Auch ins Klimaschutzkonzept des Landkreises Konstanz hat die Seethermie Eingang gefunden. Seethermie bedeutet, die relative Wärme des Seewassers zu nutzen und mittels einer Wärmepumpe daraus Heizenergie zu gewinnen. Während sie am deutschen Seeufer bislang noch in Form von Plänen, Ideen und Wünschen stattfindet, gibt es am Schweizer Ufer bereits ein sehr konkretes Projekt.

Die Idee des Projekts: Ein Großteil der Gebäude der Gemeinde Gottlieben sollen an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden. Dieses ist verbunden mit einer Seewasserleitung und einer Pumpzentrale, die aus der Wärme des Seewassers Heizenergie gewinnt.

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Drei Bereiche in Gottlieben geeignet

Mehrere Studien, davon eine ausführliche Machbarkeitsstudie entlang des Thurgauer Bodenseeufers ergaben ermutigende Ergebnisse: Zum einen machte die Studie 14 Gebiete aus, die sich für Seethermie gut eignen. Konkret in Gottlieben identifizierte man drei Zonen, die eine Chance auf Umsetzung boten.

Zum anderen schien das Potenzial beachtlich. „Die Seethermie könnte bis zu zehn Prozent des bisher fossilen Wärmebedarfs im Thurgau decken“, erläutert Andy Koch, Mitverfasser der Machbarkeitsstudie.

(von links) Paul Keller, Gemeindepräsident von Gottlieben, Andy Koch, Projektcoach im Kompetenzzentrum Erneuerbare Energie-Systeme ...
(von links) Paul Keller, Gemeindepräsident von Gottlieben, Andy Koch, Projektcoach im Kompetenzzentrum Erneuerbare Energie-Systeme Thurgau und Mitverfasser der Machbarkeitsstudie, Marcel Stofer, Bereichsleiter Produktion und Gebäude bei der EKST. | Bild: Wagner, Claudia

Die Gemeinde Gottlieben als Modell

Und warum nun ausgerechnet Gottlieben? In Gottlieben hat sich die politische Gemeinde früh dafür stark gemacht, von fossilen Energieträgern auf regenerative umzustellen. Eine Studie über Geothermie ergab aber keine guten Ergebnisse. Anders bei der Seethermie: Sie sollte auch wirtschaftlich zu betreiben sein, so die Ergebnisse der Studie.

In der Schweiz reicht es bekanntlich nicht, dass politische Gremien ein Projekt befürworten. Die Verantwortlichen müssen ihre Bürger überzeugen. Wie gelang dies? „Für die Bürger war ausschlaggebend, dass man eine gesicherte Energieversorgung hat“, erläutert Paul Keller, Gemeindepräsident von Gottlieben. „In Folge des Ukraine-Kriegs wurde klar, wie fatal eine Abhängigkeit vom Ausland und konkret vom Gas ist.“

Das Gas bezieht die Gemeinde von den Stadtwerken Konstanz, der Gaspreis stieg im Laufe des Jahres 2022 in bislang ungekannte Höhen. Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit waren neben dem Klimaschutz die wichtigste Motivation, in die Sethermie zu investieren.

An dieser Stelle soll die Technikzentrale für die Wärmepumpe in Gottlieben errichtet werden.
An dieser Stelle soll die Technikzentrale für die Wärmepumpe in Gottlieben errichtet werden. | Bild: Wagner, Claudia

Und so soll das Projekt funktionieren:

  • Das wird gebaut: Eine Leitung mit einer Länge von 150 Metern, die Wasser aus etwa 12 Metern Tiefe entnimmt. Die gesamte Leitungslänge beträgt 2,9 Kilometer. Das Elektrizitätswerk des Kantons Thurgau (EKT) wird eine zweistöckige Technikzentrale bauen, in der die Wärmepumpentechnik untergebracht wird. Von hier aus führen die Leitungen in die Gottlieber Haushalte, um diese mit Wärme zu versorgen.
  • Zu diesem Zeitpunkt wird es realisiert: Im März 2023 wurde eine Absichtsvereinbarung zwischen Gemeinde und EKT unterzeichnet. 2024 ist ein Vorprojekt geplant, im Herbst 2024 soll der Baustart für das Fernwärmenetz sein. Im Jahr 2025 wird gebaut und im Herbst 2025 soll die erste Wärmelieferung stattfinden, sagt Marcel Stofer, Bereichsleiter Produktion beim EKT. „Das ist ein sehr sportlicher Plan, aber wir hoffen, dass er gelingt.“
  • Das sind die Schwierigkeiten: Wichtig war zunächst, herauszufinden, wie viele Haushalte und größere Kunden angeschlossen werden. Es bedarf einer gewissen Wärmebedarfsdichte, damit sich der Bau eines Fernwärmenetzes lohnt, wie Thomas Volken vom Amt für Energie des Kantons Thurgau erläutert. Diese liegt in diesem Fall bei 450 Megawattstunden pro Hektar und Jahr und ist im Falle Gottliebens gegeben, weil die Gemeinde recht dicht bebaut ist.
    Ein großes Problem wiederum könnte die Quagga-Muschel darstellen. Sie kommt im Bodensee überall vor, belegt Rohrleitungen und zerstört dadurch deren Substanz. Laut Thomas Volken sei das Problem mit einem Reinigungskonzept allerdings lösbar, da es vor Ort ein Ingenieurbüro gebe, das bereits große Erfahrungen mit der Quagga-Muschel und ihrer Entfernung habe.
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  • Das sind die Kosten: Das EKT plant eine Gesamt-Investition von 6,1 Millionen Schweizer Franken. Sie umfasst den Bau des Technik-Gebäudes, die Bereitstellung der Wärmepumpentechnik und das Leitungsnetz. Bei den späteren Heizkostenpreisen rechnet das EKT mit einem Tarif von 22 bis 27 Rappen pro Kilowattstunde.
    Der aktuelle Bezugspreis für Gas liegt bei 22 Rappen aufwärts, aufgrund des weiteren Verlaufs des Ukrainekriegs sei die Preisspirale nicht absehbar, sagt Marcel Stofer, Bereichsleiter Produktion und Gebäude beim EKT. Die Anschlussgebühr für ein Einfamilienhaus dürfte bei etwa 8000 Schweizer Franken liegen, bei einem Mehrfamilienhaus bei etwa 20.000 Franken, die dann auf die Anzahl der Mietparteien aufgeteilt werden.
  • Das sind die Einsparungen: Das EKT rechnet mit einer Einsparung von etwa 700 Tonnen CO2 bei einer Versorgung von 95 Liegenschaften.
  • Bewertung: Ein Projekt wie das in Gottlieben geplante lässt sich nur schwer auf deutsche Verhältnisse übertragen. Die Einheiten in Deutschland sind weit größer, die Tausende Haushalte einer Stadt wie Konstanz lassen sich nicht so schnell mittels Seethermie beheizen. Dennoch wären auch auf deutscher Seite Modellprojekte in kleinen Gemeinden wie jenes in Gottlieben möglich.
    In jedem Fall empfiehlt sich eine Zusammenarbeit zwischen deutschen und Thurgauer Gemeinden, da eine Realisierung solcher Seethermie-Projekte ohnehin nur unter Beachtung der internationalen Schutzbestimmungen für den Bodensee möglich sind.
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