt als Botschafter für den Duoday an die Öffentlichkeit.

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Ursprungsland dieses Aktionstages ist Irland, inzwischen wurde die Idee in anderen europäischen Ländern und auch in Deutschland übernommen. Üblicherweise ist der Tag auf den 20. Mai festgelegt, wegen Corona wurde er im Landkreis Konstanz auf den 18. November verlegt. Was für die Organisatoren unter den Bedingungen der Pandemie gar nicht schlecht ist: Sie haben Zeit, um möglichst viele Unternehmen zur Teilnahme am Duoday zu bewegen.

Im vergangenen Jahr wurde wegen der Pandemie auf den Aktionstag verzichtet, bei der Premiere im Jahr 2019 hatten sich rund 30 Unternehmen beteiligt.

Duoday: Zu zweit geht‘s besser!

Der Name ist dabei Teil des Programms. Inklusion fängt nach Ansicht der Initiatoren mit der Begegnung zweier Menschen an und dieses Duo verbringt am Duoday in einem Unternehmen gemeinsam einen Arbeitstag. Der Praktikant begleitet dabei die üblichen Aufgaben eines Mitarbeiters, wobei er nach Möglichkeit aktiv in die Tätigkeiten eingebunden wird.

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Christian Bernardi beispielsweise war vor zwei Jahren am Duoday mit dabei und schwärmt noch heute davon. Seit seiner Jugend will er sich in Handwerk und Kunst der Fotografie perfektionieren, wobei für ihn der Duoday bei einem freischaffenden Fotografen ein wichtiger Schritt darstellte. Man verstand sich, aus der Aktion ergab sich ein mehrmonatiges Praktikum.

Zutrauen als Basis für den Schritt in die Arbeitswelt

Der Duoday bildete damit ein Modul für die Eingliederung von Christian Bernardi ins Arbeitsleben. Die Impulse aus diversen Praktika in Kombination mit dem Jobcoaching durch die Caritas und dem Zentrum für Psychiatrie Reichenau (ZfP) sorgten vor allem für den Mut für ein weiteres Herantasten an den Arbeitsmarkt.

Der Aktionstag zeigt den Organisatoren, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen mittlerweile weniger stigmatisiert werden.
Der Aktionstag zeigt den Organisatoren, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen mittlerweile weniger stigmatisiert werden. | Bild: Lucht, Torsten

Das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten hat sowohl nach seiner wie auch nach Einschätzung seiner Betreuer maßgeblichen Anteil daran, dass er seine Beschäftigung in der Werkstatt der Caritas in Radolfzell beenden und durch eine Arbeit in einem Betrieb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ersetzen konnte.

Das Ziel: Keine Stigmatisierung der Erkrankten

Abgesehen von der Bedeutung des Duodays für die Eingliederung ins Arbeitsleben, zeigt das Beispiel für die Organisatoren des Aktionstages die Wirkung für die Anti-Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ute Jakob vom Fachdienst für betriebliche Inklusion bei der Caritas und Susanne Hauk, die als Sozialarbeiterin als Job-Coach für die ZfP-Klientel tätig ist, werten in in diesem Zusammenhang außerdem die Auszeichnung mit dem Inklusionspreis des Landkreises Konstanz als zusätzliche Schubkraft für die Initiative. Nicht ganz unwichtig dabei ist ferner das Preisgeld in Höhe von 6000 Euro.

Seelenleid ist weit verbreitet

Ann-Kristin Hörsting liefert zudem statistisches Material, das die Stigmatisierung von Menschen mit einer psychischen Erkrankung als töricht erscheinen lässt. Nach Angaben der Chefärztin an der ZfP-Klinik für Allgemeinpsychiatrie beläuft sich der Anteil von Menschen mit einer schizophrenen Erkrankung auf etwa ein Prozent, mit zirka zehn Prozent aber leiden weitaus mehr Menschen im Laufe ihres Lebens an einer Psychose und rund 30 Prozent entwickeln das Krankheitsbild einer Depression.

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Nicht enthalten darin sind laut Ann-Kristin Hörstin unter anderem die Menschen, die von einem Burnout betroffen sind. Susanne Hauk assistiert: „Pro Jahr durchlebt hierzulande jeder Dritte eine psychische Krise.“

Corona und die psychischen Folgen

Durch Corona sind nach Wahrnehmung der Fachfrauen ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die seelische Verfassung feststellbar. Laut Ute Jakob wurde die Gesellschaft bei der Inklusion zumindest in Teilen zurückgeworfen. Das liege unter anderem an der Kurzarbeit beziehungsweise dem wirtschaftlichen Druck auf die Unternehmen, wodurch die Möglichkeiten zu Praktika deutlich reduziert wurden.

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Gleichzeitig hat das ZfP laut Ann-Kristin Hörsting reichlich zu tun, die Zahl der Patienten sei stark angestiegen. Parallel dazu stellt die Chefärztin allerdings fest, dass manche an psychischen Erkrankungen leidende Menschen über sich hinauswachsen. Mit Blick auf Christian Bernardi aber ist das so erstaunlich nicht: Mit Krisen kennen er und seine Leidensgenossen sich aus.

Der Duoday und die Job-Coaching-Angebote von ZfP Reichenau und Caritas

  • Job-Coaching: Das Ziel des Job-Coachings von Caritas und ZfP Reichenau ist die Integration in ein reguläres Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis. Das Angebot richtet sich an Menschen mit und ohne festgestellte Behinderung sowie an Arbeitslose. Dabei wird zunächst ein Profil erstellt: Wie sieht der persönliche und berufliche Lebensweg des Betroffenen aus, inwieweit lassen sich Vorstellungen, Möglichkeiten und Talente berücksichtigen? In einer zweiten Phase wird die Eingliederung ins Arbeitsleben mittels Praktika erprobt – idealerweise geht die Job-Coacher hier von 20 Monaten aus. Danach stehen die Betreuer noch für rund drei Monate als Ansprechpartner für die individuelle Betreuung am Arbeitsplatz sowie als Moderatoren bei etwaigen Konflikten im Betrieb zur Verfügung.
  • Ärztliche Betreuung: Das ZfP Reichenau unterstützt die Eingliederung ins Arbeitsleben durch die Koordination von ärztlichen Diagnosen und Einschätzungen, wobei auch soziale Dienste und die Angehörigen eingebunden werden. Der ZfP-Fachbereich „Supported Employment“ versteht sich dabei als ambulantes berufliches Rehabilitationsangebot. Voraussetzung für die Hilfen ist das Vorliegen einer psychischen Erkrankung sowie ein Wohnsitz im Landkreis Konstanz oder in angrenzenden Gebieten. Die Betreuung geht davon aus, dass Menschen mit psychischer Erkrankung vollwertige Leistungen für Unternehmen erbringen, sofern ihnen passgenaue Aufgaben zugeordnet werden. Die Beratung für die Arbeitgeber erstreckt sich dabei auch auf die Möglichkeiten finanzieller Förderung, der ZfP-Service ist kostenlos.
  • Anmeldung und Information zum Duoday: Über den Duoday informieren beziehungsweise dafür anmelden kann man sich über den Fachdienst Betriebliche Inklusion der Caritas in der Hohentwielstraße 6 in Radolfzell (Tel.: 07732 / 9380 5955) oder direkt bei der Fachdienstleiterin Ute Jakob (Tel.: 07732 / 9380 5923; oder über email unter u.jakob@caritas-kn.de); Unternehmen, die sich über das ZfP Reichenau anmelden möchten, wenden sich an Susanne Hauk (Tel.: 07531 / 977 8703 oder per email: supported_employment@zfp-reichenau.de).