Angesichts des rasch voranschreitenden Klimawandels ist es das Gebot der Stunde, alle denkbaren regenerativen Energiequellen zu nutzen. Eine besonders charmante Möglichkeit, Energie zu gewinnen, ohne relevanten CO2-Ausstoß zu erzeugen, ist die Seethermie, die Nutzung von Wasser aus dem Bodensee zur Erzeugung von Heizwärme über Wärmepumpen. Noch ist die Methode einigermaßen unerprobt. In der Schweiz gibt es bereits kleinräumige Projekte. Zwei Vorhaben, die Modellcharakter haben dürften, sind im Moment gerade im Entstehen.

Eines der Projekte entsteht in der Schweizer Gemeinde Gottlieben. Ziel ist es, dass ein Großteil der Gebäude der Gemeinde an ein Fernwärmenetz angeschlossen wird. Dieses ist verbunden mit einer Seewasserleitung und einer Pumpzentrale, die aus der Wärme des Seewassers Heizenergie gewinnt. Mehrere Studien, die dem Projekt vorgeschaltet waren, ergaben gute Ergebnisse: Die Studie machte 14 Gebiete aus, die sich für Seethermie eignen. Zweitens machte das Potenzial Hoffnung. Die Technologie könne bis zu zehn Prozent des bisher fossilen Wärmebedarfs im Thurgau decken, hieß es in der Machbarkeitsstudie.

2026 soll Wärme geliefert werden

Nun ist das Projekt aber ins Stocken geraten, wie Marcel Stofer, Geschäftsführer Wärme Gottlieben AG beim Elektrizitätswerk des Kantons Thurgau (EKT), berichtet. Das liege an der Kommunalplanung, die einige Planänderungen bei der Wärmezentrale vornehmen musste. Wegen dieser Veränderungen verzögere sich das Projekt um etwa ein Jahr. „Wir denken, dass wir im Herbst 2025 unmittelbar loslegen können, dann wären wir ein Jahr später wärmelieferbereit für die ersten Kunden“, sagt Stofer.

Diese stehen auch schon fest: zum einen wolle die EKT ein Werft- und Wohngebäude in unmittelbarer Näher zur Wärmezentrale beliefern, in dem die Gasheizung ersetzt werden müsse. Zum anderen stehe die Sanierung von Drachenburg und Waaghaus, zweier historischer Gebäude in Gottlieben, an. Auch sie seien auf Wärmelieferung ab Herbst 2026 angewiesen.

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Die Kosten für das Projekt in der kleinen Gemeinde Gottlieben halten sich noch in Grenzen: Stofer geht von Bruttoinvestitionskosten in Höhe von 6,5 Millionen Franken aus, die Teuerung bei den Baukosten der vergangenen drei Jahre bereits eingerechnet. Nicht enthalten in dieser Summe seien die Anschlussgebühren der zu beliefernden Kunden.

Wo liegen die Hürden bei dem erfreulich nachhaltigen Projekt und der noch jungen Energietechnik? Das Problem liege bei der Seethermie in den Kostendimensionen. Bei einer kleinen Gemeinde wie Gottlieben könne ein solches Projekt kaum über Haushaltsmittel finanziert werden, es brauche einen Investor wie das EKT.

Schwieriger werde es, wenn man Städte wie Arbon, Romanshorn oder Kreuzlingen an Seewärme anschließen wolle, erläutert Stofer. „Solch ein Projekt wird schnell von 40 bis hin zu 100 Millionen Franken teuer. Das ist eine große Herausforderung“, sagt er. Nicht jeder Haushalt werde das Fernwärmenetz nutzen können. Fraglich ist, ob Bürger dennoch bereit seien, ein solch teures Projekt finanziell aus öffentlichen Geldern mitzutragen.

Bis zu 80 Prozent des Wärmebedarf könnten gedeckt werden

Auch auf deutscher Seite gibt es Bestrebungen, den See als Energielieferanten zu nutzen. Ein erstes größeres Projekt setzt die Universität Konstanz um. Geplant ist, drei Großwärmepumpen zu bauen, um etwa 70 Prozent des Wärmebedarfs der Hochschule über die Seewärme zu gewinnen, in den Folgejahren sogar bis zu 80 Prozent. Die Investitionskosten für Gebäude und Pumpen betragen 24,5 Millionen Euro, die vom Land finanziert werden. Fertiggestellt werden soll das Projekt bis 2027.

Die Hochschule setzt dabei darauf, dass es bereits bestehende Leitungen vom See zum Campus gibt. Sie nutze seit Langem Bodenseewasser zur Kühlung ihrer Anlagen. „Dieselben Leitungen können ab 2027 auch für die Seethermie genutzt werden“, so Jürgen Graf, Pressesprecher der Uni Konstanz. Die Entnahmestelle für das Wasser befinde sich zwischen den Ortsteilen Konstanz-Egg und Staad. „Der Rücklauf erfolgt über den Bach im Hockgraben durch den Lorettowald bis zur Rosenau, wo das Wasser wieder in den Bodensee fließt.“

Aufgewärmtes Wasser kühlt schnell wieder ab

Dass das Projekt ökologisch verträglich gestaltet wird, dafür soll gesorgt sein. Als die wasserrechtliche Genehmigung beantragt wurde, sei nachgewiesen worden, dass das Wasser, das in Egg entnommen wird, zwei Tage unterwegs sei. In dieser Zeit nehme es vergleichbare Temperaturen an wie andere Zuflüsse des Bodensees.

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Dass die Universität im Raum Konstanz als Pionier vorangeht und ein Seethermie-Projekt verwirklicht, ist kein Zufall. Neben der Tatsache, dass dort bereits ein Leitungssystem vorhanden ist, gibt es weitere Vorteile: Die Uni hat selbst einen hohen Energiebedarf und als große Institution entfällt die kleinteilige Suche nach Kunden, die es ans Wärmenetz anzuschließen gilt. Und, entscheidend für die Realisierung: Mit dem Land Baden-Württemberg gibt es einen Investor mit der nötigen Liquidität.