Martin F. ist ein duldsamer und zugewandter Mensch, der gewohnt ist, sein eigenes Befinden nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Letzteres musste er bei seinem Aufenthalt im Zentrum für Psychiatrie Reichenau (ZfP) schrittweise wieder lernen.
Depression – und dann noch eine Covid-19-Infektion
„Inzwischen bin ich in der sechsten Woche hier und es gibt Behandlungserfolge“, berichtet Martin F. Der Name des Patienten soll hier nicht genannt werden, um ihn vor Nachteilen im Alltag zu schützen. Er spricht ohne Aufregung, man braucht etwas Phantasie, um sich vorzustellen, dass dieser Mann unter einer schweren Depression leidet. Vor wenigen Wochen wurde sein Genesungsprozess auf eine schwere Probe gestellt.
Unklar, wo angesteckt
Wie er sich ansteckte, weiß der Patient nicht. Möglicherweise draußen, die ZfP-Patienten bewegen sich frei auf dem Gelände. Dann zeigte er leichte Symptome: 38 Grad Fieber, Erkältungssymptome, Müdigkeit. Nach einem Test war klar: Covid-19. „Es war ein Schock für mich, dass ich positiv war. Ich hatte auch Angst“, sagt Martin F.
Corona hat manch psychisches Leiden verstärkt
Corona hat die Arbeit in dem psychiatrischen Krankenhaus inhaltlich zwar nicht verändert, der Einfluss der Pandemie sei aber spürbar, sagt Uwe Herwig, Medizinischer Direktor des ZfP. „Bei etwa einem Drittel der Patienten, die im Frühjahr neu kamen, war Covid-19 ein Teil der Ursache für ihre Symptome“, sagt er. Oft seien es Patienten mit depressiver oder mit wahnhafter Symptomatik gewesen. „Dazu gehört die Angst, sich selbst oder andere anzustecken“, sagt Uwe Herwig.
Wenn die Arbeit wegbricht
Patienten, die an einer Psychose litten, im Alltag aber gut eingestellt waren und etwa in einer geschützten Werkstatt Arbeit hatten, seien wieder eingewiesen worden, berichtet Hanna-Sofia Karcher, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am ZfP. „Die Werkstatt wurde wegen Corona geschlossen, dadurch verloren sie ihren Halt.“
Zeit der Isolation war hart
Martin F. hat die Zeit, in der er an Covid-19 erkrankt war, als Herausforderung erlebt. Von seiner Station zog er auf die Isolationsstation um. Dort wurde streng auf Hygienemaßnahmen geachtet, Pflegerinnen betraten sein Zimmer nur mit Schutzkleidung. Einige Symptome seiner Depression hätten sich verstärkt, die Antriebslosigkeit, das Grübeln. „Wie geht es weiter mit mir – das wollte ich schon wissen“, sagt der Patient. Die Isolation habe ihm zu schaffen gemacht, körperliche Nähe war unmöglich, die Teilnahme an der Gemeinschaft auf der Station fiel weg. Für die meisten Menschen ist das schwierig, für einen depressiven Menschen bedeutet es eine starke Beeinträchtigung.
Nur noch Einzeltherapie
Trotz der Isolation wurden die Therapien so gut wie möglich fortgesetzt. Auf alle Gruppentherapien, Ergo-, Kunst-, Psychotherapie, habe Martin F. in dieser Zeit verzichten müssen, die Einzelgespräche mit Hanna-Sofia Karcher fanden aber weiter statt – per Skype, aber auch persönlich, mit Schutzkleidung. Es gab Spaziergänge im Innenhof, allerdings allein.
„Man erkennt, wie stark man innerlich ist“
Im Rückblick kann Martin F. der Zeit in der Isolation auch Positives abgewinnen. „Man lernt, zu erkennen, wie stark man innerlich ist“, sagt er, „das habe ich geschafft“. Als er nach den Tagen des Alleinseins auf seine Station zurückkam, habe ihn die Vielfalt an Kommunikationswünschen zunächst überfordert. Gestärkt aus der Krise hervorzukommen, das habe ihm ein gutes Gefühl vermittelt – Psychologen nennen dies eine Stärkung der Selbstwirksamkeit.