Im März 2020 war die Welt noch rosarot. Die Prüfungen für eine Weiterbildung zum Fach-Informatiker standen an. Die lange Schulungsphase mit Unterricht tagsüber und späten Arbeitsstunden als Aushilfe in der Gastronomie neigten sich dem Ende zu. Für soziale Kontakte war lange Zeit kein Platz.
„Ich hatte damals eine tolle Perspektive und große Hoffnung, Fuß fassen zu können“, sagt der Mann. Da er Angst vor Ressentiments hat, veröffentlicht der SÜDKURIER nicht seinen wahren Namen. Nennen wir ihn Paul. Paul ist 34 Jahre alt. „Von heute auf morgen war alles vorbei“, erinnert er sich. „Die Prüfungen wurden abgesagt, mein Job war weg. Lockdown. Jeder musste in Isolation.“

Doch nicht jeder steckte die Situation gut weg. Paul lebte schon damals alleine. Die Familienmitglieder verteilen sich auf mehrere Länder, einzig die Schwester wohnt auch in Deutschland. „In Heidelberg“, erzählt er. „Das ist aber zu weit weg, und wir durften uns nicht sehen.“
Paul zog sich immer mehr zurück. Er verließ die Wohnung teilweise wochenlang nicht mehr. „Ich hatte Angst vor einer Corona-Erkrankung, weil ich Asthma habe.“ Er geriet in eine Abwärtsspirale, die sich von Tag zu Tag schneller drehte. „Meine Gedanken wurden immer dunkler und trüber“, erinnert er sich.
„Suizid erschien plötzlich als attraktive und ultimative Lösung für mich“
„In dieser Phase wird man antriebs- und hoffnungslos“, erklärt Oberärztin Anna Gubarkov, die Paul auf Station 25 des Zentrums für Psychiatrie Reichenau behandelt. „Suizid wird dann oft als einziger Ausweg angesehen.“
Der 34-Jährige bestätigt diese Einschätzung: „Ich wollte mich umbringen, dieser Gedanke war sehr konkret. Suizid erschien plötzlich als attraktive und ultimative Lösung für mich.“ Zwei Gründe hielten ihn davon ab: seine Mutter und seine Katze. „Wer hätte das Tier gefüttert? Wer hätte auf meine Katze aufgepasst?“, fragt er. „Und meine Mutter wäre so traurig gewesen. Das wollte ich nicht.“
Paul vertraute sich einer Psychotherapeutin an und begab sich in ambulante Behandlung. Vor rund zwei Monaten spitzte sich die Situation jedoch wieder zu, er verlor erneut jeglichen Antrieb und drohte zu vereinsamen und zu verwahrlosen.
Schließlich wurde er auf die Station 25 des ZfP überwiesen. Die Station ist eine Aufnahme- und Kriseninterventionsstation der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, die rund um die Uhr Patienten in akuten Krisensituationen aufnimmt.
„Es geht ihm seither besser“, sagt Oberärztin Anna Gubarkov. „Wir haben die Medikation angepasst und er wird immer belastbarer.“
Medikamente werden bei vielen Patienten eingesetzt, um die Beschwerden zu lindern, „dabei achten wir auf möglichst nebenwirkungsarme und nicht abhängig machende Arzneimittel“, wie Uwe Herwig, der Ärztliche Direktor des ZfP, erklärt.

Zunächst werden Patienten in einem solchen akuten Zustand lediglich leichte therapeutische Angebote gemacht. „Die Motivation ist zu Beginn der Therapie oftmals nicht sehr ausgeprägt“, erklärt Anna Gubarkov.
Paul besuchte die Ergo- und die Kunst-Therapie. „Ich habe tolle Tonfiguren hergestellt“, berichtet der 34-Jährige und zum ersten Mal in dem Gespräch wirkt er glücklich. „Alle haben mir bestätigt, dass die richtig gut geworden sind.“
„Ich habe wieder den Glauben an das Leben gewonnen“
Solche Aussagen machen den Ärzten Hoffnung, dass Paul schon in den kommenden Wochen den Schritt zurück in ein geregeltes Leben schaffen wird. „Der Plan ist, dass er nach dem stationären Aufenthalt unsere Tagesklinik besuchen kann“, sagt Uwe Herwig.
In dieser teilstationären, individualisierten Behandlung nehmen die Patienten an einer intensiven Therapie teil, während die Stabilisierung durch das gewohnte soziale Umfeld und den Alltagsbezug erhalten bleibt.
Auf der Station 25 steht eine Sozialarbeiterin bei Fragen zu Arbeitsplatzes oder Wohnsituation, bei finanziellen Problemen, der Betreuung oder zur Unterstützung im Umgang mit Behörden zur Verfügung. „Wir unterstützen die Patienten auf ihrem Weg zurück“, sagt Anna Gubarkov. „Wichtig sind sozialer und beruflicher Anschluss. Wir wollen die Menschen befähigen, aber nicht alleine lassen.“
Paul, dem eine gute Prognose bestätigt wird, vernimmt diese Worte gerne. „Ich habe wieder den Glauben an das Leben gewonnen, ich habe wieder Lebensmut, und meine Stimmung wird immer besser.“