So stellt man sich einen Rock-Star vor. Lange Haare zum Zopf gebunden, ein munter wachsender Vollbart, cooles Jeans-Outfit, Mädchen, die sich nach dem sportlich-schlanken Typen den Kopf verdrehen: Yannik Emminger würde man durchaus zutrauen, bei einer Vorgruppe von Guns n‘ Roses, Bon Jovi oder Nirvana die E-Gitarre zum Leiden zu bringen.
Dass der smarte und sympathische 24-Jährige unter einer psychischen Krankheit leidet, möchte man zunächst gar nicht glauben. Die Verpackung: hart und robust. Der Inhalt: weich und zerbrechlich. „Ich schäme mich nicht dafür“, sagt er. „Ich habe es mir ja nicht ausgesucht. Niemand sucht es sich aus, krank zu sein. Niemand. Und doch werden psychisch kranke Menschen immer noch stigmatisiert im Vergleich zu Menschen mit körperlichen Erkrankungen.“
Keine Namensnennung – aus Angst vor negativen Reaktionen
Womit wir gleich beim Thema wären. Der Konstanzer Student las vor einigen Wochen auf suedkurier.de die Serie über Patienten und Therapien im Zentrum für Psychiatrie Reichenau. Die Patienten wollten namentlich nicht genannt werden aus Angst vor Reaktionen der Umwelt. Stattdessen wählten sie einen erfundenen Namen – was auch so in den Artikeln stand. Und so hieß eine Frau in einem Porträt unbeabsichtigt so wie eine Frau aus Konstanz in ihrem realen Leben.
Sie meldete sich umgehend in der Redaktion, legte großen Wert darauf, nicht psychisch krank zu sein und wollte dies im SÜDKURIER klar gestellt wissen. „Hätte sie das auch gewollt, wenn es um ein gebrochenes Bein oder Kopfschmerzen gegangen wäre?“, fragt Yannik Emminger und schüttelt den Kopf.
Daher wählt er den Gang in die Öffentlichkeit
Er schrieb daraufhin eine Mail an den Autoren des Artikels, berichtete von seinen psychischen Problemen und stimmte einem Interview zu. „Wenn ich mit dem Gang an die Öffentlichkeit mit meiner Geschichte nur einer Person helfen kann, dann wäre der Sache schon gedient.“
Yannik Emminger lebt seit rund dreizehn Jahren mit Angst- und Panik-Attacken, die es ihm nahezu unmöglich machen, mit Bus oder Bahn zu reisen (siehe Infoelement). Seine Probleme begannen mit einem tragischen familiären Ereignis. „Ich war elf Jahre alt, als ich meinen Vater an eine Krebserkrankung verloren habe“, erzählt er bei einem Cappuccino im Café Wessenberg.
„Es hieß immer nur, mein Vater sei krank. Von Krebs war keine Rede.“
„Meine Eltern hatten mir bis zu diesem Zeitpunkt nie wirklich gesagt, dass mein Vater Krebs hat. Mir gegenüber hieß es immer nur, er sei krank.“ Das habe es sehr viel schwerer für ihn gemacht, mit dem plötzlichen Tod umzugehen, „da ich mich nicht darauf einstellen konnte“. Der Physik-Student erinnert sich genau an den Moment, als er vom Ableben des geliebten Vaters erfuhr. „Ich war wie so oft bei meinen Großeltern. Meine Oma hat es mir gesagt. Das kam so plötzlich und unerwartet.“
Drei Tage zuvor erfuhr er erstmals von der schweren Krankheit des Vaters. „Wir waren im Krankenhaus. Meine Mutter hat mich ins Zimmer geholt. Mein Vater sah nicht gut aus, aber mir war nicht klar, dass es bald zu Ende gehen sollte.“ Noch heute sagt er: „Mir wurde die Möglichkeit genommen, mich von meinem Vater zu verabschieden.“ Vorwürfe gegen die Mutter erhebt er indes nicht: „Sie wollte mich ja nur schützen und hatte gute Absichten.“
„Ich habe alles in mich hineingefressen“
Freunde und Bekannte wussten nicht, wie sie sich Yannik gegenüber verhalten sollten. „Die meisten haben sich distanziert“, sagt er. „Bevor sie etwas Falsches sagen, haben sie lieber gar nichts gesagt.“ Der gebürtige Schwarzwälder war auf sich alleine gestellt. „Dabei hatte ich keine Ahnung, wie man trauert. „Ich habe abwechselnd geheult und geschrien und alles in mich hineingefressen.“
Er suchte Halt und Hilfe in der Musik und fing an, Lieder und Texte zu verfassen, um sich Schmerz und Leid von der Seele zu schreiben. „Nachdem vergangenes Jahr wieder in Therapie gehen musste, da alte, unverarbeitete Gedanken mein Leben wieder schwer machten, entschied ich mich, vier meiner Songs aufzunehmen, Leute an meiner Geschichte teilhaben zu lassen und mit dem Thema offen umzugehen.“
Er tat dies auch in der Hoffnung, dass diese Öffnung seinen Heilungsprozess beschleunigen könnte. „Ebenfalls möchte ich andere Menschen dazu ermutigen, sich damit nicht zu verstecken und den Dialog mit Menschen zuzulassen. Es kann befreiend sein, wenn Freunde anfangen können zu verstehen.“ Also veröffentlichte er im Januar sein Album „Leaves“, das in allen Online-Stores und bei allen Streaming Services verfügbar ist. „Es umfasst vier Lieder, die meine Zeit nach dem Tod meines Vaters widerspiegeln“, erklärt er.
Yannik Emminger sitzt in einem Video zum Album mit seiner Gitarre am Hörnle, im Hintergrund der See und ein leuchtender Abendhimmel. Zumindest ein Hauch von Guns n‘ Roses, Bon Jovi oder Nirvana.